Octopath Traveler II – TEST

Octopath Traveler II hat mit seinem Vorgänger zwar die HD-2D-Darstellung gemeinsam, bietet aber ein wesentlich runderes Spielerlebnis. Vieles, was am Vorgänger kritisiert wurde, ist im eigenständigen Nachfolger überarbeitet und verbessert worden.


Octopath Traveler II ist ein Rollenspiel mit rundenbasierten Zufallskämpfen, das am 24. Februar 2023 als Nachfolger des gleichnamigen ersten Teils erschienen ist. Die Entwicklerstudios Square Enix und Acquire Corp. haben versucht, alle Fehler des Vorgängers auszumerzen und uns ein Abenteuer zu bieten, das neue Geschichten von neuen Charakteren in einer neuen Welt erzählt. Wir haben eine Vorschau dazu geschrieben und dachten, dass es gut wäre, wenn die Charaktere mehr miteinander zu tun hätten, anstatt ihre Geschichten einzeln zu erleben, als wären ihre Gefährten nicht da.

Was haben wir uns geirrt! Die Annahme, dass es ausreichen würde, die Geschichten der acht Protagonisten stärker miteinander zu verknüpfen, ist bei weitem nicht alles, woran gearbeitet wurde und was dieses Spiel aus- und gut macht. Tatsächlich stehen die meisten Geschichten der Charaktere immer noch für sich. Aber es gibt jetzt Kommentare zwischen den Charakteren während der Kämpfe und auch zwischendurch reden sie miteinander. Es gibt sogar einige Crossover-Abenteuer, in denen die Charaktere zusammen reisen und somit direkt miteinander interagieren.

Unterhaltsame Geschichten

Der größte Unterschied in den Geschichten ist aber, dass sie nicht mehr alle nach dem gleichen Schema ablaufen. Im Vorgänger gab es immer eine Stadt, in die unsere jeweilige Figur kommt, eine Zwischensequenz, einen Dungeon, durch den wir uns kämpfen müssen und am Ende einen Boss, den es zu besiegen galt. Von diesem Schema weichen wir zwar nicht jedes Mal ab, aber es gibt genug andere Varianten, nach denen die Geschichten ablaufen. Partitio zum Beispiel, unser Kaufmannsheld, erlebt, wie sein Vater eine Stadt aufbaut, die ihm, als sie erfolgreich ist, wieder weggenommen wird. Er kommt einem Betrug auf die Spur und geht dagegen vor – ohne sich durch ein Verlies kämpfen zu müssen – und gewinnt dennoch genügend Motivation und Ideen für sein weiteres Vorgehen.

Bei allen Figuren spielt die Motivation eine wichtige Rolle. Manchmal ist es der Schutz von Freunden oder der vertrauten Umgebung, Rache, der Wunsch nach Gerechtigkeit oder Neugier. Manchmal ist es auch, wie bei Agnea, der innige Wunsch, ihrer Mutter nachzueifern und Tänzerin zu werden – ganz ohne Hintergedanken. In manchen Geschichten dürfen wir uns sogar für einen Weg entscheiden, erleben also in einem Spieldurchgang nicht alles, was es zu sehen gibt. Das ist aber auch nicht nötig, denn aus den vielen Nebengeschichten können wir uns die herauspicken, die uns interessant genug erscheinen und die anderen schlicht auslassen.

Acht sollt ihr sein

Zu Beginn suchen wir uns anhand einer Zeichnung und einer kurzen Beschreibung eine der acht Figuren aus. Diese Figur spielen wir gleich zu Beginn und sie ist dann auch unsere Hauptfigur, die wir nicht aus der Reisegruppe entfernen können. Wir empfehlen euch also dringend, jemanden zu wählen, der euch sympathisch genug ist, um mit ihm 60 bis 120 Stunden zu spielen. Wenn ihr im Laufe des Abenteuers auf die anderen sieben trefft, könnt ihr entscheiden, ob ihr ihre Abreisegeschichten sofort, später oder gar nicht spielen wollt. Um sie besser kennen zu lernen, ist es jedoch hilfreich, die Geschichten über den Beginn des jeweiligen Abenteuers zu kennen.

Jede Figur hat eine Geschichte, die in der Regel aus vier Teilen besteht, von denen einige düster beginnen und dann immer düsterer werden. Schon im Vorgänger gab es einige erwachsene Erlebnisse, aber hier sind viele der Geschichten für unsere Heldinnen und Helden traumatisch und sie müssen sich mehr oder weniger damit auseinandersetzen. Tod, Angst, Brutalität, Schmerz und Verlust sind nur einige der Themen, die unsere Figuren beschäftigen. Zum Glück haben sie einander und einige der anderen Charaktere sprechen diese Themen ebenfalls an und geben uns so ein Gefühl der Gemeinschaft untereinander.

Weltenbau

Wie der erste Teil spielt auch Octopath Traveler II in einer fiktiven Welt, die am besten als Fantasy-Steampunk-Version unseres industriellen 19. Jahrhunderts zu beschreiben ist. Neben der Modernität von Eisenbahnen gibt es Magie, einfache Schusswaffen und Schiffe, aber keine Mikrochips oder globale Kommunikation. Hierbei unterscheiden sich die Gebiete der beiden Kontinente von Solistia in ihrer Darstellung teilweise drastisch. Sandwüstengegenden stehen im Kontrast zu Gebirgen, Eislandschaften wechseln sich mit Tannenwäldern oder Urwäldern ab, Wiesen und Felder mit Inseln und kleine Dörfchen mit größeren Städten.

Besonders schön ist, dass wir jedes dieser Gebiete einfach betreten können, wenn uns danach ist und wir uns trauen, in Gebiete mit einem viel höheren Level vorzudringen. Alle Gebiete haben einen Level, der wiederum angibt, wie mächtig ihre Bewohner sind, vor allem die Monster und andere, die uns nicht wohl gesonnen sind. Hier machen schon wenige Stufen einen großen Unterschied, der Stufenanstieg ist steil.

Charakterentwicklungen

Nach einer bestimmten Anzahl von Erfahrungspunkten erhalten wir einen Levelaufstieg, der uns stärker macht. Die wichtigsten Verbesserungen kommen aber aus anderen Bereichen. Kleidung, Schmuck und Waffen können wir für Geld bei Händlern kaufen oder irgendwo finden, auch sie verbessern unsere Werte. Durch das Besiegen von Gegnern erhalten wir außerdem Jobpunkte, mit denen wir einzigartige Fähigkeiten unserer Heldinnen und Helden erwerben können, die mit ihrem Beruf zusammenhängen. Die Tänzerin Agnea hat hier ganz andere Möglichkeiten als der Krieger Hikari oder die Apothekerin Castti. Schon hier können wir wählen, in welche Richtung wir uns entwickeln wollen.

Mit den sekundären Berufen, die wir im Laufe des Spiels von lokalen Gilden erhalten, können wir eine ganze Reihe weiterer Fähigkeiten freischalten. Je mehr Berufsfähigkeiten wir freigeschaltet haben, desto mehr Unterstützungsfähigkeiten erhalten wir und können damit – wie der Name schon sagt – anderen helfen.

Kampfgeschehen

In den zahlreichen Kämpfen des Spiels finden sich viele bekannte Elemente aus dem Vorgänger wieder. Dass wir jede Runde einen Boost-Punkt erhalten, mit dem wir unsere Angriffe um bis zu vier Stufen verbessern können, und dass die Gegner Schwächen haben, wurde übernommen. Die Gegner haben einen Schutz, den wir durch Ausnutzen dieser Schwächen verringern können. Ist dieser auf Null gesunken, gelten sie als gebrochen, sind für eine Runde kampfunfähig und deutlich anfälliger für Schaden. Das Brechen unterbricht auch starke Angriffe, etwas von Bossen, die diese durch eine Vorbereitung ankündigen. Hier ist eine starke taktische Komponente enthalten.

Die Vorausplanung über mehrere Kampfrunden hinweg bringt uns große Vorteile, wenn wir dadurch einem mächtigen Bossangriff ausweichen und stattdessen selbst großen Schaden anrichten können. Auch unsere Berufe helfen uns mit ihren Fähigkeiten im Kampf. Dabei ist es hilfreich, unsere maximal vierköpfige Truppe aus den acht Charakteren gut zusammenzustellen. Zum einen sollten sie sich in ihren Waffen gut ergänzen, um möglichst viele Schwächen der Gegner abdecken zu können, zum anderen sollten wir schwächere mit stärkeren Charakteren mischen, damit wir unsere Charaktere aufleveln können, wenn wir sie stärker benötigen. Häufigeres Wechseln führt hier zum Ziel.

Stimmungsvolles Ambiente

Neu in Octopath Traveler II ist, dass es Tag und Nacht gibt, zwischen denen wir an vielen Stellen im Spiel jederzeit wechseln können. Auch der Wechsel zwischen der Tagesmusik der Szene und der entsprechenden Nachtmusik ist fließend, so dass es keine Brüche gibt und die Atmosphäre gut passt. Insgesamt ist der Soundtrack von Yasunori Nishiki wie schon bei Octopath Traveler absolut genial und beeindruckend. Wilde Kampfrhythmen in den Kämpfen, ruhige Hintergrundmusik in den nächtlichen, entspannten Szenen und düstere Klänge in den gruseligen Momenten wechseln sich ab, alles passt perfekt zur Umgebung. Dazu kommt die tolle englische Sprachausgabe, die die deutschen Texte mit Betonung und Stimmung ergänzt.

Mit der 2D-HD-Grafik hat Square Enix seinerzeit eine Nostalgie-Engine geschaffen, die jedes damit produzierte Spiel sofort zu einer Hommage an vergangene Zeiten macht. Live A Live, Octopath Traveler, dessen mobiler Ableger und Triangle Strategy sehen alle aus, als wären sie dem Fiebertraum eines SNES-Fans entsprungen. Auch Octopath Traveler II kombiniert Pixelgrafik mit Tiefenunschärfe und begeistert mit Volumeneffekten wie Nebel und einer neuen Kameratechnik. Im ersten Kapitel von Hikari beispielsweise wechselt die Szene mit einem Kameraschwenk von einem Berg vor einer Stadtkulisse zu einer Kampfszene, in der die Geschichte weitererzählt wird.

Extrameilen

Das sind die Momente, die Octopath Traveler II weit über eine einfache Fortsetzung hinausheben. Jedes Detail ist liebevoll gestaltet, jede Geschichte hat einen Hintergrund, jeder Charakter eine Geschichte. Alle Charaktere haben neue Fähigkeiten, die sich bei Tag und bei Nacht unterscheiden. Agnea kann Menschen Dinge abschwatzen, Partitio kann sie kaufen, Oswald kann sie stehlen. Hikari kann Menschen durch Bestechung Informationen entlocken, Oswald kann sie studieren, Temenos kann sie durch Kampf dazu bringen, etwas zu verraten. Es gibt also einige Überschneidungen in den Fähigkeiten, aber die Charaktere ergänzen sich gut.

Durch die Informationen, die wir den verschiedenen Personen entlocken können, erfahren wir so viele nette Details über die Welt, die wir für unser Weiterkommen gar nicht bräuchten, die uns aber Spaß machen. Zum Beispiel, dass der harmlose alte Mann, der überraschend stark ist, in seinem früheren Leben ein Attentäter war. Oder dass eine Frau in ihre Jugendbekanntschaft verliebt ist, die sich später als eine andere Frau herausstellt. All diese Dinge müssten wir nicht wissen, aber sie machen die ganze Welt von Solistia so viel tiefer und besser. Wir wollen plötzlich alles von allen wissen und verlieren und verlieben uns in all die kleinen Dinge dieser Welt. Ein Meisterwerk.

Geschrieben von Arne Ruddat

Fazit:

 

Ich hatte große Hoffnungen für Octopath Traveler II, weil Square Enix schon beim Vorgänger – damals mit der Demo – bewiesen hat, dass sie auf das Feedback der Fans hören und das bestmögliche Spiel machen wollen. Mit der Engine und dem Grundkonzept haben sie damals eine solide Basis geschaffen. Octopath Traveler II setzt noch einen drauf. Nebengeschichten, die überraschen, Hintergrundinformationen, die die Welt lebendiger denn je machen, andere Arten von Geschichten, die viel düsterer sind als zuvor. Außerdem muss man den ersten Teil nicht gespielt haben, sondern wird mit frischen Charakteren, unbekannten Geschichten und einer neuen Welt beglückt. Hatte ich schon das tolle Kampfsystem und den großartigen Soundtrack erwähnt? Allein der Tag-Nacht-Wechsel macht schon Spaß. Alles in allem ist Octopath Traveler II wahrscheinlich schon jetzt mein Rollenspiel des Jahres 2023.