Mothmen 1966 – TEST

Mit Mothmen 1966 erschien am 14. Juli 2022 eine Visual Novel rund um das gleichnamige moderne Fabelwesen aus den USA. In dem interaktiven Horror-Thriller begleiten wir eine Gruppe von drei Personen durch eine von US-amerikanischen Groschenromanen inspirierte Geschichte rund um die seltsamen Ereignisse während der Leoniden-Meteoritenschauer von 1966.


Der Mothman gehört zu den bekanntesten modernen Fabelwesen aus den USA und wurde zwischen November 1966 und Dezember 1967 in der Gegend um die Kleinstadt Point Pleasant in West Viriginia gesichtet. Zeugen beschrieben ihn als eine geflügelte, menschenähnliche Gestalt mit glühend roten Augen. In den folgenden Jahren wurde er nicht zuletzt durch das Buch Die Mothman-Prophezeiungen des Parapsychologen John Keel mit UFO-Sichtungen und düsteren Vorhersagen in Verbindung gebracht, welches im Jahr 2002 mit Richard Gere in der Hauptrolle verfilmt wurde. Auch in diversen Serien wie Akte X wurde die Legende verarbeitet, und natürlich wurde der scheue Cryptid auch immer wieder in verschiedenen Videospielreihen gesichtet, wie beispielsweise Shin Megami Tensei und Persona, in Fallout oder in Castlevania.

Nun widmet sich also das argentinische LCB Game Studio der Legende um den Mothman und veröffentlichte am 14. Juli 2022 mit Mothmen 1966 eine Visual Novel, welche sich an den Groschenromanen der 1950er- und 1960er-Jahre orientiert. „Pixel Pulp“ nennt der Entwickler deshalb das Projekt, angelehnt an eben solche US-amerikanische „Pulp-Novels“. Auf Mothmen 1966 sollen zunächst zwei weitere Visual Novels, nämlich Varney Lake und Bahnsen Knights folgen, die zu einem späteren Datum veröffentlicht werden. Realisiert wurde das Projekt mit der Hilfe des argentinischen Autors Nico Saraintaris und des Künstlers Fernando Martinez Ruppel, welche dem interaktiven Roman ihre eigene Note geben.

 

Drei Personen und die Mottenmänner

Mothmen 1966 ist eine Visual Novel im Retro-Look der Computerspiele aus den 1980er-Jahren. Wir übernehmen dabei abwechselnd die Rolle von drei Protagonisten, die sich eher zufällig in einer schicksalhaften Nacht zur falschen Zeit am falschen Ort aufhalten und gemeinsam versuchen, diese zu überleben. Als erstes wäre da Holt, ein Tankstellenbesitzer, der eher zurückgezogen lebt, unheimlich gerne Solitär spielt und in seiner Garage an seltsamen Waffen und Maschinen aus der Zeit des amerikanischen Bürgerkriegs herumbastelt. In jener Nacht wird er von einer Gruppe unheimlicher, in schwarzen Anzügen gekleideter Männer besucht, die ihm seltsame Fragen stellen und seine geliebten Spielkarten anknabbern.

Die beiden anderen spielbaren Protagonisten sind der College-Student Lee und seine schwangere Freundin Victoria. Das junge Pärchen ist auf dem Weg in die Wälder von West Virginia, um den Leoniden-Meteoritenschauer bei einem romantischen Date zu bewundern. Allerdings haben beide, wie wir in ihren Kapiteln herausfinden, mit persönlichem Ballast und Sorgen zu kämpfen und versuchen die Zukunft ihrer Beziehung zu erörtern. Als vierter Charakter gesellt sich dann noch der lokale Schriftsteller Lou Hill zu der Gruppe. Lou ist bei der Recherche zu einem neuen Roman über die seltsamen Wesen, die in den Wäldern gesichtet wurden. Er ist allerdings nicht spielbar, sondern fungiert eher als unterstützende Person zu den drei Protagonisten.

Diese vier Personen begegnen sich also mehr oder weniger zufällig und müssen sich plötzlich gegen seltsame geflügelte Kreaturen mit rot glühenden Augen zur Wehr setzen. Wie der Titel des Spiels es schon andeutet, bekommen es die Charaktere nämlich nicht nur mit einem Mothman zu tun, sondern gleich mit mehreren, und zu allem Überfluss noch mit anderen bizarren Gestalten. Die Geschichte ist dabei, was für eine Visual Novel natürlich besonders wichtig ist, gut geschrieben und baut durchaus einiges an Spannung auf. Leider ist Mothmen 1966 aber wirklich kurz und ist schon nach einer bis anderthalb Stunden vorbei. Am Ende fällt die Geschichte dabei auch etwas ab, endet recht unbefriedigend und lässt einige Fragen offen. Vielleicht lösen ja die noch kommenden zwei Visual Novels der Pixel-Pulp-Reihe diese ungeklärten Fragen noch auf, aber im Moment lässt uns das Spiel am Ende dann doch etwas verwirrt und enttäuscht zurück. Zudem sind die Bezüge zur tatsächlichen Mothman-Legende dann doch leider recht dünn. Hier wurde unserer Meinung nach das narrative Potential, das am Anfang durchaus aufgebaut wurde, etwas verschenkt.

 

Interaktiver Roman in stimmungsvoller Retro-Optik

Die Optik des Spiels ist in einem minimalistischen Retro-Look gehalten, der an die Acht-Farben-Optik des Sinclair ZX Spectrum Computers oder CGA-Grafikkarten erinnert. Die manchmal minimal animierten Standbilder, welche den Text begleiten, sind dabei gut in Szene gesetzt und können durch die begrenzte Anzahl an Farben durchaus eine passende, unheimliche Stimmung erzeugen, die uns direkt in die Urzeit der klassischen Adventures zurückversetzt.

Gleiches gilt auch für die Sounduntermalung, die größtenteils aus kurzen MIDI-Samples besteht, welche bei wichtigen Szenen oder plötzlichen Ereignissen abgespielt werden. Die meiste Zeit bleibt das Spiel still.

 

Viel Text und umständliche Rätsel

Wie es sich für eine Visual Novel gehört, sind wir die meiste Zeit mit dem Lesen des Textes beschäftigt. Dabei wird der Text immer von einer statischen Illustration der derzeitigen Situation begleitet. Insgesamt ist der Verlauf der Geschichte äußerst linear, die Änderungen in der Geschichte durch die Wahl unterschiedlicher Dialogoptionen sind minimal. An einigen Stellen geraten unsere Protagonisten jedoch in lebensgefährliche Situationen und müssen Entscheidungen treffen, bei denen eine falsche Wahl unser vorzeitiges Ableben zur Folge hat. So müssen wir beispielsweise mit Lee ein Rudel Kojoten abwehren oder Lou anweisen, Straßenlaternen in einer bestimmten Reihenfolge auszuschießen, damit wir einen von den Mothmen belagerten Parkplatz überqueren können. Die meisten dieser Situationen sind allerdings keine wirklichen Puzzles, sondern setzen eher auf ein Trial-and-Error-Prinzip, bei dem wir nur die richtige Reihenfolge der Aktionen herausfinden müssen um zu überleben. Haben wir bei einer Situation ins Gras gebissen, starten wir wieder am Anfang dieser Szene. Insgesamt dienen diese kleinen Rätsel eher der Auflockerung und stellen keine sonderlich große Herausforderung dar.

Anders verhält es sich dann schon bei zwei besonders knackigen Rätseln, die wir im Verlauf des Spiels vorgesetzt bekommen. So müssen wir beispielsweise einmal eine unmögliche Partie Solitär spielen oder relativ am Ende des Abenteuers ein recht komplexes Schiebepuzzle lösen. Diese kniffligen Aufgaben werden dabei genau wie die restlichen Trial-and-Error-Sequenzen über Textbausteine gesteuert. Dies passt zwar zum Gesamtkonzept des 1980er-Jahre Retro-Adventures, ist aber in der Praxis dann doch etwas zu umständlich und fummelig. So müssen wir beispielsweise bei dem Schiebe-Puzzle, um jedes einzelne Teil bewegen zu können, zunächst per Textbaustein die jeweilige Reihe, dann das Puzzleteil und dann die Drehrichtung auswählen. Ungeduldige Spieler werden so schnell in den Wahnsinn getrieben. Beim Solitär verhält es sich ganz genauso. Hier wäre es definitiv besser und angenehmer gewesen, zumindest für diese Stellen im Spiel eine Cursor-Steuerng anzubieten. Glücklicherweise können wir nach ein paar Versuchen Holt beziehungsweise Lou bitten, das Rätsel für uns zu lösen. Auswirkungen auf den weiteren Spielverlauf hat dies unserer Erfahrung nach glücklicherweise nicht. Das Solitär kann übrigens auch direkt vom Titelbildschirm ausgewählt und separat vom eigentlichen Abenteuer gespielt werden.

Geschrieben von Markus Schoenenborn

Fazit:

Mothmen 1966 weiß durch seine Retro-Optik im Stil der Computer-Adventures der 1980er-Jahre durchaus zu gefallen und baut gerade durch seinen minimalistischen Stil in Grafik und Sound eine angenehm gruselige und spannende Atmosphäre auf. Die Story ist gut geschrieben und die Charaktere durchaus interessant, aber leider ist das Ganze dann viel zu schnell auch wieder vorbei. Nach knapp einer Stunde endet das Spiel abrupt und lässt mich etwas enttäuscht zurück. Die anfangs aufgebauten inneren und äußeren Konflikte der Charaktere werden letztlich wenig gelöst, eine Entwicklung der Spielfiguren findet kaum statt. Während mich die Trial-and-Error-Rätsel nicht sonderlich gestört haben und ich sie eher als eine Auflockerung der Visual Novel sehe, sieht das bei den zwei anderen Rätseln, dem Solitär und dem Schieberätsel schon anders aus. Die textbasierte Steuerung ist extrem umständlich und hat meine Geduld sehr auf die Probe gestellt. Anscheinend war dies den Entwicklern bewusst und bieten deshalb die Option an, die Rätsel zu überspringen. Allerdings stelle ich mir dabei die Frage, warum die Entwickler an dieser Stelle nicht zumindest optional eine Cursor-Steuerung angeboten haben. Trotzdem unterhält mich Mothmen 1966 während seiner kurzen Spieldauer und trotz seiner Macken durchaus. Die Entwickler haben meiner Meinung nach das Ziel, einen Pulp-Roman im Retro-Look der Adventures 1980er-Jahre zu erschaffen, zum großen Teil erfüllt. Zwar kann ich keine uneingeschränkte Kaufempfehlung geben, aber interessierte Spieler können sich das Spiel auch aufgrund des Preises durchaus einmal anschauen. Für ein wenig Grusel an einem verregneten Abend taugt es allemal.