Aviary Attorney (Definitive Edition) – TEST

Wer in der Ace-Attorney-Reihe schon jeden einzelnen Fall mehrfach gewonnen hat und sich darüber ärgert, dass Capcom noch nicht alle Serienteile außerhalb Japans veröffentlicht hat, dürfte sich über Aviary Attorney mit seinen ulkigen Charakteren und Geschichten sehr freuen.


In Aviary Attorney von Entwicklerstudio Sketchy Logic schlüpfen wir ähnlich wie im großen Vorbild aus dem Hause Capcom in die Rolle eines Anwalts. Im Gegensatz zu Phoenix Wright und Co handelt es sich hierbei jedoch um keinen Menschen, sondern um einen Falken. Der gefiederte Monsieur Jay Jay Falcon führt im Paris des Jahres 1848 eine Anwaltskanzlei und muss vor Gericht Fälle für seine Mandanten gewinnen. Unterstützt wird er dabei von seinem Gehilfen Sparrowson, einem vorlauten und übereifrigen Haussperling. Alle anderen Figuren im Spiel sind im Übrigen auch humanoide Tiergestalten, die einerseits das Klischee erfüllen und ihre zugeschriebenen Eigenschaften in ihrem Verhalten zeigen und andererseits auch durch ihr Auftreten wunderbar in die Erzählstruktur passen.

Beispielsweise taucht im ersten Fall ein Löwe auf, der zum Adel gehört und Personen niederen Standes teils unterwürfig behandelt. Seine Haushälterin, eine kleptomanische Giraffe, passt hingegen erst dann ins Bild, wenn sie sich auf einen Stuhl setzt. So bleibt das Adventure visuell abwechslungsreich und inhaltlich spannend. Erzählt wird Aviary Attorney über rein englischsprachige Texte. Der Wille zum Lesen längerer Dialoge muss also vorhanden sein, denn eine Vertonung der Charaktere, bei denen mit französischem Akzent gesprochen werden könnte, gibt es leider nicht.

Gerichtsverfahren im Schnelldurchlauf

Mit seinem Gameplay geht Aviary Attorney kein Risiko ein und orientiert sich frappierend an den Spielmechaniken der Ace-Attorney-Reihe. Das heißt, dass wir abwechselnd Gerichtsverhandlungen führen und außerhalb des Justizgebäudes eigenhändig Ermittlungen durchführen. Auf starren Bildschirmen müssen wir verschiedene Objekte anklicken, wodurch ein Gespräch zwischen Falcon und Sparrowson zustande kommt, was die Handlung vorantreibt. Bei diesem Unterfangen sammeln wir zudem neue Beweise und Indizien, die in der späteren Gerichtsverhandlung von wesentlicher Bedeutung sind. In dieser treten der Reihe nach Zeugen auf, die aber natürlich nicht die volle Wahrheit sagen.

Jede einzelne Zeugenaussage ist löchrig, sodass wir die Lügen mithilfe der gesammelten Beweise aufdecken können. Positiv ist, dass die Verhandlungen nicht die epische Bandbreite des Vorbilds einnehmen und schnell abgearbeitet werden. So fühlen sich die Spielabschnitte vor Gericht sehr viel dynamischer an, da eine überraschende Wendung die nächste jagt. Auch wenn gerade hierbei eine Vertonung die Atmosphäre ordentlich gepusht hätte, schadet dieser Umstand dem Gameplay nur wenig. Das liegt vor allem daran, dass die manchmal tiefgründigen und manchmal schlicht saloppen Dialoge zwischen sämtlichen Figuren in Aviary Attorney mit sehr viel Humor vollgestopft sind.

Humorvolles Adventure mit Wiederspielwert

Herausstechend sind in puncto Humor insbesondere die Anmerkungen zum technologischen und kulturellen Fortschritt, der 1848 aber in einem ganz anderen Kontext steht. So wird Falcon von Sparrowson regelmäßig darüber aufgeklärt, was zum Beispiel ein „Face Book“ oder ein „Tweet“ ist. Es macht unglaublich viel Spaß, den Gesprächen der beiden zu folgen. An einer Stelle nutzen sie eine rechtliche Grauzone aus, an anderer Stelle brechen sie wissentlich das Gesetz. Ob und wie das passiert, hängt häufig jedoch von uns persönlich ab, da wir selbst die Entscheidungen treffen.

Es gibt allerdings keine richtigen und falschen Entscheidungen, was storytechnisch dazu führen kann, dass wir eine – in unseren Augen – unschuldige Person vor dem Strick bewahren, diese sich nach der Verhandlung aber als eigentlicher Mörder entpuppt. Das Adventure bietet zudem drei verschiedene Enden, was den Wiederspielwert enorm erhöht. Aufgrund des hübschen Zeichenstils spielen wir den Titel außerdem gerne gleich mehrfach durch. Zurück geht der Artstyle auf Illustrationen von Jean Ignace Isidore Gérard, besser bekannt unter seinem Künstlernamen Grandville. Beim Soundtrack wurden hingegen Werke von Komponist Charles Camille Saint-Saëns eingebunden, weshalb sich Aviary Attorney einmal mehr wie eine tierisch-tolle Reise ins 19. Jahrhundert anfühlt und sich ins Gedächtnis brennt.

Geschrieben von Eric Ebelt

Fazit:

Da ich erst vor Kurzem mein Interesse an der Ace-Attorney-Reihe wiederentdeckt habe, kommt Aviary Attorney mit seinem nahezu identischen Gameplay auf der Nintendo Switch genau richtig. Die Definitive Edition bietet zwar laut Herstellerangaben lediglich schärfere Grafiken, doch ist das meiner Meinung nach nicht sonderlich schlimm. Die ulkige Story um einen gefiederten Anwalt, der sich in humorvollen Dialogen mit seinem Angestellten kloppt und noch dazu Mandanten vor Gericht vertreten muss, ist Entwicklerstudio Sketchy Logic überaus gut gelungen. Das liegt vor allem daran, dass nicht jeder scheinbar unschuldige Mandant auch tatsächlich unschuldig ist. Aviary Attorney ist eines der wenigen Spiele, die auf eine harte Trennlinie zwischen Gut und Böse verzichtet – und mich in entscheidenden Momenten ganz schön schockieren kann. Es macht mir sehr viel Spaß, die illustren Charaktere kennen und ihre Motive und Antriebe verstehen zu lernen. Wer die Ace-Attorney-Reihe mag, wird definitiv auch für Aviary Attorney sein Herz öffnen!