Kathy Rain: The Director’s Cut – TEST

Das klassische Point-and-Click-Adventure Kathy Rain des schwedischen Entwicklers Clifftop Games erschien 2016 exklusiv für den PC. Mit dem Ende Oktober 2021 veröffentlichten und erweiterten Director’s Cut können sich nun auch Switch-Besitzer in der Rolle der toughen Detektivin auf Spurensuche in der amerikanischen Kleinstadt Conwell Springs begeben.


Twin Peaks kann sicher als eine der einflussreichsten Fernsehserien der frühen 1990er-Jahre bezeichnet werden. Die von David Lynch und Mark Frost erdachte Mystery-Serie hat auch heute noch eine große Fangemeinde. Ein idyllisches Städtchen im Nordosten der USA mit schrullig-verschrobenen Einwohnern, eine Finsternis, die unter der ansonsten so makellosen Fassade lauert, gepaart mit dem für David Lynch typischen Surrealismus sind die Zutaten, die eine ganze Reihe von Nachahmern nach sich zogen. Auch im Videospielbereich finden sich einige Titel, welche aus ihrer Inspirationsquelle keinen Hehl machen, wie beispielsweise Alan Wake von Remedy Entertainment, Swerys Deadly Premonition oder Ron Gilberts Thimbleweed Park.

Auch Kathy Rain bedient sich sehr offensichtlich an Twin Peaks. Entwickelt wurde das Point-and-Click-Adventure aus dem Jahr 2016 vom schwedischen Spieledesigner Joel Staaf Hästö und seinem kleinen Studio Clifftop Games. Ursprünglich mit dem Untertitel „A Detective is Born“ versehen, deutete das Spiel an, dass es sich dabei um den Beginn von Kathys Detektivkarriere handelte, doch stattdessen war erst einmal Funkstille. Mit dem nun vorliegenden erweiterten Director’s Cut gibt es nun zumindest ein Lebenszeichen der Hauptdarstellerin.

Toughe Detektivin im verschlafenen Kaff

Kathy Rain spielt in den USA im September des Jahres 1995 über einen Zeitraum von fünf Tagen, die gleichzeitig als die Kapitel des Spiels dienen. Die titelgebende Heldin ist eine Journalismusstudentin mit bewegter Vergangenheit: Weil ihr Vater die Familie im Stich ließ, als sie noch ein kleines Mädchen war, wurde Kathy von ihrer psychisch kranken Mutter aufgezogen. Diese Umstände ließen sie zu einer pessimistischen und zynischen Person werden. Äußerlich ist Kathy das typische Tough Girl: sie hat gefärbte Haare, Piercings im Gesicht, trägt eine Lederjacke, raucht, trinkt, fährt Motorrad und hat immer einen sarkastischen Spruch auf den Lippen. Joel Staaf Hästö ließ sich dabei eigenen Aussagen zufolge von starken Frauenfiguren wie Veronica Mars oder Lisbeth Salander aus der Millennium-Trilogie inspirieren. Kathy ist als Charakter sehr sympathisch, aber an einigen Stellen wirkt sie ein wenig überzeichnet, da sie wirklich zu jeder Gelegenheit einen entsprechenden Kommentar ablässt. Hier wäre unserer Meinung nach etwas Zurückhaltung besser gewesen, um ihren Charakter etwas überzeugender darzustellen. Ihre Vergangenheit und ihre inneren Konflikte, welche sich im späteren Verlauf des Spiels offenbaren, sind nämlich durchaus interessant.

Die Geschichte beginnt, als Kathy eines Abends sturzbetrunken in ihr Bett im Studentenwohnheim fällt. Im vom Alkohol vernebelten Halbschlaf erfährt sie von ihrer strebsamen Freundin und Mitbewohnerin Eileen, dass ihr Großvater Joseph Rain verstorben ist. Kurzerhand macht sie sich am nächsten Tag mit dem Motorrad auf den Weg in ihre Heimatstadt Conwell Springs, einem verschlafenen Städtchen irgendwo im Nirgendwo des ländlichen Amerikas. Dort angekommen wird schnell klar, dass die Umstände des Todes von Joseph Rain, obwohl von Polizei und Ärzten als natürlich beschrieben, einige Ungereimtheiten aufweisen. Kathy beginnt mit den Ermittlungen und entdeckt dabei, dass ihr Großvater eine Spur von Hinweisen hinterlassen hat, die auf ein dunkles Geheimnis unter der makellosen Fassade des kleinen Städtchens schließen lassen. Die junge Detektivin ermittelt in einem verschlungenen Mystery-Krimi, der im späteren Verlauf genau wie sein großes Vorbild Twin Peaks sehr in übernatürliche Gefilde abdriftet.

Mit Notizblock und Kombinationsgabe

Im Großen und Ganzen spielt sich Kathy Rain wie ein klassisches Adventure der alten Schule. Die Steuerung wurde jedoch für die Switch-Version angepasst. So steuern wir unsere toughe Heldin nicht mehr mit der Maus durch die schön gezeichneten Hintergründe, sondern mit dem linken Analogstick. Drücken wir den Stick, sehen wir alle Objekte, mit denen wir interagieren können. Mit dem rechten Analogstick wählen wir eines der Objekte aus und untersuchen dieses mit dem Druck auf den A-Knopf. Dies wäre eigentlich gar nicht so schlimm, wenn wir den rechten Analogstick nicht in die exakte Richtung des Objektes gedrückt halten müssten, um es zu untersuchen. Mit dem X-Knopf öffnen wir unser Inventar und können mit Y einen ausgewählten Gegenstand festhalten, um ihn mit B mit einem Objekt aus der Umgebung zu kombinieren. Dies alles ist am Anfang etwas gewöhnungsbedürftig und fummelig. Im Laufe der Zeit gewöhnen wir uns zwar automatisch an die Steuerung, doch bleibt sie auch dann noch etwas umständlich. Alternativ gibt es die Möglichkeit, eine Touchscreen-Steuerung zu nutzen, welche direkt von der Mobile-Version des Spiels übernommen wurde. Allerdings wäre es unserer Meinung nach vielleicht besser gewesen, entweder die ursprüngliche Maus-Steuerung, angepasst an die Switch, oder eine direkte Maus-Unterstützung zumindest als Option beizubehalten.

Nach dem anfänglichen Kampf mit der Steuerung gestaltet sich der Rest der Spurensuche in Conwell Springs allerdings recht angenehm, wenn auch ein wenig konventionell. Die Rätsel sind allesamt logisch aufgebaut und verzichten zum Glück auf die für Adventures oft typischen Trial-and-Error-Passagen mit hanebüchenen Lösungen. Dies kommt einerseits natürlich dem Spielfluss sehr zugute, auf der anderen Seite sticht dadurch aber auch keines der Rätsel wirklich heraus, obwohl später auch ein paar Kopfnüsse dabei sind.

Unser bester Freund bei den Ermittlungen in Conwell Springs ist Kathys Notizbuch, in das die junge Detektivin automatisch alle relevanten Stichwörter einträgt. Bei den zahlreichen Gesprächen mit den unterschiedlichen und interessanten Einwohnern der Kleinstadt können wir unsere Gegenüber gezielt nach den Einträgen befragen. Dies führt in einigen Fällen zum Eintrag von neuen Stichwörtern und bringt uns im Idealfall der Lösung des Rätsels ein Stück näher. Angenehmerweise ist die Anzahl der Notizen recht übersichtlich, und Kathy pflegt sie automatisch, indem sie alte und nicht mehr relevante Einträge löscht oder ergänzt. Somit wissen wir eigentlich immer genau, was wir zu tun haben und mit welchen Fragen wir die Gesprächspartner löchern müssen.

Auch das Inventar bleibt das ganze Abenteuer über recht übersichtlich. Nutzlose Gegenstände finden wir nicht, und etwaige rote Heringe, also Gegenstände, die uns absichtlich auf die falsche Fährte führen, gibt es auch nicht. Kathy ist zudem trotz ihrer rebellischen Natur sehr ordnungsbewusst und entfernt Objekte, die wir nicht mehr brauchen, sofort aus ihrer Tasche. Sehr vorbildlich!

Stimmungsvolle Spurensuche mit erweiterten Rätseln und neuen Szenen

Entwickelt wurde Kathy Rain mit dem Adventure Game Studio genannten Entwicklungs-Tool. Aus diesem Grund erinnern die schön gezeichneten und atmosphärischen Hintergründe auch sehr an die Adventures des Entwicklers Wadjet Games, welcher das Tool ebenfalls verwendet. Für den Director’s Cut wurden die Hintergründe zudem vom 4:3-Bildformat des Originals auf ein für die Switch passendes Breitbildformat gebracht. Die einzelnen Locations in und um Conwell Springs überzeugen mit vielen kleinen Details und erzeugen durch ihre recht gedeckte Farbwahl eine zur Geschichte passende melancholische Stimmung. Gleiches tut auch die Musik von Komponist Daniel H. Kobylarz, die mit ihren ruhigen melancholischen und manchmal auch etwas unheimlichen Melodien vom Stil her an die Musik von Akira Yamaoka (Silent Hill) oder den Twin-Peaks-Soundtrack von Angelo Badalamenti erinnern.

Zwischen den einzelnen Orten bewegen wir uns mit Kathys Motorrad, dessen Aussehen wir im Director’s Cut mit mehreren Karosserien, die im Verlauf des Spiels zu finden sind, verändern können. Dies ist natürlich nicht die einzige Neuerung gegenüber dem Original. Kenner der ursprünglichen Version erkennen eine ganze Reihe von neu eingefügten Szenen und Locations. Spielern, welche die Version von 2016 nicht kennen, wird dies natürlich nicht auffallen, aber diese Ergänzungen fügen sich nahtlos in den Rest des Spiels ein und erweitern die Geschichte sinnvoll.

Auch die bereits in der ursprünglichen Version vorhandenen Rätsel wurden verändert und in manchen Fällen erweitert. So können wir zum Beispiel relativ am Anfang in der Polizeistation nicht einfach so in den Zellentrakt spazieren, um an die Akte von Kathys Großvater zu kommen, wie es im Original möglich ist. Stattdessen müssen wir im Director’s Cut zunächst den jungen Hilfssheriff ablenken, indem wir ihn neuen Kaffee kochen lassen. Dies erreichen wir, indem wir vorher in einem unbeobachteten Moment die Kaffeekanne in einem Blumentopf entleeren. Bemerkt der griesgrämige Sheriff, dass kein Kaffee mehr da ist, fährt er seinen Deputy an, der ihm daraufhin sofort einen neuen kocht. In diesem Moment können wir unbemerkt in den Zellentrakt gelangen. Für Kenner des Originals ist dies sicherlich eine Abwechslung, aber zusammen mit den neuen Szenen nicht unbedingt ein Grund, den Director’s Cut zu spielen. Es sei denn, sie sind wirklich große Fans des Spiels. Alle anderen interessierten Adventure-Fans können allerdings bedenkenlos zugreifen.

Geschrieben von Markus Schoenenborn

Fazit:

Nach meinem anfänglichen Kampf mit der etwas umständlichen Steuerung gefiel mir der erneute Ausflug nach Conwell Springs wieder recht gut. Die Pixelgrafik ist sehr schön anzuschauen und der Soundtrack sehr atmosphärisch. Auch die Story ist interessant, sodass ich schon gerne wissen möchte, wie sie ausgeht. Als großer David-Lynch- und Twin-Peaks-Fan gefallen mir auch die vielen kleinen Anspielungen auf die Kultserie, auch wenn sie manchmal nicht sonderlich subtil sind. Neben der Story und den Charakteren lebt ein Adventure natürlich auch von seinen Rätseln. Diese sind zum Glück nicht wie bei vielen anderen Genre-Vertretern an den Haaren herbeigezogen. Unlogische Rätsel vermiesen mir sonst zu oft den Spaß an Point-and-Click Adventures. Bei Kathy Rain sind alle Rätsel logisch aufgebaut und können mal mit mehr und mal mit weniger Kombinationsgabe gelöst werden, was mir sehr gut gefällt. So komme ich dem Geheimnis von Conwell Springs ohne Frust Stück für Stück näher. Auch wenn die Geschichte gegen Ende etwas an Schwung verliert und eher zu einer persönlichen Reise für Kathy wird, hatte ich viel Spaß mit dem Spiel. Adventure-Fans, die das Original nicht kennen, können bedenkenlos zugreifen und auch auf der Switch einen spannenden Mystery-Krimi erleben. Diejenigen, die das Original schon durchgespielt haben, sollten sich hingegen überlegen, ob die neuen Szenen und veränderten Rätsel einen erneuten Kauf rechtfertigen.