David Lynchs Einfluss auf Videospiele – SPECIAL

Am 16. Januar 2025 verstarb der visionäre US-amerikanische Filmregisseur und Künstler David Lynch im Alter von 78 Jahren. Er hinterließ ein umfangreiches, oftmals rätselhaftes und undurchdringliches Werk voller surrealistischer Bilder und düsterer Ästhetik, das sich irgendwo zwischen Traum und Realität bewegt. Auch viele Videospiele wurden von dem einzigartigen Stil David Lynchs beeinflusst, weswegen wir in diesem Special das Werk dieses Ausnahmeregisseurs würdigen möchten und erörtern, in welchen Spielen sein Einfluss besonders spürbar ist.


David Keith Lynch wurde am 20. Januar 1946 in Missoula im US-Bundesstaat Montana geboren. Schon sehr früh an der Kunst interessiert, entwickelte er mit vierzehn Jahren Begeisterung für die Malerei. Zum Film kam er durch sein Studium am Center for Advanced Film Studies des American Film Institutes in Los Angeles. Seinen Durchbruch hatte er schließlich 1977 mit dem alptraumhaften in schwarz-weiß gedrehten Film Eraserhead, der besonders durch seine verstörenden Bilder und die düstere Soundkulisse über die Jahre zum Kultfilm avancierte. Zwar sah er sich selbst immer hauptsächlich als visuellen Künstler an, waren es jedoch vor allem seine Arbeiten als Regisseur, die ihm Weltruhm einbrachten. Filme wie der surreale Neo-Noir-Film Mullholland Drive, die Thriller Blue Velvet und Lost Highway, der biographische Film Der Elefantenmensch oder die erste Kinoverfilmung von Frank Herberts Dune machten ihn aufgrund seines einzigartigen Stils und der mitunter düsteren Ästhetik bei einem breiten Publikum bekannt.

Anfang der 1990er drückte er schließlich in Zusammenarbeit mit Drehbuchautor Mark Frost der Fernsehlandschaft seinen Stempel auf und schuf mit ihm gemeinsam die exzentrische und mit viel Lynch-typischen Surrealismus gewürzte Fernsehserie Twin Peaks, die von 1990 bis 1991 im Fernsehen lief, 1992 mit Twin Peaks – Fire Walk With Me einen Prequel-Kinofilm spendiert bekam und im Jahr 2017 schließlich mit einer dritten und letzten Staffel fortgesetzt wurde. Insgesamt viermal wurde Lynch für den Oscar nominiert, darunter dreimal für die beste Regie. Einen Ehren-Oscar für sein Werk erhielt er 2019. Anfang des Jahres verstarb David Lynch wenige Tage vor seinem 79. Geburtstag und die Auswirkungen seines Schaffens gehen weit über die Kunst- und Filmszene hinaus. Auch in Videospielen ist der Einfluss des Ausnahme-Regisseurs schon seit langer Zeit präsent. Aus diesem Grund wollen wir in diesem Special einige Videospielserien beleuchten, die direkt von David Lynch inspiriert wurden, und werfen zu diesem Zweck auch immer wieder einen Blick über unseren üblichen Nintendo-Tellerrand.

Ein PlayStation-2-Werbespot und eine neblige Kleinstadt

Fangen wir mit dem Offensichtlichen an. Im Jahr 2000 drehte Lynch für Sony einen Werbespot für die PlayStation 2 unter dem Namen „Welcome to The Third Place“, einen einminütigen Schwarz-weiß-Clip, der mit dem für Lynch typischen Sounddesign und surrealistischen Bildern aufwartet. Am Ende des Clips sehen wir eine vom Körper losgelöste Hand, einen in Bandagen eingewickelten Menschen und eine Person im Nadelstreifen mit einem Entenkopf, der die Worte „Welcome to the Third Place“ sagt. So verwirrend und außergewöhnlich der Clip ist, fügt er sich doch nahtlos in die verschiedenen Werbespots ein, die Lynch über die Jahre drehte.

Den größten Einfluss auf eine Videospielreihe hatte David Lynch aber wahrscheinlich auf Konamis bahnbrechende Survivial-Horror-Serie Silent Hill und ganz besonders den zweiten Teil, der ursprünglich 2001 für die PlayStation2 erschien und Ende 2024 ein sehr gutes Remake spendiert bekam. In Silent Hill 2 kommt der Protagonist James Sunderland in die namensgebende Kleinstadt, nachdem er einen Brief seiner an einer mysteriösen Krankheit verstorbenen Frau erhielt, dass diese dort auf ihn wartet. In der nebelverhangenen Stadt trifft er dann auf Maria, die seiner verstorbenen Frau Mary zum Verwechseln ähnlich sieht. Laut Silent-Hill-Designer Masahiro Itō war David Lynchs Film Lost Highway eine große Inspiration der Geschichte, die ursprünglich sogar wie der Film mehrere Protagonisten haben sollte, was aber verworfen wurde, da dies die Geschichte unnötig kompliziert gemacht hätte. Auch sonst sind die Einflüsse von David Lynch in der Silent-Hill-Reihe mannigfaltig zu erkennen. Von dem oft stampfenden, industriellen Soundtrack, der unweigerlich an Lynchs Erstlingswerk Eraserhead erinnert, über die düstere, surreale Parallelwelt des namensgebenden Städtchens bis hin zu den oftmals unnahbaren Charakteren hat der Regisseur der Reihe einen ganz eigenen Stempel aufgedrückt, der gar nicht wegzudenken ist.

Der pazifische Nordwesten als mystischer Ort

Die Kultserie Twin Peaks, erdacht von David Lynch und Co-Autor Mark Frost, spielt in einer kleinen Stadt im Nordwesten der Vereinigten Staaten. Anfänglich dreht sich die Serie um den Mord an der jungen Laura Palmer und wird später immer mehr zu einem surrealen Drama, das immer weiter ins Übernatürliche abdriftet. Der schrullige FBI-Agent Dale Cooper, gespielt von Kyle McLachlan soll den brutalen Mord aufklären und bekommt es in der Kleinstadt mit allerlei schrulligen bis bizarren Einwohnern zu tun. Die Serie zeigt wie eine ganze Reihe von Lynchs Werken das Düstere, das hinter einer sonst heilen und idyllischen Fassade lauert, und wurde zu einem Phänomen. Twin Peaks revolutionierte das US-Fernsehen und wurde mit drei Golden Globes und zwei Emmys ausgezeichnet.

Der pazifische Nordwesten der USA, bestehend aus den US-Bundesstaaten Washington, Oregon und Idaho, mit seinen tiefen Wäldern, Bergen und insgesamt dünner Besiedlung ist durch Twin Peaks zum beliebten Ort für Geschichten geworden, die sich genau wie das Vorbild auf kleine Gemeinden mit oftmals eigenwilligen Einwohnern fokussieren. Die beiden Spiele mit den offensichtlichsten Anleihen aus Twin Peaks sind dabei zweifellos die Alan-Wake-Reihe des finnischen Studios Remedy Entertainment und Deadly Premonition des japanischen Spieledesigners Hidetaka „Swery 65“ Suehiro. Alan Wake macht keinen Hehl aus der Inspiration, und Sam Lake, der Autor des Spiels erwähnt oft, dass er bei seinen Konzepten von David Lynchs Werk inspiriert wird. Dies trifft auch auf andere Titel von Remedy Entertainment zu, die oftmals surreale Untertöne haben wie beispielsweise Control, das im gleichen Universum wie Alan Wake spielt, als auch auf Remedys Erstlingswerk Max Payne. In Alan Wake dreht sich alles um den New Yorker Bestseller-Autor gleichen Namens, der mit seiner Frau nach Bright Falls kommt, einer kleinen Stadt im Nordwesten der Vereinigten Staaten, um seine Schreibblockade zu überwinden. Dabei gerät er in den „Dark Place“, eine dunkle Dimension, deren Eingang sich im nahe Bright Falls gelegenen Cauldron Lake befindet. Der im Jahr 2023 erschienene zweite Teil von Alan Wake setzt dabei sogar noch einen drauf und spielt oft auf die dritte Staffel von Twin Peaks an. Auch die häufige Verwendung von mit realen Schauspielern gedrehten Cutscenes und die schrulligen Einwhner von Bright Falls und der Nachbargemeinde Watery haben einen klaren Lynch-Einfluss.

Das Survival-Horror-Spiel Deadly Premonition schickte im Jahr 2010 den kauzigen FBI-Agenten Francis „York“ Morgan in die Kleinstadt Greenvale, um eine brutale Mordserie aufzuklären. Der im Vorfeld unter dem Namen „Rainy Woods“ gezeigte Trailer weiß dabei sogar noch mehr Lynch- und Twin-Peaks-Einflüsse auf und hätte auch ohne Probleme als Twin-Peaks-Klon angesehen werden können. Das Endprodukt erlangte trotz seiner relativ bescheidenen Grafik und der hakeligen Steuerung einen Kultstatus und begeistert Fans besonders wegen seiner Charaktere, der Geschichte und der frei begehbaren offenen Spielwelt um Greenvale, in der jeder Charakter einem geregelten Tagesablauf nachgeht. Im Jahr 2019 erschien Deadly Premonition mit dem Untertitel „Origin“ auch für die Nintendo Switch und bekam dann 2020 auch eine Fortsetzung beschert, die ein anderes Setting hat und leider nicht an den Erstling heranreicht.

Das andere Ich im Velvet Room

Auch andere Spiele bedienen sich dem Nordwesten der Vereinigten Staaten als Handlungsort und spielen dabei auf Twin Peaks an. So auch das lediglich in Japan erschienene PlayStation-Spiel Mizzurna Falls oder der erste Teil von Dontnods Life-is-Strange Reihe, der in der kleinen Stadt Arcadia Bay spielt. Life is Strange hat viel von der Lynch-typischen surrealen Atmosphäre einer amerikanischen Kleinstadt und die Geheimnisse, welche die Bewohner verbergen. Protagonistin Max Caulfield hat die Gabe, die Zeit zurückzudrehen und sucht dabei nach einer verschollenen Teenagerin. Die Verehrung der Entwickler für David Lynch und Twin Peaks spiegelt sich nicht zuletzt in den vielen verschiedenen Anspielungen wieder, die wir im Spiel finden können. So hat einer der Charaktere ein Nummernschild, auf dem „TWNPKS“ zu sehen ist, und auf dem Spiegel auf einer Schultoilette sehen wir die Worte „Fire Walk with Me“ eingeritzt.

Zu guter Letzt sei noch die beliebte Persona-Reihe von japanischen Rollenspielen des japanischen Entwicklers Atlus genannt, die ursprünglich ein Spin-off der Shin-Megami-Tensei-Reihe ist. In der Reihe geht es um japanische Highschool-Schüler, die ihr „Inneres Ich“, die Persona, beschwören können, um gegen übernatürliche, apokalyptische Bedrohungen zu kämpfen. Während des Spiels kehren sie immer wieder in den Velvet Room zurück, einen „Ort zwischen Bewusstsein und Unterbewusstsein“, in dem sie den schrulligen Igor mit immer wechselnden Bediensteten treffen, der ihnen verschiedene Dienste anbietet. Das Konzept und der Name des Velvet Rooms stammen aus Edgar Allan Poes Kurzgeschichte „Die Maske des roten Todes“, in der verschiedene Räume die unterschiedlichen Abschnitte des Lebens darstellen, wobei der letzte vor dem Tod als der „Velvet Room“ bezeichnet wird. Das Aussehen des Velvet Rooms hingegen basiert auf der „Black Lodge“ aus Twin Peaks, einer anderen, dunklen Dimension, in die es Dale Cooper immer wieder verschlägt. Im ersten Teil der Persona-Reihe hat der Velvet Room sogar die exakt gleichen Vorhänge und Boden wie die Black Lodge, nur dass er in blauer Farbe statt rot gehalten ist. Die Verwendung der Farbe Blau im Zusammenhang mit dem Namen des Raums könnte zudem eine Anspielung auf David Lynchs Film Blue Velvet sein.

Von Hyrule nach Twin Peaks

Nintendos The-Legend-of-Zelda-Reihe ist schon seit jeher für die vielen ausgefallenen, mitunter recht schrulligen bis verstörenden Charaktere bekannt. Dies lässt sich zurückverfolgen bis ins Jahr 1993. Da erschien nämlich the Legend of Zelda: Link’s Awakening auf dem Game Boy und ließ unseren Helden Link auf der kleinen Insel Cocolint stranden. Außer Link spielen in dem Spiel, das im Jahr 2019 ein Remake auf der Nintendo Switch spendiert bekam, keiner der bekannten Charaktere der Reihe mit. Die titelgebende Prinzessin Zelda oder den Hauptbösewicht Ganondorf sucht man vergebens. Stattdessen trifft Link auf der Insel eine ganze Reihe von kauzigen bis bizarren Charakteren, wie beispielsweise einen älteren Herrn mit Sozialphobie, der nur über ein Telefon kommuniziert, ein freundlicher Händler, der jedoch mörderische Züge an den Tag legt, wenn wir etwas aus seinem Laden zu stehlen versuchen, eine ganze Familie, die direkt zu uns Spielern zu sprechen scheint und eine Gruppe von vier vollkommen identisch aussehenden Kindern, die uns Tipps zum Spiel geben, aber im Nachhinein komplett vergessen haben, was sie uns gesagt haben. Nicht zuletzt ist da noch Tarin, der eine verdächtige Ähnlichkeit mit einem sehr bekannten Klempner hat und für den wir im Verlauf des Spiels einen Pilz finden müssen, wobei wir auch beobachten, wie er sich in einen Waschbären verwandelt.

In einem Interview im Jahr 2010 erklärte Takashi Tezuka, der Director von Link’s Awakening, dass die einprägsamen und mitunter bizarren Bewohner der Insel Cocolint direkt von Twin Peaks inspiriert worden sind. Die Serie war zum damaligen Zeitpunkt auch in Japan sehr populär, und Tezuka wollte eine Welt wie die aus Twin Peaks erschaffen, voller seltsamer und verdächtig wirkender, zwielichtiger Charaktere. Sogar eine Eule, die nicht das ist, was sie zu sein scheint, hat ihren Weg in das Spiel gefunden und auch die große Storywendung von Link’s Awakening könnte aus einem David-Lynch-Film stammen. Twin Peaks Co-Autor Mark Frost bestätigte gegenüber dem amerikanischen Technikportal The Verge, dass er damals Anfang der 1990er-Jahre tatsächlich von Nintendo kontaktiert und um Rat gebeten wurde. Frost selbst spielt diese beratende Funktion in dem Interview allerdings etwas herunter und sagt, dass es sich dabei lediglich um eine einzige, aber sehr nette Konversation gehandelt habe. Er selbst habe The Legend of Zelda zwar nie selbst gespielt, aber er konnte nach eigener Aussage den Entwicklern bei dem Treffen, das wohl zwischen den ersten beiden Staffeln von Twin Peaks stattgefunden hat, einige Tipps mit auf den Weg geben.

Serienproduzent Eiji Aonuma bezeichnete den Einfluss von Twin Peaks auf Link’s Awakening als einen „Wendepunkt“ für die The-Legend-of-Zelda-Reihe, denn nach dem Ausflug des hylianischen Helden auf die Insel Cocolint wurden die schrulligen und oftmals bizarren Nebencharaktere zu einem Markenzeichen der Reihe. Aonuma zufolge hätte die Reihe und auch Ocarina of Time ohne Link’s Awakening ganz anders ausgesehen. So hätte es wahrscheinlich auch das bis heute ungewöhnlichste, düsterste und bizarrste Spiel der The-Legend-of-Zelda-Reihe, Majora’s Mask, ohne den Einfluss von Twin Peaks nie gegeben, erweckt das Spiel durch seine fiebertraumartige Atmosphäre doch direkt Assoziationen zum Werk David Lynchs. Hier verschlägt es Link durch einen Baumstumpf nach Termina, eine seltsame Parallelwelt zu seiner Heimat Hyrule, voller mitunter merkwürdiger Charaktere, die allesamt ihren eigenen Beschäftigungen nachgehen.

Insgesamt kann man sagen, dass der Einfluss David Lynchs auf Videospiele lange zurückreicht und weiterhin anhaltend ist. Ohne Twin Peaks würde es einige Videospielreihen gar nicht geben, oder sie sähen heute ganz anders aus. Der Tod des Ausnahme-Regisseurs hat ein großes Loch gerissen, das nicht einfach wieder zu schließen sein wird. Wir können jedoch sicher sein, dass sein Werk auch weiterhin als große Inspirationsquelle für Filme, Serien und Videospiele dienen wird, seinen einzigartigen Stil und seiner Ästhetik würdigen und dem ihre eigene Note hinzufügen werden.

Geschrieben von Markus Schoenenborn