Post aus Fernost: Der Reiz des Importierens – SPECIAL
Immer mehr Spiele erscheinen in Europa nur noch digital. Interkontinental sieht die Situation für Anhänger physischer Videospiele zum Glück anders aus – ein Import liegt nahe. Um den Reiz des Importierens nachzuvollziehen, soll ein Blick in die Geschichte geworfen werden.
Sehr wahrscheinlich werden die meisten Leser, die diese Zeilen nun lesen, noch nie ein Spiel importiert oder sich hiermit kaum bis gar nicht auseinandergesetzt haben. Der hiesige Markt reicht doch aus, könnte die Schlussfolgerung lauten. Dass dem nicht unbedingt so ist, soll im Folgenden erläutert werden, damit auch der letzte den Reiz des Importierens nachempfinden kann. Für den Import sprechen eine ganze Menge Gründe, die sich über die letzten Jahrzehnte stark gewandelt haben.
Deshalb ist an dieser Stelle eine Zeitreise in die späten 1980er- beziehungsweise in die 1990er-Jahre notwendig. Das Internet lernte in dieser Zeit für das breite Publikum das Laufen. Frisch gegründete Online-Versandhäuser wie Amazon oder auf Videospiele spezialisierte Online-Händler müssen ihre Käuferschicht mit der zunächst langsamen Ausbreitung des World Wide Web erst noch erschließen oder sogar überzeugen. In dieser Zeit bestellten Videospieler ihre liebsten Kulturgüter entweder telefonisch über den Versandhandel wie den Theo-Kranz-Versand, bei dem ein paar ältere Leser womöglich feuchte Augen bekommen, klassisch versteckt in der Spielwarenabteilung von Einkaufshäusern, in gut sortierten Supermärkten oder in Elektrofachmärkten, wo sich Spiele bis heute halten. Optionen, um Videospiele zu erwerben, gab es genug. Trotz der großen Auswahl gab es nur ein Problem: Bei Weitem sind nicht alle Videospiele in Nordamerika geschweige in Europa erschienen.
Regionale Einschränkungen
Massentaugliche Titel der Nintendo-Marke Super Mario oder dem Sega-Franchise Sonic the Hedgehog feierten auch außerhalb Japans große Erfolge, weshalb kaum einer der herkömmlichen Serienteile oder Spin-off nicht für europäische oder nordamerikanische Kunden zugänglich waren. Dennoch hatten es gerade Fans japanischer Rollenspiele schwer, an bestimmte Titel ihres Lieblingsgenres zu gelangen. Fachmagazine wie die Ende 2000 eingemottete „Total!“ haben durch Vorschau- und Testartikel ein Feuer entfacht, das nicht mehr so leicht einzudämmen war.
Spiele wie Chrono Trigger, Final Fantasy VI oder Super Mario RPG erschienen immerhin noch in Nordamerika und haben daher auch eine Übersetzung ins Englische durch Branchenlegende Ted Woolsey erfahren. Bei Dragon Quest V oder Trials of Mana sah es weniger rosig aus – die Spiele verblieben in Japan und waren daher für eine noch geringere Zielgruppe relevant. Um mit textlastigen Spielen Spaß zu haben, sollte die Bildschirmsprache schließlich verstanden werden. Dies war allerdings nicht das einzige Problem, mit dem sich Konsolenbesitzer konfrontiert sehen mussten. Mit Regionalcodes und zum Teil andersförmigen Modulen erschwerte Nintendo beispielsweise den Zugang, was den Erwerb von zusätzlicher Hardware wie beispielsweise einer japanischen oder nordamerikanischen Konsole, zusätzlichen Adaptern oder Schummelmodulen mit Adapterfunktion erst notwendig machte.
Geringer Aufschlag
Allerdings ist es häufig mit einem Adapter nicht getan, denn nicht alle Spiele funktionieren mit jeder Hardware gleich gut. Ein Spiel, das über die zusätzliche Adapterschnittstelle des Schummelmoduls Action Replay 3 abgespielt werden kann, verweigert auf dem Vorgängermodell möglicherweise seinen Dienst. Es würde aber zu weit führen, dieses komplexe Thema an dieser Stelle noch auszuweiten. Fakt ist jedoch, dass mit diesem Region Lock genannten Konzept der Importmarkt angekurbelt wurde. Wer also in den 1990er-Jahren einen Händler kannte, der Spiele aus dem Ausland importieren konnte, kam aber immerhin in den Genuss fast jedes Videospiels, das er oder sie begehrte. Viele dieser gekauften Spiele sind entweder in Sammlungen verblieben oder sind wohl das, was heute auf dem deutschen eBay-Markt kursiert.
In Anbetracht der üblichen Marktpreise war der Import, den der Händler vorab durchgeführt hat, retrospektiv gar nicht mal so teuer. Für die damals kürzlich veröffentlichte US-Fassung von Final Fantasy VI wurden beim Tradelink-Spieleversand Ende 1994 „lediglich“ 145 deutsche Mark fällig, während andere Spiele, die herkömmlich in der Bundesrepublik Deutschland veröffentlicht wurden, sich beim gleichen Versandhandel um die 120 deutsche Mark preislich eingependelt haben. Sicherlich gibt es auch extremere Beispiele, bei denen auch schon mal an die 200 deutsche Mark fällig wurden, doch grundsätzlich war der Aufschlag akzeptabel. Zudem dürften sich auch nur die wenigsten Spiele importiert haben, die bereits für den deutschen Markt angekündigt oder angedacht waren.
Eingeschränkte Verfügbarkeit
Neben regionalen respektive technisch bedingten Einschränkungen und preislich leicht höheren Kosten kam es gerade im Zeitalter, in dem die Spiele die dritte Dimension erobert haben, immer häufiger dazu, dass diese auf dem Index gelandet sind. Vor allem First-Person-Shooter schienen Jugendschützern ein Dorn im Auge zu sein. Ein bekanntes Beispiel ist das Nintendo-64-Spiel GoldenEye 007, das 1998 von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (!) in Bonn auf den Index gesetzt wurde, wo es bis 2021 blieb. Wer sich das Dokument von 1998 durchliest, bemerkt, dass die damaligen Verantwortlichen nur ein begrenztes Wissen über Videospiele verfügt haben, da sowohl von einer für das Nintendo 64 veröffentlichten „CD-ROM-Version“ des First-Person-Shooters die Rede ist als auch der eigentliche Spieltitel falsch geschrieben ist: Golden Eye-007 [sic!].
Diese rechtlich vielleicht nicht ganz einwandfreie Indizierung ist aber ein Paradebeispiel dafür, dass der Import aus dem europäischen und nicht-europäischen Ausland bis in die frühen 2010er-Jahre in einigen Fällen notwendig wurde. Auf der Wii haben es beispielsweise 2007 und 2011 zwei Videospielumsetzungen von bekannten Gangsterfilmklassikern getroffen, die anschließend nur noch über den Import erhältlich waren. Interessanter wie bedenklicher Fakt am Rande: Das 2011 indizierte Actionspiel wurde bereits 2007 in seiner PlayStation-2-Fassung, die ein halbes Jahr vorher erschien, indiziert und im Jahr 2008 beschlagnahmt. Das war den Jugendschützern wohl jahrelang egal.
Ungeschnittene Spielversionen
Damit bestimmte Videospiele mit einem gewissen Gewaltanteil oder moralisch bis ethisch fragwürdigen Inhalten überhaupt in Deutschland vertrieben werden durften – und theoretisch ist diese Praxis bis heute gängig –, mussten Publisher ihre Werke häufig auf Anraten der Unterhaltungssoftware-Selbstkontrolle in bestimmten Punkten kürzen beziehungsweise anpassen. Hierzu zählen zum Beispiel besonders grausam dargestellte Tötungsanimationen. Da eine anschließende Neuprüfung für die Publisher aber erneut mit hohen Kosten verbunden sind, da eine Prüfung mehrere Wochen dauern kann, kam es mitunter auch vor, dass die Kürzung im Vorfeld auf eigene Kappe vorgenommen wurde.
Inzwischen werden Videospiele als Kulturgüter vom deutschen Regierungsapparat deutlich ernster genommen, aber ob Videospiele als Kunst zu definieren sind, ist nach wie vor – und das nicht nur unter politischen Gesichtspunkten –, hart umstritten. Darauf soll es jetzt auch keine Antwort geben. Wichtiger ist klarzustellen, dass es vielen Videospielern wichtig ist, ein Werk so zu spielen, wie es von seinen Erschaffern gedacht ist. Kunstliebhaber, um den Vergleich doch noch einmal herauszukramen, wollen ein Gemälde, eine Skulptur, eine Installation, einen Film, einen Roman oder ein Musikstück immerhin auch genau so erleben, wie der Urheber es beabsichtigt. Wer also Wert auf die ungeschnittene und unzensierte Fassung eines Spiels erleben wollte und es in Teilen heutzutage noch will, erliegt vermutlich auch gerade deshalb dem Reiz des Importierens.
Erschließung des digitalen Distributionswegs
Spätestens zum Ende der 2000er-Jahre setzt eine Entwicklung ein, die auch anderthalb Jahrzehnte später nicht mehr aufzuhalten ist. Viele Publisher entscheiden sich immer mehr dazu, ihre Videospiele neben der physischen Veröffentlichung auch über einen digitalen Distributionsweg an die Spielerschaft zu bringen. Der neue Vermarktungszweig spart den Herausgebern oft nicht nur Geld, Videospiele stehen mit einer entsprechend schnellen und stabilen Internetverbindung auch in kurzer Zeit rund um die Uhr zum Download bereit. Wie gut, dass in Deutschland schnelles Internet flächendeckend vorhanden ist.
Ironie beiseite: Ebenfalls ist es den großen Videospielherstellern so möglich, auch kleinere Spiele zu entwickeln, für die sich das Pressen auf ein optisches Medium oder andere Datenträger zuvor nicht lohnte. Vielmehr öffnet der digitale Distributionsweg binnen kurzer Zeit auch eine Tür für kleine, noch dazu unabhängige Entwicklerstudios, die spätestens seit PlayStation 4, Xbox One und Switch keinen großen Regularien seitens der Konsolenhersteller oder Downloadplattformbetreiber unterliegen. Ohne diese Möglichkeit würden Klassiker wie Stardew Valley vermutlich nicht so möglich sein. Auch tragen unabhängige Entwicklerstudios maßgeblich zur Retro-Welle bei, die an Grafikqualität und Gameplay-Mechaniken der 8-, 16- oder 32-Bit-Zeiten erinnern soll. Die Rückkehr zur alten Ordnung schließt physische Spielversionen aber aus – zumindest fast.
Import von Spielen mit limitierter Auflage
Das Problem der schieren Anzahl an Neuveröffentlichungen, die vor allem den eShop der Switch wöchentlich an seine Belastungsgrenzen treibt, macht deutlich, dass nicht jedes dieser Videospiele physisch veröffentlicht werden kann. Presswerke hätten überhaupt nicht mehr die Kapazitäten, um diesen gewaltigen und kaum zu bändigenden Andrang zu bewältigen. Zudem ist vermutlich auch nicht jeder einzelne Titel es überhaupt „würdig“, für alle Ewigkeit auf einem Datenträger zu landen. Ausgewählte Spiele erscheinen bei Anbietern wie dem US-amerikanischen Unternehmen Limited Run Games oder dem polnischen Vertreter Forever Limited in begrenzter Stückzahl aber physisch – und müssten bei Interesse neben einer Vorbestellung dementsprechend ebenfalls importiert werden.
Abgesehen von den Versandkosten sind die Spiele meist ähnlich im Preis wie in der digitalen Version im hiesigen eShop. Ein Nachteil bei dieser Art der Distribution ist allerhöchstens die teils extrem lange Wartezeit von einem halben Jahr oder mehr, während die digitale Version in vielen Fällen deutlich früher zum Download bereitsteht. Ein Beispiel: Die Cosmic Fantasy Collection kostet im europäischen eShop 45 Euro, während 45 US-Dollar für die limitierte physische Fassung fällig wurden. Je nachdem wie der Umrechnungskurs steht, ist das Spiel physisch sogar preiswerter. Ein günstiger Nebeneffekt: Aufgrund der limitierten Auflage kann der Titel im Wert auch steigen.
Ausgemerzte Importschwachstellen
Außerdem kann der Fall eintreten, dass ein Spiel, das in Europa nur digital erscheint, in Nordamerika oder Japan abseits dessen physisch erhältlich ist. Wer jetzt an Sprachbarrieren oder Region Lock denkt, sprich Problematiken, die in den 1990er-Jahren noch mehr oder weniger große Hindernisse dargestellt haben, kann 25 bis 30 Jahre später tatsächlich aufatmen. Mit der Hybridkonsole Switch hat sich Nintendo dazu entschieden, auf einen Region Lock ähnlich wie in den 1990er- und 2000er-Jahren bei den Handhelds Game Boy, Game Boy Color, Game Boy Advance und Nintendo DS zu verzichten. Bei Sony ist das seit der PlayStation 3 kein Thema mehr und auch Microsoft ist mit der Xbox One vollständig eingeschritten.
Spiele jeglicher Herkunft lassen sich also problemlos auf europäischen Konsolen abspielen. Ein Blick auf japanische Produktseiten, zum Beispiel auf die Nintendo-Homepage im Falle von Switch-Spielen, zeigt, dass neben Japanisch häufig auch englische oder sogar deutsche Bildschirmtexte verfügbar sind. Kundenfreundlich orientierte Versandhändler wie Playasia mit Sitz in Hongkong haben diese Angaben unlängst auf ihre Internetseite übernommen. Wer einerseits genug und andererseits nicht zu viel bestellt, spart Versandkosten und umgeht bestenfalls auch noch den Zoll, der beim eigenen Import gerne auch schon mal das eine oder andere Paket aus dem Briefverkehr zieht. Eine Erfahrung, die Importfans wohl nur ungern machen.
Lizenzrechtliche Gefahren
Nun gibt es aber diese eine Fraktion unter Videospielern, die freiwillig auf eine Konsole ohne Laufwerk setzt, was in erster Linie PlayStation- und Xbox-Nutzer betrifft. Im ersten Moment klingt es gut, die gleiche oder zumindest halbwegs vergleichbare Hardware-Architektur günstiger ergattern zu können. Allerdings ist diese Fraktion dann auf den Download-Store des jeweiligen Systems beschränkt. Natürlich lässt sich problemlos ein zusätzlicher Account erstellen, um auf das nordamerikanische oder japanische Angebot auszuweichen. Allerdings unterliegen Anhänger des rein digitalen Betriebswegs dann auch dem digitalen Angebot und verzichten freiwillig auf den Preis physischer Medien, der unter dem Digitalpreis liegen kann.
Fraglich ist auch das Besitzrecht der erworbenen Inhalte. Ende 2023 hat Sony beispielsweise im PlayStation Store aufgrund eines ausgelaufenen Lizenzvereinbarung sämtliche Discovery-Inhalte entfernt. Es ist zwar Gang und Gäbe, dass Angebote entfernt werden, doch dass selbst erworbene (!) Inhalte erstattungslos aus der eigenen Bibliothek entfernt wurden nicht und jetzt nicht mehr angeschaut werden können, hat einen Präzedenzfall geschaffen. Mit Videospielen hat das zwar (noch) nichts zu tun, doch jetzt ist die Tür offen, was uns alle, aber gerade jene Videospieler, die ihre Bibliothek lieber rein digital halten wollen, mächtig aufhorchen lassen sollte. Bei importierten Spielen besteht „lediglich“ die Gefahr von Verschleiß und Diebstahl.
Überwiegende Vorteile des Imports
Seit den späten 1990er-Jahren, in denen Importe beliebt wurden und häufig die einzige Möglichkeit darstellten, um an ein begehrtes Spiel zu gelangen, hat sich einiges in der Industrie getan. Region Locks gehören der Vergangenheit an, womit jede Cartridge in den für sie vorgesehenen Schacht passt und optische Medien jedweder Klassifikation weltweit von jeder Konsole gelesen werden können. Zudem werden zu Beginn der 2020er-Jahre nicht mehr annähernd so viele wichtige oder zumindest namhafte Spiele indiziert oder zensiert wie noch ein bis zwei Jahrzehnte zuvor. Das heißt aber auch, dass im Falle des äußersten Nischenspiels oder der absoluten Notwendigkeit von inszenierten Grausamkeiten zum Stillen der eigenen Bedürfnisse ein Titel aufgrund der weltweiten Kompatibilität einfach importiert werden kann.
Gerade besondere Spiele wie die Ace-Attorney-Reihe, die von Capcom im Sinne physischer Veröffentlichungen hierzulande immer noch eine stiefmütterlich Behandlung erfahren, können so prompt aus Japan oder Nordamerika importiert werden. Die Preise sind, abgesehen von Versandkosten, hierbei meist nur leicht höher, in einigen Fällen sogar spürbar niedriger. Lediglich Nischenspiele wie das im europäischen eShop für 15 Euro angebotene Melon Journey können in der zu importierenden physischen Fassung auch schon mal mehr als Doppelte kosten, was aber immer noch im Rahmen in Angesicht der Produktionskosten bleibt. Unterm Strich überwiegen beim Import eindeutig die Vorteile – und eines sollte dabei nicht vergessen werde: Jeder physisch erworbene Titel unterstützt langfristig den Erhaltung von Videospielen.