Ōkami HD – TEST

2006 veröffentlichte Capcom das Action-Adventure Ōkami für Sonys PlayStation 2. Obwohl oder gerade weil sich das Spiel trotz spürbarer Qualitäten nur durchschnittlich gut verkaufte, wurde der Titel 2008 auf die Wii portiert. Jahre später folgten HD-Umsetzungen für verschiedene Systeme. Seit dem 9. August 2018 ist der Titel weltweit auch für die Switch verfügbar.


Dem japanischen Shintō zufolge gibt es eine schier unendliche Anzahl an göttlichen beziehungsweise spirituellen Wesen, die so genannten Kami, die überall im Land an verschiedenen Plätzen leben oder heimisch sind. Ōkami bedeutet aus dem Japanischen ins Deutsche übersetzt zwar so viel wie „großes göttliches Wesen“, doch haben sich die Entwickler hier einem Wortspiel bedient: In einem anderen Schriftzeichen geschrieben bedeutet der Begriff Kami auch Wolf. Dieser intelligente Kniff ist im Spiel anhand der Protagonistin auch deutlich zu erkennen: Wir schlüpfen in die Rolle der Sonnengöttin Amaterasu, die in einer Zeit der größten Not eine Wolfsgestalt annimmt, um das Land Nippon vor dem drohenden Untergang zu retten.

Obwohl Nippon klar als Japan identifiziert werden kann, handelt es sich in diesem Falle jedoch um eine Fantasy-Welt, die sich frech japanischen Mythen und Legenden bedient, sie umformuliert oder in einen neuen Kontext setzt. Schon im Intro wird von einem Helden namens Nagi gesprochen, der einhundert Jahre vor der Handlung des Spiels seine Geliebte Nami aus den Klauen des achtköpfigen Drachen Orochi rettete. Diese Figuren können zum Beispiel mit Izanagi no Mikoto und Izanami no Mikoto gleichgesetzt werden, die nach der Glaubensvorstellung das Land Japan erschufen. Wer sich mit der japanischen Mythologie beschäftigt, wird darüber schmunzeln – alle anderen erleben so einen nicht weniger epischen Spielauftakt.

Spirituelles Wesen, göttlicher Pinsel

Ōkami HD beginnt damit, dass der übermütige Krieger Susanō den seit einem Jahrhundert währenden Bann bricht, mit dem Orochi versiegelt wurde, und damit das Unheil heraufbeschwört. Überall wird Nippon in Dunkelheit gehüllt, weshalb Amaterasu erwacht, um dem Land seinen alten Glanz zurückzubringen. Unterstützung erhält sie dabei von dem vorlauten kleinen Issun, der ihr mit seiner Größe von circa drei Zentimetern im wahrsten Sinne des Wortes auf der Schnauze herumtanzt. Anfangs sind Amaterasu Kräfte von ihrem jahrhundertelangen Schlaf noch sehr geschwächt, sodass sie der Reihe nach dreizehn verschiedene Kami im ganzen Land aufsuchen muss. Diese verleihen ihr neue Fähigkeiten beziehungsweise Maltechniken.

Ausgestattet ist Amaterasu mit dem göttlichen Pinsel: Auf Knopfdruck können wir das Spielgeschehen einfrieren und mit dem Tintenvorrat in die Luft kritzeln. Durch ein paar Pinselstriche können so beispielsweise zerstörte Brücken repariert werden. Im weiteren Spielverlauf lernt Amaterasu aber noch wesentlich praktischere Techniken kennen. Mit einfachen Strichen können Behältnisse wie Krüge zerstört, ein Sturm entfacht oder rissige Wände zum Einsturz gebracht werden. Später dürfen wir so auch noch die Elemente Feuer und Wasser kontrollieren, um allerhand Rätsel in der dreidimensionalen und zudem noch stetig größer werdenden Spielwelt zu lösen – oder einfach nur experimentellen Schabernack anzustellen.

Bekanntes Spielkonzept neu aufgelegt

Anhand der ständig wachsenden Möglichkeiten und der somit wesentlich zugänglicheren Spielwelt lässt sich nicht leugnen, dass sich Ōkami HD stark an Nintendos The-Legend-of-Zelda-Reihe orientiert. Das heißt auch, dass Amaterasu in regelmäßigen Abständen verschiedene Dungeons wie Höhlen, Ruinen oder Schreine erkunden muss. Hier gilt es die richtigen Pinseltechniken einzusetzen und zu kombinieren, Schlüssel zum Öffnen von Türen aufzuspüren, Schalterrätsel zu lösen und am Ende den obligatorischen Bossgegner herauszufordern. Wie im großen Vorbild aus dem Hause Nintendo ist auch dieser nur mit einer bestimmten Taktik zu besiegen, nicht selten hilft im Kampf auch die im jeweiligen Dungeon erlernte Pinseltechnik.

Neben den Bosskämpfen warten im Spiel auch viele kleinere Kämpfe auf Amaterasu, die rollenspielartig in einem abgegrenzten Bereich innerhalb der Areale stattfinden. Hier greifen wir entweder mit langsamen und wirkungsvollen oder beständigen und schnelleren Nahkampfangriffen an, um die Lebensenergie von Oni und Co zu reduzieren. Auch hier ist es möglich, den Pinsel zu schwingen: Mit Windzügen können fliegende Gegner aus der Luft oder mit Flammen hölzerne Gegner in Brand gesetzt werden – und wer es ganz einfach mag, darf die Feinde auch schlicht in zwei Hälften spalten. Diese Vielfalt sorgt zusammen mit den Belohnungen bei einem Sieg dafür, dass jeder Kampf gerne in Angriff genommen wird.

Alle Hände voll zu tun

Obwohl es naheliegen würde, winken für gewonnene Kämpfe in der Regel keine Erfahrungspunkte. Diese erlangen wir jedoch für viele andere Tätigkeiten: Sobald wir ein Tor von einem Fluch befreien, an die knochigen Äste eines Baumes Blüten und Blätter zaubern oder schlicht Tiere füttern, erhalten wir dafür Erfahrungspunkte in Form von Glück. Dieses dürfen wir jederzeit sowohl in die Kapazitäten von Lebensenergie und Tintenvorrat investieren als auch für eine größere Geldbörse oder einen weiteren Magen ausgeben. An jeder Ecke in der Spielwelt kann Amaterasu allerhand feine Köstlichkeiten im Vorbeigehen mampfen, die den Magen füllen und sie zurück ins Leben rufen, wenn ihre Lebensenergie aufgebraucht ist.

Geld, das es ebenfalls für gewonnene Kämpfe gibt oder in Krügen versteckt ist, ist auch in Ōkami HD ein wichtiger Faktor. Nur mit der alten japanischen Währung Ryō, die in den deutschen Fassungen des Spiels seit 2006 ulkigerweise in den erst seit 1870 verwendeten Yen umgetauft wurde, können bei Händlern hilfreiche Items erworben und im Dōjō neue Kampftechniken erlernt werden, die den Alltag der Göttin spürbar erleichtern. Detektiven sollte es ebenso wenig wie Teilzeitjobbern jedoch selten an Münzen mangeln: An vielen Stellen lassen sich Schätze ausgraben oder Fische angeln, die bei den Kaufleuten zu Geld gemacht werden können. Da somit praktisch niemals Leerlauf ankommt, motivieren die optionalen Tätigkeiten zunehmend.

Benutzerfreundlichste (und beste) Version eines Meisterwerks

Auf der technischen Seite kann Ōkami HD trotz seines Alters mit Titeln des Jahres 2018 mithalten. Der wunderschöne Grafikstil, der an sumi-e, japanische Tuschmalerei, angelehnt ist, verzaubert mit satten Farben und leichten bis starken schwarzen Pinselstrichen und Schattierungen. Zudem ist es möglich, einen Papierfilter über das Spiel zu legen, um den künstlerischen Anspruch zu vertiefen. Einzig und allein, dass manche Objekte verspätet in der Gegend aufpoppen, ist im Jahr 2018 nicht mehr zeitgemäß und hätte schon bei den vorherigen HD-Fassungen vermieden werden sollen. Mit konstanten dreißig Bildern pro Sekunden läuft das Spiel dafür im stationären Betrieb in der Full-HD-Auflösung genauso flüssig wie im portablen Modus in 720p.

Das gesamte Geschehen wird mit einem fantastischen Soundtrack unterlegt: Während in Dörfern und am Tag auf den Ebenen meist fröhliche Musik aus den Lautsprechern ertönt, dürfen wir uns vor allem in Dungeons und verfluchten Bereichen mit bedrohlichen Klängen konfrontiert sehen. Wer schon einmal an der Ryōshima-Küste mit Amaterasu entlanggelaufen ist, wird auch den Ohrwurmcharakter sofort ins Herz schließen. Spielbar ist das Abenteuer zu guter Letzt auf drei verschiedene Weisen. Wenn auf Knopfdruck das Geschehen eingefroren wird, kann der göttliche Pinsel via Stick bewegt, mit einem Joy-con per Bewegungssteuerung in die Luft geschwungen oder mit dem Finger auf dem Touchscreen kontrolliert werden. Trotz gelegentlicher Aussetzer funktioniert die Bedienung überwiegend gut, was die Switch-Fassung von Ōkami HD zusammen mit Optionen für Links- und Rechtshänder zur benutzerfreundlichsten und möglicherweise besten Version des Spiels macht.

Geschrieben von Eric Ebelt

Fazit:

 

Schon auf PlayStation 2 und Wii gehörte Ōkami zu den besten Spielen beider Plattformen. An seinem alten Glanz hat der Titel in der HD-Fassung nichts verloren und spielt sich nach wie vor herausragend gut. Die an japanische Legenden und Mythen angelehnte Story ist interessant, mit liebevollen Haupt- und Nebenfiguren besetzt und mit reichlich Humor angereichert, sodass kein Auge trocken bleibt. Inhaltlich orientiert sich der Titel stark am The-Legend-of-Zelda-Franchise, was aber nicht negativ zu werten ist, da es sich bei Ōkami HD nicht um einen stumpfen Klon handelt. Alle Grundlagen der ruhmreichen Vorlage wurden verfeinert und zu einem eigenständigen Erlebnis gemacht. Die Übertragung des Item-Einsatzes auf den göttlichen Pinsel, der auf Wunsch auch per Joy-con geschwungen oder mit dem eigenen Finger im Handheld-Modus auf dem Touchscreen bewegt werden kann, ist sowohl intuitiv als auch innovativ – und sorgt obendrein in dem auf dutzende Stunden angelegten Abenteuer für viele kreative Rätsel und einen bemerkenswerten Spielfluss ohne jeglichen Leerlauf. Ōkami HD ist mit seinem prächtigen Grafikstil und dem phänomenalen Soundtrack ein Titel, der förmlich danach schreit, von jedem gespielt zu werden. Es ist damals wie heute ein Meisterwerk und gehört definitiv in die Sammlung aller Action-Adventure-Fans!