Dragon Quest XI S: Streiter des Schicksals – Definitive Edition – TEST
Wenn Dragon Quest für eines steht, dann wohl für Tradition. Im Gegensatz zu Final Fantasy, eine Reihe, die regelmäßig versucht, neue Wege zu beschreiten, gehören Dragon-Quest-Titel immer zu den konservativen Spielen der japanischen Rollenspiele.
Dieser Ansatz ist bei Weitem nicht schlecht. Immerhin haben die Entwickler so die Möglichkeit auf einem bestehenden Grundgerüst aufzubauen und stets im Detail Verbesserungen vorzunehmen. Das bescherte uns 2018 weltweit Dragon Quest XI, ein besonders klassisches japanisches Rollenspiel in moderner Optik – und damit eine eindeutige Ausnahme in der heutigen Genre-Landschaft. Ziemlich genau ein Jahr später erscheint nun die Nintendo-Switch-Version mit dem üppigen Untertitel „S: Streiter des Schicksals – Definitive Edition“. Größe ist hier Programm, denn das sowieso schon umfangreiche Rollenspiel wurde um kleine wie große Elemente erweitert, die das Spielerlebnis maßgeblich verbessern.
Eine Heldenreise aus dem Bilderbuch
Stumm, profillos und dennoch der Auserwählte: Diese Charakterbeschreibung trifft den Protagonisten von Dragon Quest XI genauso gut wie die meisten Rollenspielhelden aus Japan. Auch wenn unser Charakter in diesem Spiel nicht viel zu bieten hat, lässt er damit mehr Platz für den Rest der sympathischen Begleitfiguren, die sich unserem Helden anschließen. Die Bewohner des Landes Erdrea können sich nämlich nicht entscheiden, ob wir nun der als Lichtbringer bezeichnete Held oder doch eher der Spross der Finsternis sind, die Verkörperung des Bösen. Antworten geben soll Yggdrasil, der Weltenbaum in der Mitte der Spielwelt (Xenoblade Chronicles 2 lässt grüßen). Der Weg dahin führt die Truppe durch etliche Gebiete unterschiedlichster Kulturkreise, die mitunter das Highlight von Dragon Quest XI darstellen.
Namen wie Zwistanbul und Puerto Valor sind als Städtenamen Programm. Dahinter befinden sich wunderschön designte Ortschaften mit kunterbunten Bewohnern. Meistens haben diese ein Problem, das uns in den örtlichen Dungeon schickt. Erst wenn wir diesen absolvieren und den obligatorischen Bossgegner besiegen, geht die lineare Story weiter. Diese Struktur trägt über die ersten fünfzehn Spielstunden hinweg, denn erst dann gerät die Story erst richtig ins Rollen. Bis dahin halten uns auch die einzigartigen Figuren bei Laune. Veronika zum Beispiel, eine im Kindeskörper gefangene, erfahrene Magierin, bedient zwar ein altbekanntes Klischee, sorgt aber ebenso für gute Laune wie der stetig spaßende Gaukler Rionaldo.
Schneller Kampffluss
Die charakterlichen Eigenheiten äußern sich auch im Kampf. Wie sollte es anderes sein, warten in Dragon Quest XI zwischen uns und unserem Ziel unzählige toll animierte Monster. Während sie sichtbar auf der Karte herumhüpfen, können wir mit einem getimten Schwertschlag schon Schaden austeilen, bevor der rundenbasierte Kampf startet. Anschließend geben wir bis zu vier Figuren die typischen Befehle, bestehend aus Angriffen, Magie und Fertigkeiten. Solange wir regelmäßig Gegner besiegen, haben wir die längste Zeit kein Bedürfnis zu Grinden. Die ohnehin schon kurzen und leichten Standardkämpfe laufen im Blitzschnell-Modus der Switch-Version noch schneller ab. Ein Komfort-Feature, das wir schon nach wenigen Minuten nicht mehr abschalten wollen.
Erst die Bossgegner verlangen ein Mindestmaß an Strategie und verlangen von uns, auch regelmäßig neue Skills freizuschalten. Ein Levelaufstieg bringt sowohl Erfahrungs- als auch Talentpunkte. Letztere investieren wir in übersichtliche und smart designte Talentbäume, dank denen wir jeden Charakter in zwei bis drei unterschiedliche Richtungen entwickeln können. Hier sehen wir auch schon zukünftige Fähigkeiten, sodass jedes Level-up mit Vorfreude einhergeht. Das Beste aber: An den serientypischen Speicherstatuen können wir für ein gewisses Endgeld Talentpunkte neue verteilen. Hier schafft Dragon Quest XI mit nur einem durchdachten System eine tolle Motivationsspirale, die zum Ausprobieren anregt und dem klassischen Kampfsystem eine frische Note verpasst, ohne sich zu entfremden.
Einfach rund
Auch darüber hinaus hat in Dragon Quest XI alles seinen Platz. Es gibt keine überflüssigen Ressourcen oder anderweitig aufgesetzte Systeme, die die Kernspielerfahrung verwässern. Ironischerweise gibt es ein Crafting-System, aber im Gegensatz zu den meisten Spielen ist dieses sehr gut eingebunden und eine regelmäßige Beschäftigung, der wir aufgrund der sinnvollen neuen Ausrüstungsgegenstände regelmäßig nachgehen. Ein neues Gebiet zu erkunden, ist ein weiteres Highlight. Areale, die wir am Horizont erkennen, werden von uns auch irgendwann besucht. Dazu spielt Dragon Quest XI geschickt mit Höhenunterschieden, sodass wir zum Bespiel regelmäßig auf bereits durchquerte Gebiete zurückblicken können. Das verpasst der Spielwelt eine tolle Glaubwürdigkeit, die uns das Zurückkehren in bekannte Areale nicht nervig, sondern natürlich erscheinen lässt. Es gibt zwar die einfältigen Höhlen- und Kerker-Dungeons, doch strapazieren diese unsere Aufmerksamkeit nie länger als zwanzig Minuten.
Technisch holt der Titel alles aus der Nintendo Switch heraus und begeistert regelmäßig mit seiner farbenfrohen Gestaltung. Im direkten Vergleich fällt die Switch-Version mit simpleren Lichteffekten und den etwas reduzierten Details schwächer aus als die PlayStation-4- und PC-Versionen, das Gesamtbild ist aber überaus rund und sauber. An den alten Kasten-Menüs erkennen wir die klassische Herkunft; trotzdem gibt es Shortcuts, die die Bedienung modern vereinfacht. Neu ist die japanische Sprachausgabe, die neben der Englischen (Britischen) auf der Cartridge enthalten ist. Unsere Ohren waren erfreut, den orchestrierten Soundtrack zu hören, auch wenn die schiefe, quietschige MIDI-Musik optional noch dazugeschaltet werden kann. Allerdings krankt der Soundtrack noch vom alten Problem der geringen Vielfalt.
Dauerbeschallung
Besonders beim Erkunden und auch in den Kämpfen erklingt derselbe Track in Dauerschleife. Verstärkt wird dieser negative Effekt von zwei Dingen: Der Soundtrack ist so pompös und auffällig, dass sich auch die Wiederholung sofort bemerkbar macht. Gleichzeitig steht der Soundtrack sehr selbstbewusst, stetig laut im Vordergrund und wird nur von der Sprachausgabe gelegentlich durchbrochen. Diese Design-Entscheidungen machen in Spielen wie Caligula Effect: Overdose Sinn, in Dragon Quest XI sind sie unpassend.
Ein Schritt in eine technisch ganz andere Richtung ist der 2D-Modus, den Spieler außerhalb Japans nun zum ersten Mal erleben dürfen. An den Speicherstatuen können wir an bestimmten Checkpoints in den 2D-Modus einsteigen und dort unser Abenteuer samt Spielfortschritt fortführen. Ein cooles, nostalgisches Feature, auch wenn wir lieber im 3D-Modus gespielt haben, schon alleine wegen den sichtbaren Gegnern.
So bizarr es auch ist, viele klassische Rollenspiele mit modernster Technik gibt es nicht. Dragon Quest XI S: Streiter des Schicksals – Definitive Edition zeigt, wie solide das Genre auch mit wenigen Anpassungen heute noch ist und alleine durch eine tolle Technik frisch wirken kann – und das auch mit nur wenigen Abstrichen auf der Nintendo Switch, die nun das wahrscheinlich beste Rollenspiel des Jahres vorweisen kann.
Geschrieben von Jonas Maier
Fazit:
Es fällt nicht leicht zu sagen, warum viele andere Rollenspiele um einiges schlechter sind als Dragon Quest XI. Wahrscheinlich liegt es daran, dass nichts fehl am Platz wirkt und alle Spielsysteme sinnvoll eingebunden sind. Keine dutzende überflüssigen Nebenmissionen, keine überbordende Talentbäume und keine sinnlosen Texteskapaden. Kurzum: Kein Gramm Fett, das die tolle Rollenspielerfahrung einschränkt. Einige wenige Dinge stören mich dann aber trotzdem: Nach vielen Spielstunden wird klar, dass die meisten Standardgegner auf der Oberwelt nie eine Gefahr darstellen werden und immer nach demselben Schema besiegt werden können.
Glücklicherweise vergeht im schnellsten Kampfmodus kaum Zeit pro Auseinandersetzung. Leider kann der Soundtrack bei diesem riesigen Rollenspiel einfach nicht mithalten und fällt sehr schnell mit Wiederholungen negativ auf, auch mit neuen orchestrierten Stücken. Trotzdem haben es für mich Figuren, Technik und das spaßige Skill-System geschafft, über die ersten 15 (!) Stunden hinwegzutragen, bevor die Story endlich loslegt. Dragon Quest XI S: Streiter des Schicksals – Definitive Edition ist ohne Frage ein Nintendo-Switch-Highlight des Jahres.