Deadly Premonition 2: A Blessing in Disguise – TEST
Unter Videospielern gilt Deadly Premonition seit seiner ersten Veröffentlichung im Jahr 2010 als Geheimtipp und Kultspiel. Zehn Jahre später führt Director Suehiro Hidetaka die Handlung um Special Agent Francis York Morgan an einem neuen Tatort endlich, aber holprig fort.
Als im Jahr 2010 Deadly Premonition zunächst für die Xbox 360 in Japan veröffentlicht wurde, ahnte wohl niemand, welchen Kultstatus die Mischung aus Grand Theft Auto, Resident Evil und L.A. Noire im Lauf der Jahre erreichen würde. Das führte zu mehreren Portierungen und erweiterten Versionen für die PlayStation 3 und den PC. Im Jahr 2019 folgte tatsächlich auch eine Nintendo-Switch-Fassung, um auf den zweiten Teil vorzubereiten. Dieser erschien am 10. Juli 2020 exklusiv für Nintendos Hybridkonsole. Vorweg lässt sich an dieser Stelle sagen, dass es Deadly Premonition 2: A Blessing in Disguise sehr schwer haben wird, einen ähnlichen Kultstatus zu erreichen.
Sowohl inhaltlich als auch technisch fühlt sich das in vier konsekutive Episoden aufgeteilte Spiel nicht vollständig an. Dabei beginnt A Blessing in Disguise vielversprechend, denn anstatt direkt in die Haut von Special Agent Francis York Morgan zu schlüpfen, übernehmen wir zunächst die Rolle der FBI-Agentin Aaliyah Davis. 2019 rollt sie in Boston in einem Verhör mit dem aus dem Dienst geschiedenen Francis Zach Morgan die mysteriösen Vorfälle im fiktiven Ort Le Carré auf, die 14 Jahre zurückliegen. Der Wechsel des zweiten Vornamens der Hauptfigur ist hierbei bewusst gewählt, denn York und Zach sind ein und dieselbe Person, gefangen im Körper eines Individuums. Ganz genau hat das schon das Seriendebüt nicht erklärt und auch der zweite Teil hüllt sich hier in Schweigen.
Mordfall mit Südstaatenflair
Wie beim Vorgänger bleiben manche Mysterien undurchschaubar, was aber auch ein wenig den Reiz des Spiels ausmacht. Nachdem wir zu Beginn jeder der vier Episoden zunächst mit Davis im Verhör Informationen gesammelt haben, springt A Blessing in Disguise zurück ins Jahr 2005. Durch Zufall verschlägt es Morgan in den US-Bundesstaat Louisiana. Im fiktiven und mit reichlich Südstaatenflair angehauchten Le Carré will er den Mord von Lise Clarkson aufklären. Unsere Mission führt uns kreuz und quer durch die Kleinstadt, in der wir uns mit ulkigen Figuren unterhalten, kleinere Aufgaben für sie erfüllen und schließlich immer mehr in die düstere und durch reichlich Sonnenschein kaschierte Atmosphäre eintauchen.
Auch wenn der Name der einst mächtigen Familie Clarkson in Le Carré immer noch Gewicht hat, scheint die Polizei nur wenig Interesse daran zu haben, den Mordfall aufzuklären. Warum das so ist und welche Geheimnisse unter der Oberfläche auf uns warten, verraten wir natürlich nicht. Wir finden es jedoch fantastisch, wie die einzelnen Episoden verschiedene Akzente setzen, das Erlebte aus der vorherigen Folge umwerfen und uns mit Cliffhangern bei Laune halten. Das fühlt sich wie in einer Fernsehserie an, auch wenn die stilistischen Mittel eher auf Kinofilme zurückzuführen sind. Wer den Vorgänger nicht gespielt hat, sollte diesen unbedingt nachholen. In der zweiten Hälfte nimmt das Spiel mehrfach Bezug auf Deadly Premonition.
Große, aber zu leere Spielwelt
Während die Spielabschnitte mit Davis wenig intuitiv ausfallen und wir hier lediglich einzelne Elemente aus einem starren Kamerablickwinkel auswählen können, haben wir mit Morgan die volle Kontrolle. Aus der Third-Person-Perspektive erkunden wir Le Carré und können uns frei durch die offene Spielwelt bewegen. Diese ist allerdings weitgehend leer. Zwar können wir an allen Ecken und Enden Briefkästen plündern, in Seitengassen nach Items suchen, Tricks mit unserem Skateboard ausführen oder kleinere Aufträge erfüllen. Letztere gehen selten über das Erschießen von Eichhörnchen, Killer-Bienen und Alligatoren hinaus.
Interessanter sind da schon die Nebenquests, die wir für die einzelnen Nebenfiguren erfüllen dürfen. Diese erreichen zwar ebenfalls nicht das Niveau der Rahmenhandlung, machen die Bewohner von Le Carré aber ein wenig greifbarer. Schade ist jedoch, dass es im Gegensatz zum ersten Teil in A Blessing in Disguise sehr viel weniger Figuren gibt, mit denen wir interagieren dürfen. So fällt es uns wesentlich einfacher zu durchschauen, wer hinter dem Mord steckt. Die Story, die innerhalb von 15 bis 20 Stunden durchgespielt werden kann, fällt ebenfalls sehr viel stringenter aus. Selbstverständlich sollte A Blessing in Disguise keine schlichte Kopie seines Vorgängers sein, ein paar Figuren mehr und eine kleinere Spielwelt hätten es aber ruhig sein dürfen – schließlich sind wir selbst nur per pedes oder mit einem Skateboard (!) unterwegs.
Alles eine Frage der Zeit
In puncto Spieldesign leistet sich A Blessing in Disguise regelmäßig Aussetzer. Wir begrüßen es zwar, dass wir jeden einzelnen Tag mit seinen 24 Stunden erleben können, doch liegt hier auch schon der Hund begraben. Eine Minute im Spiel entsprechen zehn Sekunden in unserer Realität. Ihr könnt euch ausrechnen, wie sich ein Tag in Le Carré hinzieht. Wir können zwar fast jederzeit unter freiem Himmel eine Zigarette rauchen oder in unserem Hotelzimmer ein Nickerchen mit gestelltem Wecker halten, um die Zeit vergehen zu lassen, doch unterm Strich ist es einfach nur nervig, immer wieder ins Hotel zu laufen oder das begrenzte Inventar mit Tabak vollzustopfen.
Zwischen Mitternacht und dem Morgengrauen tauchen des Weiteren überall und unaufhörlich Geister in Le Carré auf, die wir entweder bekämpfen oder vor ihnen fliehen. Da die Zeit aber auch nachts einfach nicht vergehen will und Schutzkreise eine Seltenheit sind, macht der Kampf gegen die Gespenster genau einmal für ein paar Minuten so etwas wie Spaß. Hinzu kommt, dass manche Aktivitäten nur an bestimmten Wochentagen zur Verfügung stehen: Während einer Hauptquest in der zweiten Episode benötigen wir eine Dose mit roten Bohnen. Diese bekommen wir ausnahmslos in einem Restaurant, aber nur montags, da an diesem einen Tag Reis mit roten Bohnen angeboten wird. Entweder füllen wir die lange Zeitspanne bis dahin mit Nebenaufgaben, oder wir übernachten mehrfach hintereinander.
Kaum durchdachtes Spieldesign
Damit ist in A Blessing in Disguise aber noch lange nicht Schluss. Haben wir die Zeitspanne mit Übernachtungen gefüllt, in dieser Zeit aber keine Hygiene betrieben, beginnen wir übel zu riechen. Reden wir jetzt mit anderen Charakteren, wird uns eine Geldstrafe aufgebrummt, da wir sie mit unserem Geruch belästigen. Die Lösung liegt nahe: Wir nehmen eine Dusche im Hotelzimmer. Allerdings muss diese erst repariert werden – und damit das geschieht, müssen wir erst mehrfach mit dem Concierge, dem Hotelboy und dem Koch reden. Es besteht zwar auch die Möglichkeit, ein Item zur Geruchsminderung zu verwenden, doch wo wir das finden, verrät einem das Spiel nicht.
So ist es mit vielen Sachen in A Blessing in Disguise. Hin und wieder fehlen beispielsweise Quest-Markierungen, sodass wir ohne Guide stundenlang durch die Stadt irren, nur um durch Zufall ein bestimmtes Item zu finden. Immerhin sammeln wir so Materialien, mit denen wir im Voodoo-Laden beispielsweise Fetische herstellen können, die unsere Lebensenergie erhöhen, unsere Ausdauer verbessern oder die Nachladezeit mit unserer Waffe verringern. Das ist zwar eine ganz nette Ergänzung im Spieldesign, doch der Weg dorthin ist leider sehr, sehr steinig. Zudem ist das Herstellen von Fetischen in unseren Augen auch absolut nicht nötig, denn der Schwierigkeitsgrad ist alleine dadurch, dass fast jeder Gegner beim Ableben neue Munition oder auch Heilmittel hinterlässt, äußerst gering.
Technisches Desaster
An allen Ecken und Enden ist A Blessing in Disguise repetitiv. So gibt es gerade einmal drei Monstertypen abseits der lächerlich einfachen Bossgegner zu erleben. Wir bekämpfen hier Geister mit riesigen Scheren, muskelbepackte Grabsteinträger und an der Decke hängende Frauen in Unterwäsche. Gut, es könnte Schlimmeres geben. Warum jedoch der Weg zu den Bossgegnern durch gefühlt identisch aussehende Korridore führt, ist uns ein Rätsel. Auch die Technik des Spiels lässt zu wünschen übrig. Während wir in Innenräumen von Le Carré kaum etwas beanstanden können, ist die offene Spielwelt eine Frechheit. Da es hier keinen fließenden Übergang gibt, müssen wir jedes Mal beim Wechsel auf die Oberwelt eine ganze Minute Ladezeit in Kauf nehmen. Lego City Undercover lässt grüßen!
Des Weiteren ist die Bildwiederholungsrate selbst nach dem ersten Patch immer noch eine völlige Katastrophe. Nachladeruckler, aufpoppende Elemente in der Ferne und verwaschene Texturen sind bei einem exklusiv für die Switch entwickelten Spiels einfach nicht tragbar. Hinzu kommen Autos, durch die wir durchfahren können. Nicht überwindbare Höhenunterschiede bei Texturen, die den Übergang von Wiese zur Straße markieren, gibt es ebenfalls. Hin und wieder erkennt das Spiel auch nicht, dass wir unsere Waffe ziehen oder zeigt nicht mehr alle Bildschirmanzeigen an. Auf Dauer ist auch die Musik mehr störend als atmosphärisch. Lediglich die gute englische Vertonung reißt hier einiges raus. Eine längere Entwicklungszeit hätte dem Spiel gut getan!
Geschrieben von Eric Ebelt
Fazit:
Deadly Premonition ist zwar bei Weitem kein perfektes Spiel, aber immerhin eine gesunde Mischung aus verschiedenen Vorbildern wie Resident Evil und Grand Theft Auto. Deadly Premonition 2: A Blessing in Disguise ist für mich jedoch eine schmerzhafte Erfahrung. Es kann doch nicht sein, dass ein exklusiv für die Switch entwickeltes Spiel derart schlecht umgesetzt ist. Das gilt sowohl für die miese Technik als auch für den Inhalt. Quantität statt Qualität scheint bei Suehiro und seinem Team die Devise gewesen zu sein. Ich mag es zwar, wie sich die Story entwickelt und Tatsachen umwirft, doch täuscht das nicht über das repetitive und mit teils heftigen Schnitzern belastete Gamedesign hinweg. Immerhin wissen die sehr gut geschriebenen Dialoge zwischen Morgan und den Bewohnern der fiktiven Kleinstadt Le Carré zu gefallen. Insbesondere dann, wenn sich Morgan über Filmklassiker wie Die nackte Kanone oder Ghostbusters auslässt und Vergleiche zur Realität zieht, bleibt kein Auge trocken. Wer den Vorgänger noch nicht kennt, sollte sich meiner Meinung nach aber lieber diesem widmen. Dieser ist mit seiner Anlehnung an die Fernsehserie Twin Peaks und seinem verregneten Handlungsort Greenvale deutlich atmosphärischer. Zudem werden Nichtkenner des ersten Teils die Story von A Blessing in Disguise vor allem gegen Spielende nicht voll und ganz verstehen können. Hier kann tatsächlich nur noch ein Director’s Cut helfen.