
Bravely Default Flying Fairy HD Remaster – TEST
Ein zerstörtes Dorf, eine rätselhafte Prophezeiung und vier unwahrscheinliche Helden – vor über zehn Jahren zog Bravely Default uns mit dieser Mischung in seinen Bann. Der moderne JRPG-Klassiker kehrt nun auf Nintendo Switch 2 im neuen HD-Gewand zurück und lädt uns erneut ein, in ein wunderschönes Märchen voller Mut, Magie und Kristalle einzutauchen.
Kaum in der Spielwelt Luxendarc angekommen, erleben wir gleich zu Beginn eine Reihe von Katastrophen: Ein Ritual mit einem riesigen Kristall geht scheinbar schief, und eine junge Frau bekommt Schwierigkeiten. Ein riesiger Spalt tut sich auf und verschlingt Norende, das Heimatdorf des jungen Tiz, vor seinen Augen – inklusive seinen Schafen und seinem Bruder. Als einziger Überlebender bitten wir als Tiz den lokalen Herrscher um Hilfe und stolpern von einer seltsamen Situation in die nächste. Bald finden wir eine Gefährtin, die junge Frau mit dem Kristallproblem, der wir uns aufdrängen. Wir haben schließlich nichts besseres zu tun, als ihr zu helfen, das riesige Loch wieder zu schließen.
In einem mehrstündigen Auftakt schweißt sich so eine ungewöhnliche Heldengruppe zusammen. Nur widerwillig verbünden sich der gutmütigeDorfjunge Tiz, die gläubige Vestalin Agnès, der geheimnisvolle Frauenheld Ringabel ohne Gedächtnis und die abtrünnige Kriegerin Edea aus feindlichen Reihen, um die drohende Dunkelheit aufzuhalten. Vier Kristalle halten das Gleichgewicht der Welt zusammen, doch sie sind von Dunkelheit überzogen. Um die Elemente zu retten, müssen wir sie mit Agnès’ Hilfe wiedererwecken – eine Reise voller Gefahren, schrulligen Gestalten und Wendungen beginnt. Noch ahnen wir nicht, worauf wir uns da eingelassen haben.
Wiedersehen macht Freude
Beflügelt von Nostalgie war die Freude bei vielen groß, als Square Enix eine Rückkehr dieses Klassikers ankündigte. Bravely Default erschien ursprünglich 2012 auf dem Nintendo 3DS und gilt seither als moderner JRPG-Meilenstein. Das Abenteuer im Retro-Gewand überzeugte damals mit einem Mix aus Nostalgie und frischen Ideen und eroberte die Herzen vieler Rollenspielfans im Sturm. In den Jahren 2015 und 2021 folgten zwei Fortsetzungen namens Bravely Second und Bravely Default II, doch das Original blieb ein verlorenes Juwel auf veralteter Hardware. Über ein Jahrzehnt war es an die Technik und Verbreitung des 3DS gebunden, was den Genuss erschwerte. Nun, zum Launch der Switch 2, dürfen wir das Epos endlich wieder erleben – und für viele von euch ist es vielleicht sogar das erste Mal, dass ihr diese Reise antreten könnt.
In den Kämpfen greifen wir auf ein taktisches System zurück, das dem Spiel seinen Namen verleiht. Anstatt stumpf rundenbasiert anzugreifen, können wir unsere Züge flexibel bündeln. Auf Knopfdruck gehen wir in Verteidigung, also „Default“, um eine Aktion für später aufzusparen, oder wir nehmen via „Brave“ mehrere Aktionen vorweg, was uns allerdings für einige Runden verwundbar macht. Inzwischen auch von Spielen wie Octopath Traveler so ähnlich übernommen, funktioniert das gut. Dieses Risiko-Schaden-Prinzip verleiht den Gefechten eine ungeahnte Tiefe: Wir können schwächere Gegner in einem einzigen Zug ausschalten oder in Bedrängnis geraten, wenn wir zu viel wagen. Besonders hilfreich ist, dass ihr im Remaster Kampfgeschwindigkeit und Zufallskampf-Rate einstellen könnt. Zwischendurch nötige Grind-Passagen lassen sich damit beschleunigen oder Feinde vermeiden, ohne dass wir Spielspaß einbüßen – je nach Situation.
Job-Synergien
Doch nicht nur das Kampfsystem fesselt – auch die Vielfalt an Jobs und Fähigkeiten motiviert ungemein. Im Verlauf des Abenteuers schalten wir über sogenannte Asterisken – magische Embleme, die wir besiegten Bossen entreißen – nach und nach neue Klassen frei. Vom klassischen Weißmagier über den agilen Ninja bis zum mächtigen Schwertmeister. Jede Figur kann zwei Jobs gleichzeitig kombinieren, was unzählige Strategien ermöglicht. Während andere Rollenspiele über unterschiedliche Gruppenzusammensetzungen Vielfalt ins Spiel bringen, tut Bravely Default das hier mit den Jobs.
Wir experimentieren mit Kombinationen, um das effektivste Teams für jede Herausforderung zu formen – und genau hier entfaltet Bravely Default langfristig seinen Reiz. Selbst nach Dutzenden Stunden finden wir noch neue Synergien zwischen den Fähigkeiten unserer Heldentruppe, die uns triumphieren lassen, wo wir zuvor scheiterten. Manchmal ist hierfür nötig, ein paar Erfahrungspunkte außerhalb der Haupt-Questreihe zu erkämpfen, aber das nehmen wir für den Fortschritt in den Jobs gern in Kauf. Dank anpassbarem Schwierigkeitsgrad kommen dabei sowohl Veteranen als auch Neulinge auf ihre Kosten.
Märchenbuch zum Leben erweckt
Schon in den ersten Minuten verzaubert uns die dichte Atmosphäre. Wir staunen über die Szenarien, die wie detailverliebte Gemälde wirken. In der HD-Neuauflage kommen die Aquarell-Städte und malerischen Landschaften noch strahlender zur Geltung – hier hat das Remaster ganze Arbeit geleistet. Unsere Helden bewegen sich als knuddelige Chibi-Figuren durch diese Bilderbuchwelt, was zunächst ungewohnt scheint, aber perfekt zum märchenhaften Ton passt. Ihnen sehen wir allerdings deutlich an, dass das Spiel seinen Ursprung auf dem 3DS hatte, denn die Figuren scheinen aus weniger Polygonen zu bestehen als Mario in seinem Nintendo-64-Debut.
Unterstützt wird die Stimmung von Bravely Default mit einem grandiosen Soundtrack, der von verträumten Melodien bis zu bombastischen Kampf-Themen reicht. Wir haben uns sofort in die Glöckchen-Melodie des Speicher- und später Dorfbildschirms verliebt. Jede Stadt erhält ein eigenes Leitmotiv, und wenn im Bosskampf die rockigen Gitarren einsetzen, fühlen die die angespannte Stimmung deutlich. Dank kompletter Sprachausgabe in Englisch oder Japanisch wirken die emotionalen Szenen zudem sehr mitreißend. Auf Deutsch können wir währenddessen allerdings nur lesen.
Aufpoliert und flüssig
Technisch zeigt sich Bravely Default: Flying Fairy HD absolut zeitgemäß. Das Spiel läuft auf der Switch 2 butterweich mit 60 Bildern pro Sekunde und strahlt in hoher Auflösung, was den charmanten Grafikstil voll zur Geltung bringt. Endlich können wir Luxendarc auf dem großen Bildschirm bewundern, ohne matschige Texturen befürchten zu müssen. Die Entwickler haben das Interface geschickt für einen einzelnen Screen überarbeitet. Sämtliche Menüs und Anzeigen sind übersichtlich untergebracht – hier fällt uns die 3DS-Herkunft nicht auf. Ladezeiten fallen minimal aus und insgesamt ist die Neuauflage technisch gelungen. Die schlichten Charaktermodelle und verhältnismäßig einfachen Effekte erinnern noch an die Handheld-Ursprünge. Das trübt den Gesamteindruck jedoch kaum, denn die HD-Neuauflage versetzt uns zurück nach Luxendarc, als wäre es nie gealtert.
Feenstaub im Gepäck
Zudem haben die Entwickler der Neuauflage ein paar Extras spendiert. So gibt es nun neue optionale Mini-Spiele, die clever die exklusiven Funktionen der Switch 2 nutzen. In einem Luftschiff fliegen wir beispielsweise via Maus-Steuerung einen Abschnitt und müssen währenddessen nicht nur Gästewünsche erfüllen, sondern auch technische Probleme lösen und Gegner abwehren. Das ist herrlich stressig! An anderer Stelle dürfen wir hingegen in einem Rhythmus-Spiel mit unseren Controllern ebenfalls in Maus-Steuerung im Takt der Musik mitfiebern. Solche Einlagen sind nette Dreingaben und fügen sich überraschend gut in die Welt ein, ohne vom eigentlichen Abenteuer abzulenken.
Größere Neuerungen halten sich ansonsten angenehm im Hintergrund. Ihr könnt nun komfortabler speichern und auf Wunsch Zwischensequenzen überspringen, und die ehemaligen StreetPass-Funktionen des Originals wurden sinnvoll ersetzt. Wir können nun im Dorf Norende, das wir wieder aufbauen dürfen, durch den Verlauf von Echtzeit auf Fortschritte warten, statt einen angeschalteten 3DS mit uns herumtragen zu müssen. Eine Änderung, die euch vermutlich überhaupt nicht auffällt, wenn ihr das Original nicht kennt. Unterm Strich bleibt es genau das Spiel, das wir in Erinnerung hatten – nur hervorragend an die heutige Zeit angepasst. Für die heutige Zeit ist es eine herrliche Empfehlung für alle, denen Zufallskämpfe nichts ausmachen und die spannende Geschichten in einem niedlichen Rollenspiel mögen.
Geschrieben von Arne Ruddat
Fazit:
Ich betrete Luxendarc ohne Nostalgie und werde sofort von einem Ohrwurm-Soundtrack umgarnt, der selbst Routinekämpfe wie kleine Bühnenauftritte wirken lässt. Die gemalten HD-Kulissen verströmen eine herrliche Märchenatmosphäre, während Tiz, Agnès, Ringabel und Edea als durchaus plausible Truppe voller Flausen und Zweifel ans Herz wachsen. Die Handlung verläuft klar von Kristall zu Kristall, schlägt dabei jedoch genug Haken, um mich mehrfach zu überraschen. Technisch passt alles: stabile 60 FPS, kurze Ladepausen und ein Interface, dem ich seine Herkunft des Doppelbildschirms nicht anmerke. Besonders überrascht haben mich die neuen Minispiele, die als erfrischende Verschnaufpausen dienen, ohne sich wie Füllmaterial anzufühlen. Das Brave-und-Default-System bleibt eine taktische Knobelangelegenheit. Mit der großen Job-Auswahl bin ich bis zur letzten Asterisk-Jagdtour motiviert. Dank einstellbarer Zufallskampf-Wahrscheinlichkeit ist Grind nur dann präsent, wenn ich ihn brauche und will. Für den veranschlagten Retailpreis von 40€ bekommt ihr einen Code-in-a-Box oder direkt einen digitalen Download. Doch das bietet ein rundes Paket, das klassisches JRPG-Design mit zeitgemäßem Komfort vereint. Wer hyperrealistische Grafik will oder zufällige Duelle verabscheut, sollte zum Start der Switch 2 einen Blick auf Cyberpunk 2077 werfen. Wer aber strategische Rundenschlachten, charismatische Figuren und eine sympathisch verspielte Präsentation schätzt, darf hier ohne zu zögern zugreifen.