Boot Hill Bounties – TEST
2014 tauchte wie aus dem Nichts das Rollenspiel Boot Hill Heroes auf, das es noch nicht in den eShop der Nintendo Switch geschafft hat. Das macht aber nichts, denn der nicht weniger interessante zweite Teil, Boot Hill Bounties aus dem Jahr 2017, ist seit dem 14. April 2020 für Nintendos Hybridkonsole zu haben.
Wie im Vorgänger schlüpfen wir in Boot Hill Bounties erneut in die Rolle von Cowboy Kid, der mit seinen Freunden in der nordamerikanischen Wildnis verabredet ist. Der Revolverheld Doc schafft es zwar rechtzeitig zum Treffpunkt und gibt dem Jungspund beziehungsweise uns im Kampf gegen einen bissigen Kojoten hilfreiche Tipps, doch von Moon und Rosy ist keine Spur. Also beschließen die beiden, ihre Freundinnen zu suchen. Es entwickelt sich eine spannende Geschichte, die mit typischen Western-Klischees arbeitet und mit humorvollen Einspielern den ernsten Alltag aufwertet. Habt ihr den ersten Teil nicht gespielt, müsst ihr aber nicht verzagen. Alle wichtigen Zusammenhänge werden rückblickend erläutert.
Am ehesten lässt sich Boot Hill Bounties mit EarthBound vergleichen, denn abgesehen vom Szenario ähnelt das von den Experimental Gamer Studios entwickelte Spiel dem Rollenspielklassiker aus dem Hause Nintendo in vielen Belangen. So erkunden wir mit unserer bis zu vierköpfigen Bande die in kultverdächtiger 16-Bit-Grafik gestaltete und zusammenhängende Spielwelt, sammeln in der Natur Materialien zum Verkaufen ein, erfüllen diverse Nebenquests und legen uns in rundenbasierten Kämpfen mit illustren Gegnern an. Anfänglich sind das noch Tiere wie Biber oder Waschbären, später kommen auch menschlicher Abschaum respektive Ganoven hinzu. So ergibt sich eine stimmungsvolle Spielwelt, dessen Setting im Genre recht unverbraucht ist.
Kampfsystem mit taktischem Anspruch
In allen Punkten funktioniert Boot Hill Bounties wie ein waschechtes japanisches Rollenspiel und hätte so Mitte der 1990er-Jahre erscheinen können. Mit dem Kampfsystem orientiert sich das Spiel aber höchstens durch die Fähigkeiten am bereits erwähnten EarthBound, denn auch die Pokémon-Reihe oder der vierte, fünfte und sechste Eintrag der Final-Fantasy-Serie hat einen Einfluss auf die Entwicklung gehabt. Zum Beispiel müssen wir uns entscheiden, mit welchen vier Techniken unsere Helden kämpfen sollen. Später lässt sich diese Anzahl zwar noch erweitern, doch müssen wir keine Angst davor haben, eine wichtige Fähigkeit noch zu verlernen. Über das Menü können wir alle erlernten Fähigkeiten auswechseln und uns somit auf jede Eventualität einstellen, wenn vielleicht auch erst im zweiten Anlauf.
Entscheidend ist jedoch, dass wir die Aktionsbalken der Charaktere im Auge behalten, denn jede Aktion kostet eine unterschiedliche Anzahl an Aktionspunkten. Entsprechend müssen sich die Balken erst einmal bis zu einem bestimmten Punkt aufladen, bevor der Angriff ausgeführt wird. Positiv ist, dass wir jede Aktion jederzeit abbrechen können und keine Aktionspunkte dabei verlieren. So können wir beispielsweise einen heftigen Angriff eines Bossgegners unterbrechen oder uns noch rechtzeitig verteidigen, was den taktischen Anspruch des Kampfsystems immens erhöht. Das Spiel bleibt dabei meistens fair, nur eine freie Speicherfunktion vermissen wir.
Reise ins Zeitalter der 16-Bit-Rollenspiele
Ebenfalls selten in japanischen Rollenspielen ist der Mehrspielermodus. Es ist ohne auch nur eine Einschränkung möglich, Boot Hill Bounties von Anfang bis Ende alleine zu spielen, doch wem die recht flotten, wenn auch jederzeit pausierbaren Kämpfe zu schnell ablaufen, darf ein bis drei Freunde vor dem Fernsehbildschirm versammeln. Leider gilt dies nicht für den Rest des Spiels, denn außerhalb der Kämpfe wird die Gruppe lediglich vom ersten Spieler geleitet. Dennoch ist es erfreulich, dass die Entwickler mehrere Spieler aufs Sofa locken, die sich gemeinsam am Humor und dem Detailreichtum des 16-Bit-Western-Rollenspiels erfreuen dürfen.
Wie im offensichtlichen Vorbild EarthBound wird das Geschehen aus der leicht versetzten Vogelperspektive eingefangen, wobei Gebäude und Co leicht isometrisch dargestellt werden. Zusammen mit den knuffigen Charakteren ergibt sich ein stimmungsvolles Gesamtbild, in dem nur die übergroßen Charakterporträts in den teils arg ausufernden Dialogen leicht negativ auffallen. Musikalisch gibt es im Übrigen nichts zu bemängeln, denn unsere Ohren werden von niemand geringerem als Jake Kaufman verwöhnt, der unter anderem am Soundtrack von Shovel Knight und Retro City Rampage mitgewirkt hat. Wer des Englischen mächtig ist, erlebt in Boot Hill Bounties ein äußerst unterhaltsames Rollenspiel, das sich wie eine Zeitreise in die 1990er-Jahre mit circa fünfzehnstündigem Aufenthalt anfühlt.
Geschrieben von Eric Ebelt
Fazit:
Boot Hill Bounties ist ein Spiel, das genau meinen Nerv trifft. Zum einen setzt das Spiel altbekannte Muster des japanischen Rollenspielgenres rigoros um und verknüpft dabei einige Elemente diverser Klassiker wie EarthBound oder der Final-Fantasy-Reihe. Zum anderen setzt Boot Hill Bounties auf ein Setting, das im Genre weitgehend unverbraucht ist. Der Wilde Westen wird mit Hilfe vieler Anspielungen auf Western-Filme mit all ihren Klischees in kunterbunter 16-Bit-Grafik lebendig. Es gibt keinen Moment, in dem die Spielwelt nicht atmet. Es gibt nur wenig, was die Entwickler in meinen Augen hätten besser machen können. So reißen mich die für meinen Geschmack viel zu großen Charakterporträts regelmäßig aus der Retro-Atmosphäre heraus. Zudem hätte es dem Spiel gutgetan, auf festgelegte Speicherpunkte zu verzichten und stattdessen eine freie Speichermöglichkeit zu bieten. Trotzdem sind das nur kalte Tropfen auf den heißen Stein, denn jeder, der dem Szenario etwas abgewinnen kann und japanische Rollenspiele aus der Super-Nintendo-Zeit mag, kommt um das Western-Abenteuer Boot Hill Bounties nicht herum.