Night Call – TEST
Videospiele, in denen wir einen Taxifahrer mimen, existieren nicht erst seit gestern, sind aber dennoch eine Rarität. Night Call verarbeitet das Setting im Stil einer Visual Novel und schickt uns auf die Suche nach einem Mörder, der die französische Hauptstadt unsicher macht.
Night Call erzählt die Geschichte eines gefährlichen Serienmörders, der des Nachts durch die Straßen von Paris streift. Wir schlüpfen in die Rolle eines kaum näher definierten Taxifahrers, der eine Nahtoderfahrung macht und ins Koma fällt. Aus diesem aufgewacht, erfahren wir, dass der Killer unseren letzten Fahrgast ermordet und uns krankenhausreif geschlagen hat. Mit einem mulmigen Gefühl im Magen setzen wir uns wieder hinters Steuer, auch wenn die Gefahr besteht, dass der Mörder sein mögliches Werk zu Ende bringen könnte. Kaum haben wir unsere ersten Fahrten gedreht, schaltet sich die französische Polizei ein. Sie weiß, dass wir vor einiger Zeit im Gefängnis saßen und einen neuen beziehungsweise falschen Namen tragen.
Von Lieutenant Busset werden wir erpresst und müssen ihr dabei helfen, den Täter zu überführen. Eine In-Game-Woche lang bleibt uns Zeit, Fahrgäste durch Paris zu kutschieren und in den Dialogen mehr über die Nacht, den Vorfall und schließlich den Mörder herauszufinden. Diese Informationen sammeln sich automatisch als kleine Notizzettel an unserer zunehmend chaotischer werdenden Pinnwand an. Zudem müssen wir die Spritanzeige im Auge behalten und mit unserem Geld haushalten. Da wir unsere Schicht am frühen Morgen beenden, ist das nächtliche Kunststück, ökonomisch zu arbeiten und genügend Hintergründe aufzudecken.
Rastloser Taxifahrer
Bis auf Ausnahmen ist der Bildschirm in Night Call zweigeteilt. Auf der oberen Hälfte sehen wir, an welcher Stelle sich unser Taxi auf dem Straßenplan der Pariser Innenstadt befindet. Blicken wir auf die untere Bildschirmhälfte, erleben wir das aktuelle Geschehen quasi durch die Frontscheibe des Taxis. Wer sich auf Night Call einlässt, erlebt unzählige und teilweise ausufernde Dialoge. Mit rudimentären Mitteln, sprich leichten Bewegungen in der Mimik und Gestik, werden diese auf der unteren Hälfte des Bildschirms inszeniert. Eine Vertonung gibt es leider nicht, sodass wir darauf angewiesen sind, die auf Wunsch automatisch laufenden Untertitel-Dialoge aufmerksam zu verfolgen.
Nur wenn wir eine Frage stellen oder auf eine Aktion des Fahrgastes reagieren können, müssen wir zwangsweise eine Entscheidung treffen. Während der Dialoge dreht sich aber nicht alles um den Mord und den Täter. Oftmals geht es um profane Dinge, die die einzelnen Individuen belastet. So treffen wir zum Beispiel auf einen homosexuellen Polizisten, der Angst davor hat, sich vor seinen Kollegen zu outen. In einer anderen Nacht fahren wir wiederum einen ehemaligen Lottogewinner, der seine Millionen allesamt verschenkt hat. Dann gibt es auch noch einen Anwalt, der seinen Mandanten nicht mehr vertreten will, da trotz seiner Unschuldsbekundigung alle Beweise gegen ihn sprechen.
Paris Noire
Von diesen Charakteren gibt es gleich 89 verschiedene Figuren, die sich uns in den Wagen setzen können. Manchmal sammeln wir sie ein, manchmal steigen sie einfach hinzu. Night Call geizt sowohl in den Dialogen als auch während der Fahrt zum eigentlichen Zielort nicht mit Überraschungen. Es ist erstaunlich, mit wie viel Liebe den Entwicklern diese Individuen gelungen sind. Selbst der gesuchte Mörder befindet sich unter den Fahrgästen. Alle Figuren werden mit ihren über die Dialoge freischaltbaren Hintergründen zudem säuberlich in einer Übersicht katalogisiert, die auch beim nächsten Spielstart oder während der freien Fahrt aufgedeckt bleibt.
Je nachdem, welche Hinweise uns Busset oder die Fahrgäste zuspielen, können wir auch an Tatorten ermitteln und weitere Informationen sammeln oder mit barer Münze kaufen. Viel Freiheiten wie zum Beispiel in der Ace-Attorney-Reihe haben wir hierbei aber leider nicht, denn in erster Linie ist Night Call ein Adventure im Stil einer Visual Novel und verlässt dieses Konstrukt fast nie. Akustisch verleiht die ruhige Musik, passend zum schwarz-weißen Grafikstil, dem Spiel eine richtige Film-Noir-Stimmung. Schade ist aber, dass in puncto Technik Animationen und Gesagtes selten zusammenpassen und die Atmosphäre mildern. Für einen vier- bis fünfstündigen Spieldurchgang ist das aber noch verschmerzbar.
Geschrieben von Eric Ebelt
Fazit:
Night Call verarbeitet mit den Taxifahrten ein kaum genutztes Setting in Videospielform. Anstatt mich jedoch direkt hinters Steuer setzen zu dürfen, erlebe ich das Erzählte im Stil einer Visual Novel mit ein paar seichten Adventure-Einlagen. Nacht für Nacht fahre ich verschiedene Personen durch die Straßen von Paris und erfahre mehr über das Leben oder eher gesagt ihr Leben und ihre Probleme. Ich fühle mich wie ein Therapeut, der für die virtuellen Seelen da sein möchte. Da vergesse ich auch gerne mal, dass ich eigentlich Informationen sammeln muss, um am Ende der Woche der Polizei mitzuteilen, wer meiner Ansicht nach der Mörder ist. Das Konzept ist durchaus interessant, die Möglichkeiten der Ermittlung aber leider sehr begrenzt. Vor allem ärgere ich mich darüber, dass die Pinnwand in der Wohnung des Taxifahrers Tag für Tag unübersichtlicher wird und wirkliches Kombinieren sich zu einer Geduldsprobe entwickelt. Trotzdem spiele ich Night Call immer wieder gerne, um neue interessante Persönlichkeiten zu treffen.