Xenoblade Chronicles 2 – TEST

Im Januar angekündigt – im Dezember in den Läden: Nintendo und Monolith Soft halten ihr Versprechen und statten die Nintendo Switch noch im ersten Jahr mit einem ambitionierten Rollenspiel aus.


Das Spiel präsentiert zwar eine Ziffer auf seinem Spielcover, ist aber nur eine geistige Fortsetzung von Xenoblade Chronicles, das 2010 auf der Wii erschienen ist. Es bietet also eine unabhängige Geschichte mit neuen Figuren, bestimmte Konzepte bleiben aber erhalten – so auch der sehr kreative Umgang mit der Gestaltung der Spielwelt.

Die Spielwelt Alrest säumt ein endloses Meer aus Wolken, das von monströsen Lebewesen, den Titanen, durchzogen ist. Diese lebendigen und überdimensionalen Erdmassen bieten den Lebensraum für die Bewohner dieser Welt, zu denen sich auch unser Protagonist Rex zählt. Als Bergungstaucher verdient er seinen Unterhalt mit dem Scheffeln längst vergessener Ressourcen aus dem Wolkenmeer, zumindest solange, bis er eines Tages mit einem verlockenden Angebot in einen waghalsigen Auftrag getrieben wird. Alsbald wird er mit dem Konzept der Klingen konfrontiert, die in jener Welt von Alrest den sogenannten Meistern als lebendige Waffen in Kämpfen beistehen. Es dauert nicht lange, bis er selbst zum Meister seiner eigenen Klinge namens Pyra wird. Diese stattet ihn mit besonderen Kräften aus, die sich nicht nur auf seine Kampfkraft, sondern auch auf die Geschichte auswirken. Der außergewöhnlichen Macht dieser Klinge jagen alsbald eine Menge unterschiedlicher Parteien Alrests hinterher, während Rex und wir Spieler selbst noch zu verstehen versuchen, was es in Wirklichkeit mit Pyra auf sich hat. Dieser leicht bekleideten Dame kann Rex allerdings keinen Wunsch abschlagen und macht sich zusammen mit ihr auf eine Reise, um einen sagenumwobenen Ort namens Elysium aufzusuchen.

Verzahnte Story

Auf dem Weg dorthin trifft unser Paar nicht nur auf eine Menge unterschiedlicher Figuren mit verschiedenen Gesinnungen, sondern erfahren auch mehr zu den Hintergründen, was die Natur der Klingen und die Spielwelt angeht. Wer mit vorherigen Ablegern aus dem Hause Monolith Soft vertraut ist, der weiß, dass deren Erzählungen zwar gemächlich beginnen, aber bis zum Ende zu einem komplizierten und teils verwirrenden Konstrukt an Handlungssträngen und Charaktermotivationen heranwachsen, die für eine Menge Überraschungen sorgen. In diesem Fall enttäuscht auch Xenoblade Chronicles 2 nicht, auch wenn die ersten Spielstunden nicht zu den besten des Spiels gehören.

Hauptsächlich liegt das am enormen Umfang an Spielelementen, die Xenoblade Chronicles 2 bietet und Stück für Stück zur Verfügung stellt. Das Spiel nimmt sich die Zeit, frisch erlernte Mechaniken und Spielsysteme erst einmal auf den Spieler wirken zu lassen, bis diese mit weiteren Systemen ausgebaut werden. Das funktioniert im Grunde sehr gut, allerdings dauert es seine Zeit bis zum Beispiel das Kampfsystem richtig an Tiefgang gewinnt.

Die einzelnen Titanen fungieren als kleinere abgeschlossene Spielwelten, die relativ frei erkundet werden können. Abgesehen von den Städten sind die üppigen Graslandschaften, Wüsten und weitere sehr kreativ und vertikal gestalteten Landstriche mit zahlreichen Lebewesen gefüllt, die wir zu Teilen auch schon aus anderen Xenoblade-Ablegern kennen. Designtechnisch spielt Monolith Soft hier wieder einmal alle Karten aus. Regelmäßig erkennen wir in der Spielwelt einzelne Körperteile der lebendigen Titanen wieder, die fließend in den Horizont übergehen. Die gigantischen Größenverhältnisse zwischen den Titanen und ihren kleineren Bewohnern sind atemberaubend in Szene gesetzt und zusammen mit den vielfältigen Kulissen, die Alrest bietet, auf jeden Fall eines der Highlights des Spiels.

Der Weg nach Elysium ist nicht nur mindestens fünfzig bis siebzig Spielstunden lang, sondern auch ziemlich gefährlich, weswegen Rex sehr oft von seiner Klinge Gebrauch machen muss. Das Kampfsystem erlaubt uns insgesamt drei spielbare Figuren mit je drei unterschiedlichen Klingen in die Schlacht mitzunehmen. Die Scharmützel bieten die bekannte Kombination aus Runden- und Echtzeitkämpfen, die aus vorherigen Xenoblade-Spielen wie auch manchen Online-Rollenspielen bekannt sind. Stellen wir uns neben einen Gegner, führt unsere Figur automatische Angriffe aus, die aber nur mäßigen Schaden austeilen. Mit jedem Treffer füllen sich allerdings die Balken unserer Techniken, die nicht nur mehr Durchschlagskraft mit sich bringen, sondern auch spezielle Boni im Kampf ausschütten.

Schlag auf Schlag – System über System

Während zu Beginn die Kämpfe noch sehr monoton und gleichförmig anmuten, kommen mit jeder Spielstunde weitere System hinzu. Haben wir genug Techniken eingesetzt, entfesseln unsere Klingen die besonders starken Spezialtechniken – nach der richtigen Nutzung dieser warten die Angriffsketten auf uns. Das Spiel verpasst den Kämpfen Stück für Stück Tiefgang, wobei durch das richtige Lesen gegnerischer Schwächen und das geschickte Kombinieren von Verbündeten-Fähigkeiten ein tolles Kampfgefühl aufkommt, das von uns aus hauptsächlich über regelmäßiges Mikromanagement der Bewegung und Klickreihenfolge beeinflusst wird. Allerdings erlauben sich die Entwickler ein mittelschweres Verbrechen: Kein Tutorial des Spiels oder andere Erklärungen zu einem der zahllosen Spielsystem ist im Nachhinein noch einmal abrufbar. Auch wenn das Spiel uns anfangs alle Grundlagen gut beibringt, ist es für uns unverständlich, warum es keine Enzyklopädie oder ähnliches gibt, in der wir die eine oder andere Feinheit noch einmal nachschlagen dürfen. Neben den Gegnern stellt das Spiel selbst ab und an eine Herausforderung da, und testet unsere Fähigkeit auch beim bunten, hektischen Trubel auf dem Bildschirm den Überblick zu bewahren. Nachdem viele Angriffe automatisch ablaufen und auch unsere Mitstreiter für einigen Radau auf der Matscheibe sorgen, entglitt uns deswegen ab und zu der Überblick über das Kampfgeschehen.

Trotz der tollen Welt verbringen wir sehr lange Zeit in den vielen Menüs des Spiels. Dort gibt es extrem viele Individualisierungen für unsere Charaktere und Klingen, die wir selbstverständlich alle optimieren dürfen. Von klassischen Ausrüstungsgegenständen, aktiven und passiven Techniken bis zu Kristallen mit Bonus-Effekten, die wir in unsere Waffen einsetzen. In den Städten und Siedlungen des Spiels klappern wir natürlich auch zuerst einmal alle dutzend Händler ab, um unsere Truppe zu Perfektionieren – zumindest solange die Kasse stimmt. Auch neue Klingen erschaffen wir in den Menüs, indem wir sie aus Kernkristallen unterschiedlicher Seltenheitsstufen beschwören. Welchen Mitstreiter wir dabei erlangen, hängt stark vom Glück ab – wer sich hier direkt an Lootboxen erinnert fühlt, der hat das Konzept gut verstanden. Das Spiel kann selbstverständlich nicht mit Echtgeld beeinflusst werden, viel Zeit und Nerven kostet es dennoch, die immer gleichen unbefriedigenden Klingen aus den Kristallen zu pressen.

Ein Griff in die Wundertüte

Das ist besonders schade, da die außergewöhnlichen Klingen, zu denen sich auch Pyra und die Hauptklingen unserer Mitstreiter zählen, sehr ausgefeilte Designs und sogar eigene Quests mit sich bringen. Das im Grunde sehr coole Klingen-System, birgt einen Haufen unterschiedlicher Spielmöglichkeiten für jeden Spieler. Das Wechseln der Klingen im Kampf wird aufgrund unterschiedlicher Elementar- und Charakterklassen unverzichtbar. Aufgrund des unzuverlässigen Systems zum Erhalten neuer Klingen, fühlten wir uns schnell abgeschreckt, neue Exemplare anzustreben. Diese über normale Quests in Aussicht zu stellen, wäre eine wesentlich bessere Option gewesen.

Die restlichen Quests sind größtenteils an reguläre Hohl- und Hau-Aufträge gebunden, deren Ziele immer Items, Gegner oder Personen sind. Aufgepeppt mit kurzen Handlungen sind diese zwar auch, wer die Textpassagen überspringt, verpasst allerdings nicht wirklich viel. Leider wird unserer Navigation in Spielwelt und Menüs einige Steine in den Weg gelegt, die uns immer etwas weiter Laufen und mehr Tasten klicken lässt, als es für unseren Geschmack nötig gewesen wäre. Dadurch gestalten sich auch einfachste Tätigkeiten immer etwas anstrengender, als sie sein müssten.

Der Anime zum Selberspielen

Xenoblade Chronicles 2 erzählt sich in sehr üppigen Zwischensequenzen, die teils mit Humor unterhaltsam aufgelockert werden. Zusammen mit der guten deutschen Übersetzung und der passenden Musikuntermalung fühlt sich das Ganze direkt noch mehr nach einer TV-Serie aus Japan an. Dem spielt auch das neue bunte Charakterdesign in die Hände, das nach Xenoblade Chronicles X weitaus weniger realistisch anmutet und direkt aus einer Manga- oder Anime-Vorlage entstammen könnte. Neu ist auch der bisher offensivste Umgang mit Fanservice, der die japanische Herkunft des Spiels auch aus zehn Kilometern Entfernung deutlich macht. Die Designs sind zwar nur reiner Schauwert, aber wenn wir uns die kindlichen Darstellungen der Figuren in den Kopf rufen, wirken die zahlreichen übersexualisierten Designs noch einmal besonders befremdlich.

Für die Musik zeigt sich die selbe Truppe wie schon bei Xenoblade Chronicles verantwortlich. Die imposanten, dicken Tracks können aufgrund ihrer Präsenz und Direktheit kaum noch als Hintergrundmusik bezeichnet werden, missen wollten wir die Musik beim Erkunden der Welt aber auf keinen Fall. Vertont liegt Xenoblade Chronicles 2 auf Japanisch und Englisch vor, bei letzterem sorgen erneut Britische Sprecher für einen ganz eigenen Charme, dafür wurde auf etwas Lippensynchronität verzichtet.

Das Spiel besitzt trotz der zahlreichen satten Farben einen einheitlichen schönen Stil, allerdings erkenn wir an den Figuren- und Gesichter-Animationen deutlich, dass sich Monolith Soft hier noch Luft nach oben gelassen hat. Tolle Lichtstimmungen und der dynamische Tag- und Nacht-Wechsel lassen die zahlreichen Welten dafür umso schöner wirken und besonders die unterschiedlichen Kombo-Angriffe während den Kämpfen sind deftig inszeniert. Im Handheld-Modus läuft zwar eine erkennbar niedrigere Auflösung, als im TV-Modus, an diese konnten wir uns nach etwas Spielzeit aber gewöhnen. Die schön große Schriftgröße sorgt dazu für eine angenehme Spielbarkeit.

Geschrieben von Jonas Maier

Fazit:

 

Xenoblade Chronicles 2 bot mir ein fantastisches Spielerlebnis, das durch kleine nervige Nadelstiche aufgerieben wurde. Zum Beispiel kann ich mir nicht erklären, wieso wichtige Funktionen erst in einem Untermenü zu finden sind, wenn gleichzeitig drei Tasten die gesamte Spieldauer hinweg mit banalen Steuerungs-Tipps belegt sind. Gleichzeitig ist es umso lustiger, wenn es tatsächlich keine Möglichkeit gibt, Tutorials oder andere bitternötige Erklärungen für die ganzen Spielsysteme irgendwo nachzulesen. Der tolle Artstyle, die gigantischen Welten und der Tiefgang vieler Gameplay-Elemente haben mich aber immer wieder darüber wegsehen lassen. Und wer auf überinszenierte Anime-Rollenspiele mit massig Umfang steht, wird sowieso enormen Spaß haben.