Harvestella – TEST

Ein wenig Final Fantasy, etwas Harvest Moon und noch eine Prise Rune Factory. So könnte sich das Farming-Rollenspiel Harvestella grob beschreiben lassen. Entwicklerstudio Live Wire und Publisher Square Enix setzen jedoch stärker auf Geschichte und Rollenspiel-Aspekte als Lebenssimulation und Bauernhofalltag.


Schon in der NMag-Vorschau zu Harvestella haben wir festgestellt, dass uns das Farming-Rollenspiel stärker an Final Fantasy als an Rune Factory, Stardew Valley, Story of Seasons oder Harvest Moon erinnert. Hauptsächlich liegt das an dem starken Storyfokus. Angesiedelt ist Harvestella in einer Fantasy-Welt, deren Gesellschaft stark von Chronomalie genannten riesigen Kristallen bestimmt wird. Allerdings bringen die Chronomalien nicht nur Erleichterungen für den Alltag, sondern auch das Silentium. Dabei handelt es sich um giftige Kristallpartikel, die zwischen den Jahreszeiten von den Chronomalien ausgestoßen werden. Für einen Tag ist der Aufenthalt außerhalb von Gebäuden lebensbedrohlich. Zumindest normalerweise. Für unseren in einem rudimentären Editor selbst erstellten Charakter scheint das nicht zu gelten. Jedenfalls haben wir genau so ein Silentium überlebt, als wir von Dorfärztin Cres ohnmächtig und unter Amnesie leidend gefunden werden.

Motivierend mit Macken

Ohne große Umschweife werden wir im Dorf Lethe aufgenommen und dürfen uns in einer nahe gelegenen, verlassenen Farm einrichten. Natürlich ist es nun an uns, die Felder zu bestellen und uns um alle anderen anfallenden Arbeiten zu kümmern. Wir säen Samen, gießen unsere Pflanzen, sammeln die Ernte ein, nutzen diese um andere Produkte wie Mehl herzustellen und verkaufen überschüssige Waren. Zudem dürfen wir mit der Zeit Tiere kaufen und erhalten so weitere Erzeugnisse wie Milch oder Eier. Außerdem können wir fast alles zum Kochen verwenden, was essenziell ist, da wir uns nur mit Nahrungsmitteln heilen und unsere Ausdauer auffrischen können. Letztere leert sich bei so gut wie allem, was wir machen. Ob wir nun die Felder bestellen, Objekte vom Boden einsammeln, Rennen oder Kämpfen, unsere Ausdauer sinkt stetig. Entsprechend oft nehmen wir Nahrung zu uns, sind hierbei aber durch unseren Magen eingeschränkt. Ist dieser voll, können wir nichts mehr essen und lediglich unsere Lebenspunkte mittels Tränken auffüllen. Immerhin steigt unsere Ausdauer stetig ein wenig, solange wir etwas im Magen haben.

Wie erwähnt, nimmt die Geschichte bei Harvestella aber eine weitaus größere Rolle ein als das rudimentäre Farmerleben. Ohne Erinnerungen wollen wir natürlich mehr über uns selbst erfahren, werden aber auch in die großen Geschicke der Welt hineingezogen. Mysteriöse Personen, ein nahe des Dorfes abstürzender Meteorit, seltsame Ereignisse und mehr sorgen dafür, dass uns die Handlung stets motiviert. Selbst in schwachen Momenten, die immer wieder das Tempo aus der Erzählung nehmen, verlieren wir nicht das Interesse und wollen wissen, was als nächstes passiert. Besonders nach der Hälfte zieht Harvestella spürbar an und konfrontiert uns mit einigen gelungenen Wendungen und Entwicklungen. Bedauerlich ist allerdings, dass Dialogoptionen keinerlei Einfluss auf den Verlauf der Geschichte haben. Nicht einmal die Gespräche werden immer davon beeinflusst, was wir sagen oder wie wir reagieren. Erst zum Ende entscheidet eine einzige Entscheidung darüber, welches Ende wir zu sehen bekommen. Hier wäre definitiv mehr möglich gewesen.

Unterstützt werden wir im Laufe des Spiels von einer immer größer werdenden Gruppe an Begleitern und Begleiterinnen. Regelmäßig schließen sich uns neue Charaktere an und bestreiten mit uns das Abenteuer. Gleichzeitig schalten wir mit jedem neuen Gruppenmitglied eine neue Klasse frei, die wir selbst nutzen dürfen. Insgesamt drei der sogenannten Aufträge dürfen wir ausrüsten, um direkt im Kampf zwischen ihnen zu wechseln. So werden wir geschwind vom Kämpfer zum Schattenläufer und nachdem der Cool Down vorbei ist stellen wir uns als Kampfgelehrter den Gegnern entgegen. Leider fallen die Unterschiede trotz verschiedener Waffen nicht so groß aus, wie wir uns das wünschen würden. Tatsächlich haben wir uns meist auf eine Klasse konzentriert. Hier verschenkt Harvestella Potential.

Eingeschränktes Kämpfen

Das gilt allerdings allgemein für das eher schwammige Action-Kampfsystem. Ohne wirkliche Ausweichfunktion greifen wir aktiv Gegner in Echtzeitauseinandersetzungen an. Wir reihen Schläge aneinander, setzen Spezialaktionen ein und hoffen, dass unsere KI-gesteuerten Begleiter intelligent agieren. Das alles funktioniert grundsätzlich ordentlich und sobald wir uns an die Kämpfe gewöhnt haben, haben wir uns auch zurecht gefunden. Wirklich motivierend waren die Auseinandersetzungen aber selten. Schaden zu vermeiden ist fast unmöglich, was gerade bei Bossen nervig werden kann. Es fühlt sich als absolut zwingend an, ausreichend Tränke mitzuführen, um überhaupt eine Chance zu haben. Bleibt zusätzlich zu hoffen, dass uns nicht die Ausdauer ausgeht und wir nicht mehr angreifen können. Ist zugleich unser Magen voll, regeneriert sich die Ausdauer zwar automatisch, wir müssen uns aber trotzdem darauf einstellen zumindest zeitweise handlungsunfähig zu sein, da wir nichts mehr essen dürfen. Nervig. Segnen wir das Zeitliche, endet der Tag sofort und wir dürfen uns den immer gleichen, nicht überspringbaren Dialog von Ärztin Cres anhören sowie für unsere Behandlung zahlen.

Aber nicht falsch verstehen. Auch wenn wir uns immer wieder über das verschenkte Potential beim Kampfsystem geärgert haben, hatten wir nur selten wirklich große Probleme. Zumindest, wenn wir ausreichend leveln, Erfahrungspunkte sammeln und in den Talentbäumen unsere Klassen verbessern. Wichtig dabei ist, dass uns Erfahrungspunkte und somit Levelaufstiege erst gewährt werden, wenn wir schlafen. Aufgrund des Zeitsystems sind wir aber sowieso immer gezwungen, den Tag im Bett zu beenden. Zeit ist allgemein ein wertvolles Gut in Harvestella, denn die Tageszeit schreitet stets voran. Besonders auf der Weltkarte verbrauchen wir beim Reisen zwischen Städten und Dungeons viel Zeit. Ab 22 Uhr wird unser Charakter müde, wodurch wir mehr Ausdauer verbrauchen. Schaffen wir es nicht rechtzeitig nach Hause und in unser Bett, können wir gar zusammenbrechen und verschlafen anschließend am nächsten Tag, wodurch uns wertvolle Zeit fehlt. Etwas nervig kann das werden, wenn wir einen Dungeon erkunden und diesen immer wieder am Tagesende verlassen müssen. Immerhin finden wir regelmäßig Speicherpunkte, von denen wir sofort nach Hause reisen dürfen und die zumindest innerhalb eines Gebietes als Schnellreisepunkt dienen. Eine merkliche Erleichterung.

Alltägliche Beschäftigung

Wie in einem Rollenspiel üblich, dürfen wir abseits der Geschichte und unserer Farmarbeit unterschiedliche Quests annehmen. So wenden sich verschiedene Bewohner der Welt hilfesuchend an uns. Von alltäglichen kleinen Ereignissen über Sammelaufgaben bis hin zu emotionalen oder witzigen Geschichten wird hier vieles geboten. Wirklich aufwendig sind die Nebenquests allerdings nicht. Dennoch haben wir sie meist als willkommene Abwechslung und Ergänzung empfunden. Das gilt besonders für die Charakterquests unserer Gruppenmitglieder und Freunde wie Ärztin Cres oder der geheimnisvollen Aria. Erwartet hier aber keine sich entwickelnde Beziehung oder gar mögliche Liebschaften. Das Beziehungslevel steigt zwar, hat aber lediglich Einfluss auf die Kampffähigkeiten unserer Begleiter oder den Fortschritt der jeweiligen Charaktergeschichte. Kurzweilig sind die zusätzlichen Handlungsstränge aber trotzdem.

Die Welt von Harvestella lässt uns immer wieder wunderschöne Szenerien und Umgebungen entdecken. Von den Jahreszeiten gezeichnete Wälder, Ruinen, Höhlen und mehr sorgen gerade mit der lebhaften Farbpalette und abwechslungsreichen Designs für wahren Augenschmaus. Leider gilt das nicht für die Grafik an sich. Unschöne Kanten, matschige Texturen, nachladende Details, verwaschene Fernsicht und mehr trüben die optische Gestaltung deutlich. Ähnliches gilt für die Nicht-Spieler-Charaktere. Häufig begegnen wir ein und derselben Person mehrmals. Auch Innenräume sind oft lediglich Kopien und identisch in mehreren Häusern vorzufinden. Lediglich die Designs von wichtigen Figuren wie unseren Begleitern, sind aufwendig und mit zahlreichen Details gestaltet. Dafür wissen diese umso mehr zu überzeugen. Anders sieht es bei der Musikuntermalung aus. Der Soundtrack von Harvestella ist fantastisch. Stimmungsvoll begleiten die Lieder jeden Moment nahezu perfekt. Oft wurden wir alleine aufgrund der Musik in der atmosphärischen Welt des Farming-Rollenspiels verloren. Fantastisch. Bedauerlich ist jedoch, dass wir trotz der Wahl zwischen japanischer und englischer Sprachausgabe so gut wie keine Dialoge hören. Fast nichts ist vertont und mehr als kleine Sprachsamples gibt es kaum. Dafür sind die deutschen Texte gut geschrieben.

Geschrieben von Alexander Geisler

Fazit:

Harvestella ist einerseits ein großartiges Rollenspiel, andererseits offenbaren sich immer wieder eindeutige Macken. Eine wunderschön gestaltete Welt steht einer schwachen Grafik gegenüber. Ein interessantes Klassensystem trifft auf schwammige Kämpfe. Gut geschriebene Dialoge müssen auf Sprachausgabe verzichten. Die spannende und interessante Geschichte wird immer wieder ausgebremst. Und selbst die an sich gelungenen Charaktere leiden unter Klischees und oftmals marginaler Entwicklung. Trotzdem hatte ich viel Spaß mit Harvestella. Das grundlegende Gameplay versteht es zu motivieren. Spätestens sobald ich mich mit den Macken arrangiert hatte, hat mich das Farming-Rollenspiel voll in seinen Bann gezogen. Dass ich weiterspielen wollte, lag vor allem an der faszinierenden Welt, der spannenden Geschichte und einigen interessanten Charakteren. Dennoch fällt es mir schwer, Harvestella uneingeschränkt zu empfehlen. Fans von Bauernhofsimulationen mit Rollenspiel-Elementen wie Rune Factory oder auch Stardew Valley werden nur bedingt das finden, was sie erwarten. Vielmehr ist Harvestella ein japanisches Rollenspiel mit leichten Farming-Elementen. Wer sich auf Genre-Konzeption und die Schwächen einlassen kann, erhält ein kurzweiliges Rollenspiel, das zu motiveren weiß und Spielspaß bietet.