Wayward Strand – TEST
Das australische Entwicklerstudio Ghost Pattern schickt uns in Wayward Strand als 14-jährige Casey als unfreiwillige Aushilfe in ein fliegendes Alten- und Pflegeheim. Dort erleben wir in der Rolle der neugierigen Nachwuchsjournalistin den ganz normalen, ruhigen Alltag der Menschen an Bord.
Als Casey ihre Mutter ins Luftschiff, das zu einem fliegenden Pflege- und Altenheim umgewandelt wurde, begleiten soll, hat die 14-jährige mehr Interesse daran für einen Artikel über das ungewöhnliche Krankenhaus zu recherchieren, als auszuhelfen. Doch ihre Mutter, leitende Krankenschwester des luxuriösen und nur über eine Seilbahn erreichbaren Zeppelins, spannt Casey zu Beginn der Sommerferien als unfreiwillige Unterstützung ein. In der Rolle der Nachwuchsjournalistin sollen wir das Pflegepersonal unterstützen. Schon bald stellt sich das jedoch als weit weniger arbeitsaufwendig und vielmehr sanft und gemütlich erzählte Gelegenheit mehr über Luftschiff und die Menschen an Bord zu erfahren.
Ruhige Erzählung
Wayward Strand konzentriert sich ausschließlich auf das Leben an Bord des Pflege- und Altenheim-Luftschiffs. Schon kurz nachdem wir mit Casey am ersten Tag angekommen sind, erhalten wir eine Uhr und fortan vergeht die Zeit und damit der Alltag unablässig voran. Wohin wir gehen, mit wem wir sprechen und was wir erleben, ist komplett uns überlassen. Allerdings hängt es von der Uhrzeit ab, wen wir wo treffen und welche Unterhaltungen oder Ereignisse wir miterleben. Dabei setzt das australische Entwicklerstudio Ghost Pattern auf viel Authentizität. Alle Charaktere, die wir an den drei Tagen, die wir mit Casey in der fliegenden Seniorenresidenz verbringen, sind bodenständig und glaubwürdig geschrieben. Das heißt, egal mit wem wir es zu tun haben, die jeweiligen Pflegerinnen, Pfleger, Senioren und Seniorinnen sind alle hervorragend umgesetzt, weisen Eigenheiten auf und sind gleichzeitig realistisch gestaltet.
Dabei lädt uns Wayward Strand dazu ein, jede Person an Bord kennenzulernen. Wirklich möglich ist das aber in einem Spieldurchgang nur bedingt, da wir zwangsweise parallel ablaufende Ereignisse verpassen. Davon bekommen wir aber nicht immer etwas mit, schließlich unterhalten wir uns gerade an anderer Stelle mit jemandem. Dadurch ist Wayward Strand allerdings auch überaus langsam und ruhig. Auf sammelbare Gegenstände oder Rätsel wird komplett verzichtet, selbst Entscheidungen in den Dialogen fallen weg. Stattdessen lenken wir mit unseren Aussagen und Fragen lediglich in welche Richtung sich ein Gespräch entwickelt und was wir erfahren. Schließlich hat jeder an Bord etwas anderes zu erzählen. Die herzliche Ida bietet uns jederzeit Ratschläge an, der lebhafte Autor Mr. Avery hält eloquente Monologe und Tomi kann nicht mehr sprechen, hat aber trotzdem ihre ganz eigene Persönlichkeit, die sich rein durch ihre Verhaltensweisen darstellt. Es ist wirklich eine Freude, immer wieder etwas Neues zu entdecken. Hier regt Wayward Strand regelrecht zur Neugier an und belohnt uns dafür.
Authentische Geschichte im Fokus
Allerdings setzt das Adventure auf sehr viele Dialoge und ein eher limitiertes Gameplay. Abgesehen von den Gesprächen und von uns beobachteten und belauschten Ereignissen, bietet Wayward Strand nicht viel. Deshalb ist viel Geduld und die Bereitschaft sich auf eine liebenswerte und sanfte Slice-of-Life-Geschichte einzulassen unbedingt erforderlich, um Spaß mit dem Spiel von Ghost Pattern zu haben. Lassen wir uns aber darauf ein, erhalten wir eine der wahrscheinlich bisher glaubhaftesten Darstellungen des Tagesablaufs und Lebens in einem Alten- und Pflegeheim, die wir je in einem Videospiel erlebt haben. Vom Ableben von Patienten über schwere Erkrankungen bis hin zu fröhlichen Tagesgenossen wird alles geboten. Dabei treffen die zahlreichen Lebenserfahrungen und Ansichten der Senioren und Seniorinnen auf Caseys noch kindliche Neugier und ihren Willen einen Artikel für ihre Schülerzeitung zu schreiben. Deshalb trägt die 14-jährige auch alles, was sie erlebt und erfährt in ihr Notizbuch ein. Dieses dürfen wir jederzeit aufrufen und als Gedankenstütze für unsere Erlebnisse in dem dreistöckigen Luftschiff verwenden.
Es ist zudem die einzigartige Stimmung, die Wayward Strand auszeichnet. Sanft, melancholisch, lebhaft und wie aus dem Leben gegriffen, wirkt unser Besuch auf dem Luftschiff. Unterstützt wird das von dem schicken, minimalistischen und doch detailreichen Zeichenstil sowie einer ruhigen Musikuntermalung, die wunderbar zum Spiel passt. Abgesehen von den sehr seltenen langen Ladezeiten, läuft das Adventure auf der Switch sowohl im Handheld-Modus als auch am Fernseher zudem absolut rund. Lediglich die fehlende Möglichkeit frei zu speichern, ist uns negativ aufgefallen. Nur zwischen den Kapiteln ist es überhaupt möglich, unseren Fortschritt zu sichern, so dass wir stets einen Tag beenden müssen, um diesen nicht von vorne zu beginnen, falls wir das Spiel beenden wollen. Entsprechend viel Zeit muss vorhanden sein, wenn wir Wayward Strand starten. Dadurch eignet sich das Adventure trotz der überschaubaren Spielzeit nur teilweise für kurze Runden und könnte aufgrund dem gemächlichen und ruhigen Spielprinzip zusätzlich potenzielle Spieler und Spielerinnen abschrecken. Wer sich auf Wayward Strand einlässt, erhält ein auf ganz eigene Art faszinierendes Story-Erlebnis.
Geschrieben von Alexander Geisler
Fazit:
Als ich Wayward Strand das erste Mal gestartet habe, habe ich trotz der starken Story- und Dialogdichte ein Adventure mit kleinen Rätseln erwartet. Doch das australische Entwicklerstudio setzt bei dem kleinen Indie-Titel ausschließlich auf die sehr ruhig und sanft erzählte Slice-of-Life-Geschichte. Das entpuppt sich als wahre Stärke des Adventures, da Wayward Strand eine realistische Darstellung des Alltags in einer Seniorenresidenz gelingt. Als 14-jährige Casey ist es an uns, mit wem wir reden und was wir erleben, während die Zeit unablässig voranschreitet. Schnell habe ich die eigenwilligen, aber glaubhaften Charaktere ins Herz geschlossen und war wirklich daran interessiert, mehr über sie und ihre Leben zu erfahren. Hieraus zieht Wayward Strand den Spielspaß: Nur wer sich auf Stimmung, Geschichte und Figuren einlässt, wird sich mit Wayward Strand anfreunden können. Dafür belohnt das Adventure mit einer der wahrscheinlich besten Darstellungen eines Alten- und Pflegeheims, die ich jemals in einem Videospiel gesehen habe.