New Pokémon Snap – TEST

Im Jahr 1999 erschien in Japan mit Pokémon Snap für das Nintendo 64 das wohl beliebteste Spin-off des gesamten Pokémon-Franchises. Es dauerte mehr als zwei Jahrzehnte und ewiges Flehen der Fans, bis der Nachfolger New Pokémon Snap im April 2021 veröffentlicht werden konnte – und dieser zaubert uns ein Lächeln ins Gesicht, das wir einfach nicht kommen sahen.


Wie für die Marke üblich, erzählt auch New Pokémon Snap keine großartige Handlung. Vor Beginn des Spiels schustern wir uns einen Hobby-Fotografen zusammen und sollen Professor Mirror bei der Erforschung der sagenumwobenen Lentil-Region helfen. Also schnappen wir uns unseren Fotoapparat, knipsen auf den verschiedenen Inseln der Region Bilder von den unterschiedlichsten Pokémon und kommen nach und nach dem ominösen Lumina-Phänomen auf die Schliche. Bei diesem Naturereignis leuchten Pokémon plötzlich auf. Irgendwie scheint das Phänomen mit den Mysterien der Inselwelt zusammenzuhängen.

Bis wir das Geheimnis jedoch gelüftet haben, vergehen gut und gerne zehn bis fünfzehn Spielstunden. In dieser Zeit lernen wir außerdem Professor Mirrors tatkräftige Assistentin Rita kennen, die uns mit Rat und Tat zur Seite steht. Später kommen auch noch zwei weitere Charaktere hinzu, von denen eine Figur Fans des Vorgängers und den ersten Staffeln der Anime-Serie schon bekannt sein dürfte. Grundsätzlich wird die Geschichte über Dialoge im Visual-Novel-Style und hin und wieder auch über vorgerenderte Zwischensequenzen erzählt. In die Tiefe geht die Story zwar nie so richtig, doch reicht sie definitiv aus, um uns bis zum Abspann bei Laune zu halten und die farbenfrohe Spielwelt einzutauchen. Dafür kosten wir das Gameplay voll und ganz aus.

Abwechslungsreiches Ökosystem

New Pokémon Snap fühlt sich wie ein Rail-Shooter an, nur machen wir eben nicht mit scharfer Munition, sondern mit einer Fotokamera Jagd auf die vielfältige Fauna der Lentil-Region. Bei diesem Rail-Photo-Shooter befinden wir uns durchweg in einem Neo-One-Mobil genannten Vehikel, das nahezu vollautomatisch durch die Spielwelt leitet. Wir bewegen uns über saftige Blumenwiesen, durch dichte Dschungel und staubtrockene Wüsten, über verschneite Bergregionen und idyllische Strände. Auch Tauchvorgänge weit unter die Meeresoberfläche sind im Programm enthalten.

Dabei sind wir stets darauf bedacht, die Pokémon in ihrer freien Wildbahn zu fotografieren. In dieser geht es weitgehend friedlich zu, nur gelegentlich jagen Prädatoren ihre vermeintliche Beute. Dennoch verhalten sich die Monster allesamt einzigartig. Pikachus Vorstufe Pichu und das affenähnliche Chimpep spielen und tollen gemeinsam herum, das Flug-Pokémon Panzaeron flitzt durch die frostigen Lüfte, das feurige Tornupto sonnt sich im Schein von Lavaseen und das chamäleonartige Kecleon tarnt sich an Ästen hängend im dichten Dickicht. Es macht unglaublich viel Spaß, all diese Eigenheiten der Monster und vor allem den Weg herauszufinden, wie wir die Pokémon dazu bringen, eine bestimmte Pose einzunehmen. Durch das abwechslungsreiche Ökosystem wird uns so schnell nicht langweilig.

Gestaltung einer Bildkomposition

Damit die Pokémon besagte Posen einnehmen, stehen uns mehrere Möglichkeiten zur Verfügung. Am einfachsten wäre es, die Füße stillzuhalten und das einzigartige Verhalten im richtigen Augenblick auf einem Foto festzuhalten. Da sich aber nicht alle Pokémon so verhalten, dürfen wir auch nachhelfen. Unter anderem können wir ihnen einen so genannten Samtapfel zum Fressen hinwerfen, eine Melodie spielen, um sie aus dem Schlaf zu reißen, oder mit einer Lumina-Kugel bewerfen, um im Pokémon besondere Kräfte zu wecken. Da sich die meisten Pokémon auf einer Tour gleich verhalten, ist auch das Timing ein wichtiger Faktor, sodass wir auch schon mal den Turbo des Neo-One-Mobils zünden müssen oder die Geschwindigkeit durch den Kamera-Zoom-Modus temporär verringern.

Unsere Hauptaufgabe ist, von den Pokémon auf jeder Route ein Foto in vier unterschiedlichen Bewertungsstufen zu schießen, bei der Bewertung am Ende auszuwählen und dafür Punkte in den Kategorien Pose, Größe, Blickrichtung und Positionierung zu kassieren. Punkte gibt es ebenfalls für weitere auf dem Bild abgelichteten Pokémon und für den Hintergrund. Wer sich schon einmal im Rahmen der Kunsthistorik mit dem Thema Fotografie auseinandergesetzt hat, weiß spätestens bei New Pokémon Snap selbst sehr gut, wie schwierig eine funktionierende Bildkomposition sein kann.

Überaus geheimnisvolle Spielwelt

Haben wir genug Punkte auf einer Route gesammelt, steigen wir auf dieser im Level auf. Das heißt, dass sich die Pokémon bei der nächsten Tour bereits an uns gewöhnt haben, anders auf ihre Umwelt reagieren und sogar weitere Monster zum Vorschein kommen. In einigen Fällen stehen auf den verschiedenen Strecken auch unterschiedliche Tageszeiten zur Auswahl, die noch ein wenig mehr Varianz ins Spiel bringen. So schlafen zu später Stunde einige Pokémon und nachtaktive Wesen machen die Gegend unsicher.

Selbst nach dem Abspann ist es mehr als nur wahrscheinlich, dass wir Neues auf der Strecke entdecken. Das igelgroße Pokémon Shaymin taucht beispielsweise schon während einer der ersten Touren auf, ist aber so klein, dass wir es im hohen Gras ständig übersehen. New Pokémon Snap ist in so vielen Punkten so unglaublich abwechslungsreich, dass es selbst nach Stunden immer wieder überrascht. Hinzu kommen zu den 214 enthaltenen Pokémon über zweihundert Spezialaufträge, bei denen wir bestimmte Motive einfangen müssen. So stoßen wir mitunter auf weitere Geheimnisse. Dennoch sind die Auftragsbeschreibungen oftmals vage, sodass wir vieles immer noch auf eigene Faust herausfinden müssen. New Pokémon Snap bleibt weitgehend geheimnisvoll, was dazu ermuntert, mit den Monstern auf wirklich jede erdenkliche Art und Weise zu interagieren

Kleine Progressionshindernisse

Dank dieser geheimnisvollen Spielmechanik kosten wir einerseits den Reiz der Fotografie bis an seine Grenzen aus. Andererseits geizt das Spiel auch in jenen Momenten mit Informationen, in denen wir eigentlich Fortschritte erzielen wollen, Besonders wenn wir mehrere Tage nicht mehr gespielt haben, wissen wir einfach nicht, was das nächste primäre Ziel ist. Hier hätte ein richtiges Tagebuch mit Hinweisen zum Spielfortschritt unseres Fotografen wahre Wunder gewirkt, anstatt Informationen häppchenüberweise über Sprechblasen über den Charakterporträts am unteren Bildrand auf der Übersichtskarte zu vermitteln. Mit Geduld, einem gesunden Forscherdrang und Lust zur Fotografie ist diese Hürde aber auch beim wiederholten Abklappern der einzelnen Strecken schnell genommen.

Im Übrigen geht New Pokémon Snap in puncto Bedienung leicht von der Hand. Mit den beiden Analog-Sticks schauen wir uns in der Gegend um und bedienen aus der Ego-Perspektive zusätzlich einen Cursor, um bestimmte Motive auszuwählen. Das ist besonders dann wichtig, wenn wir auffallende Stellen scannen wollen, um eine alternative Route durchs aktuell zu erforschende Gebiet zu finden oder Pflanzen und Ruinen zu erfassen, die wichtig für die Progression sind. Positiv fällt uns hierbei auf, dass wir die Intensität der (Cursor-)Bewegungen im Optionsmenü personalisieren können.

Verschenktes Potenzial im Fotodex

Aufgrund der technischen Voraussetzungen ist es auch möglich, die Kameraperspektive durch Schwenkbewegungen des Pro Controllers zu verändern. Im Handheld-Modus ist dies dank der in den Joy-cons verbauten Gyrosensoren ebenfalls eine Option. Im Falle von New Pokémon Snap ist es schade, dass Virtual Reality für Nintendo zum Veröffentlichungszeitpunkt des Spiels kein Thema ist, denn das Spiel ist prädestiniert für die Brillentechnik – so stark empfinden wir die Immersion beim Fotografieren!

Obwohl die Bedienung weitgehend gut bis sehr gut funktioniert, empfinden wir nur das Spielmenü ein wenig unhandlich. Zwar werden alle Fotografien im Fotodex schön säuberlich aufgeführt und zum Teil auch in verschiedene Kategorien gegliedert, doch zeigt dieses Album aller geknipsten Bilder wiederum keine fehlenden Inhalte. Zusatzinformationen zu den Pokémon erhalten wir hier ebenso nicht. In diesem Punkt verschenken die Entwickler bei den Bandai Namco Studios reichlich Potenzial. So haben wir zwar stets im Blickfeld, welche Pokémon wir bereits abgelichtet haben, doch welchen Fortschritt der Professor bei seiner Forschung dadurch gemacht hat, verrät uns das Spiel leider nicht. Immerhin dürfen wir mit freigeschalteten Stempeln, Bilderrahmen und Filtern geschossene Fotos kreativ bearbeiten und im Anschluss sogar auf unsere MicroSD-Karte exportieren.

Beeindruckender Augenschmaus

Unter optischen Gesichtspunkten gehört New Pokémon Snap definitiv zu den hübschesten Spielen auf der Nintendo Switch. Die abwechslungsreiche Spielwelt ist schick gestaltet und auch die meisten Texturen lassen sich sehen. Bei den geschossenen Fotos sieht es wiederum ein wenig anders aus. Damit diese nicht zu viel Platz auf dem internen Speicher der Hybridkonsole belegen, werden diese in der Auflösung teilweise stark komprimiert. Da neben den jeweils vier wichtigen Motiven für den Fotodex nur ein paar dutzend Eigenkreationen gespeichert werden können, offeriert einem das Spiel später den Spielstand unwiderruflich um etwa zweihundert Megabytes zu vergrößern, um circa vierhundert weitere Fotos speichern zu können.

Wer also zu enthusiastisch beim Fotoschießen ist, kommt so schnell wohl nicht an seine Grenzen. Ihr könnt uns in diesem Zusammenhang ruhig glauben, dass ihr den Spielstand sehr gerne vergrößern wollt. Das liegt vor allem daran, dass die zahlreichen Modelle der Pokémon, die unterschiedlicher kaum ausfallen könnten, glaubhaft umgesetzt und vor allem facettenreich animiert sind. Wer einen Blick in die Credits wirft, erkennt sofort, wie viele Menschen ihr Herzblut in dieses Spiel haben fließen lassen. Genau in solchen Momenten, in denen die Grafik eines Spiels zum Gameplay-Element befördert wird, ist das mehr als nur spürbar.

Entspannende Musikuntermalung

Auf dem heimischen Fernseher läuft New Pokémon Snap sehr flüssig. Im Handheld-Modus hat das Spiel jedoch mit leichten Framerate-Einbrüchen zu kämpfen, was insbesondere beim Umsehen via Gyrosensor auffällt und für ein flaues Gefühl in der Magengrube sorgt. Für diesen Fauxpas entschädigt die Musik von Komponist Hashimoto Hiroki, der auch schon an Pokémon Tekken und Daemon X Machina beteiligt war. Seine Werke verleihen dem Abenteuer eine eigene Note. So wecken die Melodien unseren Erkundungsdrang, immer mehr Pokémon zu fotografieren, die letzten Winkel der Spielwelt zu erforschen und die Story voranzutreiben. Auch die Unterschiede zwischen den Tageszeiten gehen in den Soundtrack über, denn so sind die Musikstücke am Tag eher etwas flotter, während sie nachts ein wenig gemächlicher aus den Lautsprechern trällern.

Des Weiteren verfügt das Spiel über eine englische und japanische Sprachausgabe, wobei es sich dabei fast ausschließlich um Sprachfetzen handelt. Es existieren nur wenige gesprochene Sätze und Dialoge. Die japanische Synchronisation geht in Ordnung, reißt aber wie die englische Sprachausgabe keine Bäume aus. Qualitativ sind diese auf gleicher Höhe. Wer des Japanischen nicht mächtig ist, greift womöglich zur englischen Variante, da auch während der Fahrt im Neo-One-Mobil gesprochene Kommentare eintrudeln – und es wäre doch schade, ständig durch das Lesen aus der dichten Atmosphäre gerissen zu werden.

Geschrieben von Eric Ebelt

Fazit:

 

Ein bekanntes deutsches Sprichwort besagt, was lange währt, wird endlich gut. In meinen Augen trifft kaum eine andere Bezeichnung auf New Pokémon Snap zu. Nach über zwanzig Jahren hat Nintendo endlich ein Erbarmen mit den Fans und führt das nach wie vor unverbrauchte Konzept vom Nintendo 64 auf der Nintendo Switch nahtlos fort. Die omnipräsente Story ist zwar nicht so spannend, wie ich es mir möglicherweise gewünscht hätte, doch sie ist interessant genug, damit das Gameplay flutscht – und wie es flutscht! Es macht unglaublich viel Spaß, die Inselwelt der Lentil-Region zu erkunden, über zweihundert Pokémon zu fotografieren, ihr Verhalten auf Bildern einzufangen und mehr und mehr über das Lumina-Phänomen herauszufinden. Noch dazu verzaubert mich das Spiel mit seiner hübschen Optik und seinen fantasievollen Klängen. Auch dass ich die Intensität der Steuerung ganz auf meine Wünsche zuschneiden kann, ist ein großer Pluspunkt für New Pokémon Snap. Meiner Meinung nach hat das Spiel einfach alles, was ich mir für einen Nachfolger des Nintendo-64-Klassikers gewünscht habe. Da sehe ich auch gerne über Unzulänglichkeiten wie das Fehlen einer durchgehenden (und deutschen) Sprachausgabe und den leichten Framerate-Einbrüchen im Handheld-Modus hinweg. New Pokémon Snap gehört schlicht und einfach zu den Must-haves, die in einer Switch-Videospielsammlung auf keinen Fall fehlen dürfen!