Xenoblade Chronicles 3 – TEST
Rollenspiel-Epos Xenoblade Chronicles 3 kann einschüchternd wirken mit seinem Umfang, seiner Komplexität, seiner gigantischen Welt und seiner vielfältigen Geschichte. Ihr braucht dennoch keine Sorgen zu haben, denn der Einstieg ist leicht und ihr werdet reich belohnt.
Geschichtlich kann zusammengefasst werden, dass Xenoblade Chronicles 3 eine Art Roadtrip ist, eine Reise, gar eine vielschichtige Heldenreise. Wir lernen verschiedene Figuren und Landschaften kennen, erleben neue Blickwinkel aus politischer und persönlicher Sicht von nicht nur unseren Helden und Heldinnen, sondern auch manchen anderen Figuren. Aionios, die Welt von Xenoblade Chronicles 3, ist eine Mischung aus Fantasy und Science-Fiction. Fantasy ist mit seinen wilden Tieren aller Art und sonstigen Wesen enthalten, mit seinem archaisch wirkenden Waffenarsenal und seiner ländlichen Landschaft. Science Fiction kommt durch die verschiedenen Geräte in die Welt. Manche Waffen sind sehr futuristisch, Kampf-Roboter in verschiedenen Größen von mittelgroßen Levnissen hin zu den gigantischen Ferronissen tauchen allen Orts auf.
Wenn wir sagen, der Einstieg sei leicht, meinen wir das auch. Wir beginnen Xenoblade Chronicles 3 in einer Schlacht, die uns direkt bedeutungsvoll vorkommt, denn die drei ersten Hauptcharaktere kämpfen für das Wohl ihrer Kolonie. Noah ist ein Wegweiser, dessen Aufgabe es ist, Toten mit seiner Flöte den Weg ins Jenseits zu weisen und somit ihre Lebensenergie wieder dem Kosmos zurückzubringen. Lanz ist ein Muskelprotz, der schon immer auf Noah aufgepasst hat und Eunie ist eine Heilerin, deren Aufgabe es ist, ihre Begleiter im Kampf am Leben zu halten. „Schon immer“ ist in der Welt von Xenoblade Chronicles allerdings recht kurz, denn unsere Helden werden alle maximal zehn Jahre alt, wenn sie sich im Kampf lange genug von allem Tödlichen fernhalten.
Ewiger Kampf
Nach zehn Jahren im Leben der Soldaten und Soldatinnen gibt es eine Zeremonie, die sehr ehrenvoll ist und auch ihre Lebensenergie wieder dem Kosmos zuweist. Als Soldaten von Fraktion Keves wurden sie gezüchtet und ausgebildet. Ihre Organisation ist strikt hierarchischer Natur, militärisch üblich, und in Kolonien, die über das Land der Welt Aionios verteilt sind. Je nach ihrer Kampfleistung sind die Kolonien und ihre Soldaten in verschiedene Ränge eingeteilt, die sich an Baumaterialien und ihrer Edelkeit zu orientieren scheinen. Wir sind Teil von Kolonie 9, die den Erd-Rang hat, also ziemlich weit unten steht. Unsere Gegner in diesem Kampf ist die anscheinend einzige gegnerische Fraktion namens Agnus.
So viel bekommen wir direkt zu Anfang mit. Nun ist zwar Xenoblade Chronicles 3 ein Titel mit einer vermeintlichen Spielzeit von deutlich über fünfzig Spielstunden, jedoch könnte für den einen oder die andere schon etwas aus dem Anfang ein Spoiler sein. Etwas müssen wir aber schon erzählen, um das Spiel in seinen wichtigsten Grundzügen erklären zu können. Aber keine Sorge, so viel verraten wir nicht, nichts, was über die Trailer zum Spiel hinausgeht. Es gibt im Spielverlauf noch genügend überraschende Wendungen für euch, wenn ihr unseren Test gelesen habt. Falls ihr gar nichts darüber lesen wollt, überspringt ihr am besten das nächste Kapitel.
Eine Zeitenwende
Nach einigen Spielstunden treffen wir auf drei Figuren aus der gegnerischen Fraktion Agnus, mit denen wir uns verbünden. Mio, Taion und Sena schließen sich uns zunächst widerwillig an. Den sechsen ist gemein, dass sie fortan in ihren Augen keinen ablaufenden Zeitbalken mehr haben und somit anscheinend vor dem Tod durch den zehnten Geburtstag sicher sind. Sie stellen fest, dass sie gar nicht so unterschiedlich voneinander sind und im Grunde nicht gegeneinander kämpfen wollen und sollten. Und so machen wir es uns zur Aufgabe, diejenigen zu finden, die tatsächlich dafür sorgen, dass Keves und Agnus all die Jahre gegeneinander kämpfen.
Über die lange Zeitdauer des Spiels erfahren wir so immer mehr über unsere Widersacher, die Konsuln, und ihren Einfluss auf die Kolonien und ihre Beweggründe. Zusätzlich stellen wir fest, dass sich zwei von uns verbünden können, um gemeinsam ein Ouroboros zu werden. Hierbei handelt es sich nicht um eine Schlange, die sich in den Schwanz beißt, sondern ein größeres Wesen, das kurzfristig existiert und beide Persönlichkeiten in sich vereint. Das macht uns im Kampf erheblich widerstandsfähiger und stärker, wodurch wir es uns leisten können, gefährlichere Gegner überhaupt anzugehen.
Ohne Kampf kein Xenoblade Chronicles
Direkt im Tutorial-Kampf erfahren wir die grundlegenden Elemente des Kampfes, denn unsere Helden kämpfen automatisch und nutzen ihren Standard-Angriff automatisch, sobald sie in Reichweite eines Gegners sind. Wir können und müssen sie immer noch positionieren, und ihre Techniken nutzen. Manche von diesen Sonderaktionen haben die Nebenfunktion Schwanken, Umwerfen oder Ohnmacht. In dieser Reihenfolge ausgeführt, gern auch zwischen mehreren Kämpfern oder Kämpferinnen verteilt, bringt das unsere Gegner ziemlich in Schwierigkeiten und lässt uns zeitweise ungehindert auf sie eindreschen.
Für die Sonderfähigkeiten kommt auch das Klassensystem zum Tragen, das im Grunde in die klassischen Rollen aufgeteilt ist: Verteidiger, Heiler und Angreifer. Lanz beispielsweise beginnt als Verteidiger-Klasse ‚Mächtige Wache‘, Eunie als ‚Heil-Schütze‘ und Noah als ‚Schwertkämpfer‘. Mit diesen Klassen kommen Techniken hinzu, die eine jeweilige Funktion erfüllen. Als Mächtige Wache können wir die Wut unserer Kontrahentinnen auf uns ziehen, so greifen sie uns an, die wir am meisten Lebenspunkte haben. Als Heil-Schütze können wir anderen Charakteren Lebenskraft wiedergeben, was im Zweifel für den Verteidiger der Unterschied zwischen Leben und Tod sein kann. Angreifer greifen schlicht an, doch auch hier gibt es Dinge zu beachten, etwa die Position relativ zum Gegner. Manche Angriffe machen mehr Schaden, wenn wir etwa hinter dem Gegner stehen, Umwerfen funktioniert nur von der Seite.
Tutorial über zwanzig Stunden
Schön ist, dass wir im Laufe des Spiels lernen, die Klassen frei zu verteilen. Manche unserer Helden und Heldinnen eignen sich für manche Klasse zwar besser, aber nutzen können wir sie alle. Im einfachen Schwierigkeitsgrad, den ihr über das Menü in den Optionen jederzeit ändern könnt, müsst ihr nicht auf alle Feinheiten der Charakterfertigkeiten achten. Ihr bleibt also entspannt angesichts der vielen Aspekte, die eure Kampffertigkeiten beeinflussen. Wählt eure Klasse nach Laune aus. Gebt euren Heldinnen und Helden Juwelen, wie ihr mögt. Verteilt eurer Techniken, die auch aus anderen Klassen stammen können, gern nach ihrem Aussehen. Auch eure Synchronisationstechniken, eure Talente und eure Seelen im stetig mit Seelenpunkten erweiterbaren Seelenbaum könnt ihr im leichtesten Schwierigkeitsgrad stiefmütterlich behandeln.
Das Tutorial macht deshalb eine so gute Figur, weil es uns nicht überlädt. Wir können unseren aktuell gewählten Helden sogar automatisch kämpfen lassen, wenn uns danach ist und der aktuelle Gegner keinen wichtigeren Kampf darstellt. Graduell lernen wir Fähigkeiten und neue Funktionen kennen. Alle können wir im Trainingsmenü ausprobieren oder in Tipps, Heldenübersicht oder der Steuerung nachlesen. In den höheren Schwierigkeitsgraden ist das auch empfehlenswert. Falls ihr von Funktionen gelesen habt, die ihr partout nicht finden könnt, wurden die für euch einfach noch nicht freigeschaltet. So müsst ihr die Charaktereinstellungen erst händisch lernen, bevor ihr nach einem Dutzend Spielstunden die Funktion erhaltet, eure Charaktere automatisch ausrüsten zu lassen. ‚Alles zu seiner Zeit‘ ist hier Programm.
Technik und Landschaft
Alles an diesem Spiel ist gelungen, soviel vorweg. Zwar sind manche der Texturen nicht die saubersten, aber das macht Xenoblade Chronicles 3 mit anderen Aspekten wieder wett. So erleben wir es, dass wir anfangs schon das Gefühl haben, recht weit schauen zu können. Nicht einfach irgendwohin, sondern in die florierende, lebendig gestaltete, grandiose Landschaft. Nach weiteren zwei Spielstunden sind wir jedoch immer noch im gleichen Gebiet und haben uns nur vom Startpunkt aus wegbewegt. Unseren Horizont haben wir noch nicht erreicht, können dafür aber die gesamte Strecke lang zurücksehen und am Ende den riesengroßen Ferronissen erkennen, unter dem wir anfangs standen. Ein Punkt also an Monolith Soft für die Weitsicht. Zudem gibt es prozedural generierte Wolken, die ausgezeichnet aussehen, realistisch anmutenden Tag-Nacht-Wechsel, funktionierenden Kampf im Wasser und: die Animationen.
Unsere Charaktere laufen über den Fußboden, als wären sie echt. Es gibt keine im Fußboden verschwindenden Schuhe oder Füße, die in der Luft stehen, weil die Figur auf einer Schräge steht. Dazu passen die Proportionen in Xenoblade Chronicles 3, die alles weniger Chibi-artig und mehr nach echten Menschen aussehen lässt. Abgesehen von den aus den Vorgängern bekannten Katzenohren und Kopf-Flügeln, die auch hier vorhanden sind. Manches Mal stürzen unsere Begleiterinnen und Begleiter zwar von einem dünnen Steg, aber meistens verhalten sie sich recht schlau, gerade in Kämpfen erfüllen sie ihre Rollen gut.
Bewegtes Bild und bewegender Ton
Wer Xenoblade Chronicles 3 spielen möchte, sollte sich im Klaren darüber sein, dass es wirklich viele Szenen gibt, in denen wir zuschauen, statt selbst zu spielen. Manchmal fühlen wir uns, als würden wir einem Anime beiwohnen, so lang ist manche Zwischensequenz. Wir können in jeder davon pausieren, sie überspringen und später aus dem Menü erneut anschauen. Doch wir sind davon nicht schlecht unterhalten,denn sie sind weder langweilig noch anderweitig schlecht. Kinematografisch stehen sie einer Animeserie in Nichts nach. Wer möchte, kann statt der englischen Sprachausgabe auch die japanische Vertonung wählen, um einem Anime noch näher zu sein. Beide Varianten sind sehr gelungen. In der englischen jedoch sind serientypisch britische Sprecher und Sprecherinnen am Werk gewesen. Dadurch sind mitunter amüsante Ausdrücke enthalten, die für britisches Englisch typisch sind. Um Fluchen entgegenzuwirken, sprechen alle ein paar Fantasieworte und sagen zum Beispiel ‚Zum Funken‘ statt des gebräuchlicheren Original-Fluchs, der allerdings gepiept hätte werden müssen.
Akustisch ist Xenoblade Chronicles 3 ein absolutes Meisterwerk. Wir werden mit vollem 5.1-Surround-Sound verwöhnt, sofern unsere Hardware das hergibt. Das einzige Manko der Sprache sind die Samples, mit denen unsere Charaktere ihre Kämpfe beenden. So hören wir mehrere Hundert Male im Spiel, dass Lanz sich für den ‚MVP’ hält oder dass Eunie zu Noah sagt, Lanz hätte gern etwas fleischigere Action gehabt. Neben der einwandfreien Sprachausgabe kommen auch passende Geräusche und Soundeffekte zum Tragen. Diese sorgen insbesondere in dramatischeren Momenten für gelungene Atmosphäre und ziehen uns in den Bann. Ebenso schafft das auch der Soundtrack, ruhig in entspannten Momenten und Lagern, aufregend in Kämpfen und Zwischensequenzen.
Es gibt an Xenoblade Chronicles 3 wirklich nicht viel auszusetzen. Sicher hätte manche Textur schärfer sein können. Sicher hätte es gern mit 60 Bildern pro Sekunde laufen dürfen, statt perfekten 30. Und sicher hätte es gern in 4K oder gar 8K kommen können, aber die Switch ist schon etwas in die Jahre gekommen und bietet das nicht. Für das, was sie kann, gibt es vermutlich wenige Möglichkeiten, mehr herauszuholen. Somit ist Xenoblade Chronicles 3 spielerisch wie technisch sehr gelungen und eine klare Empfehlung.
Geschrieben von Arne Ruddat
Fazit:
Ich wusste nicht genau, worauf ich mich einließ, als ich Xenoblade Chronicles 3 zu testen anfragte. Von den Vorgängern sagten mir Freundinnen, dass sie sie großartig fanden und dass sie nach nur zwanzig Spielstunden so richtig in Fahrt kommen würden. Die meisten Spiele, die ich beende, sind dann schon lange vorbei. Doch ich wollte mich darauf einlassen müssen und hui, hat es sich gelohnt. Beeindruckende Landschaften von gigantischem Ausmaß, megalithische Kreaturen aus Fleisch oder Metall, ein akustisches Orchester aus Brillanz und eine Geschichte, die von Anfang bis Ende mitreißt, sind der Lohn für die Mühen. Welche Mühen eigentlich, denn Xenoblade Chronicles 3 führt so sanft in seine komplexen Mechaniken ein, dass sie alle nach kurzer Zeit ins Blut gehen, bevor die nächste kommt. Ohne Zweifel ist Xenoblade Chronicles 3 ein Meisterwerk, das mit seiner Spielzeit nicht quält, sondern belohnt.