Paranormasight: The Seven Mysteries of Honjo – TEST
Die Visual Novel Paranormasight: The Seven Mysteries of Honjo nutzt ein modernes Tokyo-Setting für eine Handlung rund um traditionellen Großstadtlegenden vergangener Tage. Wie sich herausstellt, ergänzen sich diese Gegensätze wunderbar!
Es gibt einige Horror-Spiele, die die Großstadt Tokyo als Kulisse für traditionelle, folkloristische Gruselgeschichten inszenieren. Paranormasight ist aber weniger ein Action-Adventure wie das thematisch ähnliche Ghostwire: Tokyo, sondern vielmehr eine 2D-Visual-Novel ähnlich der Spirit-Hunter-Spiele. Die Erzählung wird vom sogenannten “Storyteller” eingerahmt, ein alter weißhaariger Greis, der uns in das Abenteuer einführt und direkt einmal klargestellt, dass Paranormasight gern die vierte Wand bricht.
Im Schatten einer Nacht
Richtig los geht die Geschichte aber in der Haut von Shogo Okiie. Im nächtlichen Honjo, einem Teil von Tokyo, wird ihm klar, dass seine Begeisterung fürs Übernatürliche und Skurrile auf einmal Realität annimmt. Die Handlung dreht sich um die sogenannten Fluchträger, wozu auch Shogo zählt. Sie besitzen die Kräfte der sieben Geheimnisse von Honjo und sind in der Lage, andere Fluchträger zu verfluchen (und damit das Leben zu nehmen). Als Belohnung winkt die Option, eine Person ihrer Wahl zurück ins Leben zu bringen. Natürlich trachten im nächtlichen Honjo auch andere Figuren nach Shogos Leben, denn die Fähigkeit der Wiederbelebung ist sehr begehrt.
Somit müssen wir uns bei jeder neuen Begegnung erneut in Acht nehmen und abwägen, für welche Antwortmöglichkeiten wir uns entscheiden. Im Laufe des Abenteuers treffen wir die unterschiedlichsten Figuren, die allesamt etwas Mysteriöses ausstrahlen und durchweg großartig gezeichnet sind. Wortwörtlich, denn auch wenn die Hintergründe von Honjo echte Fotografien zur Grundlage haben, sind die Figuren etwas Manga-artiger. Diese Mischung geht hervorragend auf und motivierte uns ebenso wie die flott-geschriebenen, prägnanten Texte, jede Unterhaltung einzugehen.
Fluchen und Verflucht werden
Beim Antworten sollten wir aber wie gesagt vorsichtig sein. Eine falsche Entscheidung kann einen Fluchträger dazu motivieren, seinen Fluch auf uns zu jagen was in einem Game Over mündet. Dort landen wir auch ohne unserer Kontrolle, wenn wir zum Beispiel einen Ort besuchen, an dem wir ohne ein bestimmtes Item noch nicht weiterkommen. Der Tod ist in diesem Spiel, wie in vielen anderen, ein normaler Weg, um neue Erkenntnisse zu sammeln und beim nächsten Versuch mit mehr Wissen eine andere Wahl zu treffen. In unserem Spielerlebnis empfanden wir das nicht als nervig, sondern sogar aufregend, da für uns nie klar war, ob wir auf dem richtigen Pfad sind oder nicht. Dazu speichert das Spiel regelmäßig automatisch ab, sodass kein Fortschritt verloren geht.
Überrascht wurden wir durch die Vielzahl kreativer Gameplay-Möglichkeiten, die Paranormasight im Rahmen des Mediums der Visual Novel nutzt. Manchmal müssen wir im Menü etwas einstellen oder selbst die Anzeigen im Spiel hinterfragen. Klasse ist auch die dynamische Inszenierung mit ständigen Wechseln der Bildausschnitte und Posen der Figuren. Der Text ist auch nicht starr in einem Textkasten gefangen, sondern erscheint je nach Situation frei im Bild neben den Figuren (allerdings nicht auf Deutsch – hier gibt es nur englische Texte). Diese lebhafte Darstellung sorgt für einen klasse Spielfluss und fühlt sich angenehm frisch an.
Keine Gefangenen
Die einzelnen Orte in Honjo reisen wir über eine Karte an, jeder Ort ist im Grunde nur eine Kulisse mit einigen wenigen Interaktionspunkten. Zum Beispiel bereisen wir die Ryogoku-Brücke, die den Fluss Sumida überspannt und den Kinshibori Park. Pro Ort treffen wir entweder auf wenige Figuren oder finden gegebenenfalls Items. Diese Gebiete steuern wir anhand eines Cursors per Analogstick oder sogar dem Touchscreen direkt an. Wie in den meisten Fällen, ist die Steuerung eines Cursors per Controller auch in Paranormasight eher müßig und nicht mit Präzision und Geschwindigkeit einer Maus zu vergleichen. Benutzen wir die Richtungstasten, können wir Menüpunkte zwar auch so auswählen, die ständige Präsenz des Cursors verleitet uns aber dazu, die kurzen Wege auch mit dieser unoptimierte Steuerung zu nehmen. Damit wir nicht pixelgenau die Umgebungen nach neuen Interaktionspunkten absuchen müssen, werden bereits erledigte Bereiche mit einem Haken neben dem Cursor markiert. Ein angenehmes Feature.
Schnell wird klar, dass wir neben Shogo auch die Rolle anderer Fluchträger übernehmen. Den Überblick über die Handlung behalten wir im Story Chart, denn wie auch in der Zero-Excape-Reihe oder in AI: The Somnium Files verzweigt sich die Handlung in unterschiedliche Richtungen und wir bekommen ab einem Punkt die Wahl, mit welcher Figur wir die Handlung fortsetzen wollen. Später müssen wir zu bereits erlebten Szenarien zurückkehren und mit einer anderen Antwortmöglichkeit eine neue Route freischalten. Hier wünschten wir uns eine Vorspulfunktion, um das bereits Gespielte abzukürzen. Hier sei gesagt, dass uns die prägnanten Figuren und stimmungsvollen Umgebungen trotzdem durchweg begeistern konnten. Das Spiel ist stilsicher und strahlt eine gewisse Qualität aus, ohne uns mit einer pompösen Inszenierung zu überfallen.
Lediglich zu Beginn wirkt Shogo wie unser Standard-Hauptcharakter ohne wirkliches Profil, der schnell zur rücksichtslosen Killermaschine wird und alte Männer wie junge Mädchen gleichermaßen mit seinem Fluch um die Ecke bringt. Das Ganze lässt ihn dabei ziemlich kalt. Mit harten sowie grotesken Darstellungen spart Paranormasight: The Seven Mysteries of Honjo auf keinen Fall.
Geschrieben von Jonas Maier
Fazit:
Von Beginn an konnten mich die charakterstarken Figuren, deren Stil und die lebendige Inszenierung der Story abholen. Genauso steht es um die verfremdeten Echtweltumgebungen. Richtig begeistert war ich aber erst, als sich die Handlung öffnete und immer mehr spannende Mysterien in den Mittelpunkt rücken. Hier kann Paranormasight: The Seven Mysteries of Honjo den Adventure- und Visual-Novel-Genrehighlights leicht das Wasser reichen.