Notorische Angel-Minispiele als Spaß- und Fortschrittsbremse – SPECIAL

Die Angelei gehört zum Minispiel-Stammrepertoire japanischer Videospiele. So sehen sich Entwickler regelmäßig in der Verantwortung ihrer Angel-Neurose nachzugehen, selbst wenn die spielerische Einbindung künstlich, langweilig oder im schlimmsten Fall nervig ist.


Als Inselstaat mit großen Küstenlinien ist es eindeutig, warum Japan eine starke Verbindung zur Fischerei hat. Das Meer war und ist als Nahrungsgrundlage essentiell, die geografische Verbundenheit zum Wasser sehen wir auch in Videospielen immer wieder. Viele Menschen legen die zeitintensive Nahrungsbeschaffung als Entspannung oder Sport aus, in Videospielen äußert sich das Angeln meist auf spielerisch vergleichbare Arten und Weisen. Traditionell sehen wir in Abenteuerspielen, Lebens- oder Bauernhofsimulationen und natürlich in Rollenspielen die Option, uns an Teichen, Seen, Flüssen oder direkt am Meer am Angeln zu versuchen.

Manchmal ist das Ganze für den Spielfortschritt entscheidend, aber oft locken diese Aktivitäten gerne mit sinnvollen Belohnungen, dienen als Einnahmequelle oder sind Teil einer Questreihe und zwingen damit den Spieler mal mehr oder weniger direkt, sich mit der Angelei zu beschäftigen. Egal ob in The Legend of Zelda, Ōkami, Rune Factory, Persona oder The Legend of Heroes, geangelt wird sehr oft – schade nur, dass die meisten dieser Minispiele dem Spiel nichts Gutes tun. Wenn die Credits laufen, wird sich im besten Falle niemand mehr ans Angeln erinnern.

Es stinkt nach Fisch

Es liegt in der Natur der Sache, dass ein Angelminispiel das Pacing eines Spiels komplett verändert, in der Regel nicht zum Guten – und das nicht nur in Actionspielen. Eben noch sind wir über die Oberwelt geflitzt, haben die Welt gerettet und Schwertkämpfe gefochten; am Angelplatz angekommen gelten plötzlich ganz andere Regeln. In den meisten Spielen lässt sich das Angeln in zwei Phasen unterteilen: Dem Angelwurf alias Langeweile und Irritation und dem Einholen, besser bekannt als Überforderung und Frustration.

Vorgeschaltet ist in der Regel ein umfangreiches Tutorial, in dem uns auf einen Schlag alle Eingabebefehle und Hinweise gegeben werden, die zum entsprechenden Zeitpunkt abgerufen werden sollen. Wenn wir eines wissen, dann, dass viele Videospieltutorials an derselben Krankheit leiden und teils hoffnungslos überladen oder langatmig sind – besonders für Beschreibungen von Kampfsystemen – und gerne auf fünf Seiten Mechaniken erklären, die wir als Spieler zu Beginn eines Spiels ohne Gameplay-Erfahrung überhaupt nicht verarbeiten können. Angelminispiele setzten diese Tradition ungehindert fort.

Phase 1: Angeln als psychologische Folter der Extraklasse

Meist wird nach der Personalisierung von Angelrute oder Haken die Angel ausgeworfen, via Kraftanzeige per Knopfdruck. Anschließend sehen wir aus der Third-Person-Perspektive oder einer Draufsicht wie der Köder im Wasser vor sich hintreibt. Jetzt heißt es warten. Je nach Spiel können wir hier nichts tun, bis sich unsere Angelroute strafft oder der Köder unter Wasser taucht; ein unklares Symbol für einen Fisch am Haken. Beim Nichtstun übermannt uns natürlich sofort das ungute Gewühl, ob wir vielleicht die Rute nicht weit genug ausgeworfen haben oder in die falsche Richtung des Teichs. Vielleicht müssen wir einfach noch länger warten! Entspannung sieht anders aus.

In Spielen, in denen wir selbst Handlungs- und Entscheidungsträger sind, ist das ein absoluter Kontrollverlust, der sich nicht richtig anfühlt. Manche Spiele stellen die Fische unter Wasser als dunkle Schatten dar, aber die Lesbarkeit der armen Fische wird dadurch trotzdem nicht besser. Gerne blubbern diese ohne erkennbarere Reaktion auf den Köder lustlos vor sich hin. Ist das Teil der Angelwartetherapie oder war unser Angelwurf nicht gut genug? Das wissen wir erst, wenn wir mehr Erfahrung in diesen Minispielen gesammelt haben, denn diese Minispiele wollen besonders oft gespielt werden und bringen gerne eigene Level und Upgrades für die Ausrüstung mit. Entsprechend ist mit diesem Vorwissen klar, dass die großen Fische am Anfang sowieso keine Option zum Fangen darstellen, egal wie „gut“ wir uns anstellen.

Phase 2: Angeln als schnellster Weg in die Depression

Kommt der Fisch? Hat er schon angebissen? Ist das Timing schon vorbei? Fragen, die wir uns besser nicht stellen sollten. Beißt dann irgendwann doch ein Fisch an, ist die Panik oft größer als die Freude. Inzwischen haben wir längst vergessen, welche präzisen Inputs in diesem einen von tausend Angelminispielen die richtigen sind. Richtig wäre das kontinuierliche Hämmern auf einen Aktionsknopf, während wir den rechten Analogstick langsam in Abhängigkeit der Vibration des Controllers gegen den Urzeigersinn rotieren sollen, den rechten Analogstick je nach Körpersprache unserer Spielfigur zum Gewichtausgleich in die entgegengesetzte Richtung schieben und – falls der Fisch aus dem Wasser springt -, alle Tasten sofort loslassen müssen. Obacht auf die Überlastungsanzeige der Angelschnur oben links am Bildschirm, den Felsen im Wasser und sobald die Ausdauer unserer Spielfigur im roten Bereich ist, müssen wir selbstverständlich kurz lockerlassen und dem Fisch ein bisschen „Luft zum Atmen geben“. Das ist aber nicht mehr relevant, denn der Fisch ist schon längst über alle Berge.

Ganz wichtig: Angelminispiele lassen oft keinen Fehler zu. Wird die Angel zu schnell eingeholt, etwa das Zucken des Köders falsch interpretiert oder bestimmte Tastenkombinationen nicht korrekt wiedergegeben, ist der Fisch gerne schneller vom Haken, als wir schauen können. Da heißt es nur Trial-and-Error bis alle Köder verbraucht sind, doch das Beste kommt erst zum Schluss: In der letzten Sekunde enthüllt sich dann doch nicht der heißersehnte Luxusfisch, sondern ein alter Stiefel, ein Autoreifen oder eine andere Niete. Der gute Köder, den wir uns erst aus limitierten Ressourcen craften müssen oder dem geizigen Ladenbesitzer für viel zu viel Geld abkaufen müssen, geht natürlich genauso wie eine Menge Zeit und die Lust auf einen weiteren Angelversuch flöten.

Warterei und Zeitverlust

Entspannung stellt sich hier absolut nicht ein. Kann sie auch nicht, denn immerhin müssen wir in der ersten Phase ständig auf Zack sein und jeden Augenblick mit einem kurzen Zeitfenster rechnen, in dem der Fisch am Haken hängt. Für diesen einen Moment der Momente können wir uns auch nicht vorbereiten. Wir können das Einholen der Fische nur üben, indem wir uns immer und immer wieder durch die Wartephase quälen. Jedes Spiel hat andere Regeln und Mechaniken. Obwohl es immer angeln ist, müssen wir als Spieler immer wieder Neues lernen und bei null anfangen.

Noch besser wird es nur, wenn diese Angel-Eskapaden zum Zwang und Teil der Hauptquest werden. In Persona 4 Golden ist Angeln zwar keine Pflicht, aber Teil vieler Quests und der einzige Weg, den Hermit-Social-Link abzuschließen. Zudem kostet Angeln wertvolle In-Game-Zeit-Slots, die wir genauso wie unsere Lebenszeit nicht mehr zurückbekommen. Bis wir den Sea Guardian am Haken haben, vergeht viel Zeit und wir lassen deutlich spaßigere Aktivitäten links und rechts liegen. In Nier kommen wir nicht herum, als Teil der Haupthandlung die Rute auszuwerfen und eines der unerträglichsten und unverständlichsten Angel-Minispiele zu ertragen, bis uns das eigentliche Action-Rollenspiel wieder freilässt.

Ein wildes Karpador erscheint!

Viel einfacher geht das Ganze in den Pokémon-Spielen von der Hand. Die Hauptreihe hat sich über Jahrzehnte hinweg stark verändert, das Angeln aber blieb bis zur achten Generation gleichermaßen simpel, spannungsvoll und ertragreich. Nachdem wir die Angelrute ausgeschmissen haben, müssen wir nur einen einzigen immergleichen Knopfdruck tätigen, nämlich dann, wenn das Fragezeichen über dem Kopf der Spielfigur erscheint. Anschließend beginnt der gewohnte Kampf gegen ein Wasser-Pokémon und wir sind gespannt, welches Taschenmonster wir am Haken haben. Angeln ist in Pokémon immer einfach zu handhaben, belohnt mit neuen Pokémon beziehungsweise Erfahrungspunkten im Kampf und ist im Gegensatz zum Surfen im Wasser stets optional. So soll es sein!

 

Geschrieben von Jonas Maier