AI: The Somnium Files – TEST
Wenn die Zero-Escape-Reihe für eines steht, dann für komplexe, mitreißende Plots, spannende Figuren und abwechslungsreiche Rätsel. Von diesen drei Punkten hat es in AI: The Somnium Files nur ein Element nicht geschafft.
Auch wenn AI: The Somnium Files nichts mehr mit den Escape-the-Room-Spielen der Zero-Escape-Reihe zu tun hat, sind die Kernthemen, die Erzählweise und der Umgang mit Humor ein klares Zeichen dafür, dass immer noch die selbe Person im Stuhl des Directors sitzt. Der Sci-Fi-Thriller versetzt uns in die Rolle von Kaname Date, einem Mitglied einer kleinen Sondereinheit der Polizei, dem Advanced Brain Investigation Squad.
Sie bekommen ihre Informationen nicht nur durch Befragungen, sondern auch durch das Eindringen in die Gedankenwelt anderer Menschen. Durch das sogenannte Psyncen kann Date in den manifestierten Traumwelten der Verdächtigen auf Spurensuche gehen. Grundlage dafür ist die Theorie, dass tatsächlich erlebte Dinge im Traum verarbeitet werden und auch Dinge des Unterbewusstseins an die Oberfläche gespült werden. Die perfekte Methode, den Leuten ihre Geheimnisse zu entlocken – allerdings spiegeln die Träume natürlich nie die genaue Realität wider.
Mit dem Zweiten sieht man besser
Humor ist trotz der ernsten Geschichte ein stetiger Begleiter. Auch alle anderen Figuren haben ihre eigenen Kniffe, die auch zur schrägen Erzählweise passen. Dumme Wortwitze und inhaltliche Enthüllungen, bei denen sich weder wir noch Date sicher sind, ob wir richtig gelesen haben, gehen Hand in Hand und tragen zu der einzigartigen Stimmung von AI: The Somnium Files bei. Auch wenn die Story Zeit braucht, um in Fahrt zu kommen, waren es die symphytischen Figuren und gelungenen Charakter-Beziehungen, die uns schnell in den Bann gezogen haben. Sobald die Geschichte richtig loslegt, entfaltet AI: The Somnium Files sein ganzes Potential.
Das Spiel baut dabei ein fiktives Mysterium auf, das regelmäßig durch Fakten aus den Bereichen der Geschichte, Natur- und Sozialwissenschaften unterfüttert wird. Der Effekt ist klar: Irgendwann sind wir uns selbst nicht mehr sicher, welche Anekdote tatsächlich wahr und welche nur ein Einfall des Autors ist. Alle Informationen werden aber nicht nur zum Spaß vermittelt, an irgendeinem Punkt der Story wird alles Gesagte auch relevant. Nun, vielleicht nicht wirklich alles, denn AI: The Somnium Files neckt uns regelmäßig mit popkulturellen Anspielungen, viele davon verweisen direkt auf andere Visual Novels. Auch ohne diese zu kennen, funktioniert der Humor so gut wie immer.
Real und surreal zugleich
Das Spiel selbst ist aber keine reine Visual Novel. Die längste Zeit hören wir zwar Date und den anderen Figuren beim Reden zu, aber dazwischen dürfen wir die Umgebungen mit dem Cursor absuchen und kleinere Antwortmöglichkeiten auswählen. Richtiges Gameplay gibt es nur in den Traumpassagen beim Psyncen. Dort werden nicht nur wichtige Plot-Punkte offengelegt, sondern auch mit visuellen verrückten Ideen gespielt, denen keine Grenzen gesetzt sind. Das sind auch die einzigen Passagen, in denen wir in uns aus der Sicht von Aiba frei bewegen dürfen und mit der Umgebung interagieren.
Innerhalb eines begrenzten Zeitlimits müssen wir die Mental Locks entsperren, die uns von den Geheimnissen des Wirts abhalten. Richtige Rätsel wie zuletzt in Zero Time Dilemma sind das nicht, pro Objekt haben wir drei bis vier Interaktionspunkte zur Auswahl. Viele davon sind einfach nur lustige kleinerer Animationen, dafür dürfen wir uns aber nicht immer die Zeit nehmen. Denn jede Interaktion kostet eine bestimmte Anzahl an Sekunden. Die Zeit wird also zur Währung, die uns bis zum Ende des Rätsels nicht ausgehen darf. Taktisch wird das ganze durch die Timies, das sind Zeit-Reduktionen, die wir im richtigen Moment einsetzten können, sodass eine zeitaufwendige Aktion um einen bestimmten Wert gesenkt wird. Schwer waren diese Abschnitte nie, während diesen Passagen passieren allerdings die absurdesten Dinge, ohne Kontext und Zusammenhang – also wie in einem Traum. Das ist Unterhaltung genug.
Traumsprünge
Der Sprung der geistigen Vorgänger vom Nintendo 3DS beziehungsweise von der PlayStation Vita ist technisch eindeutig ersichtlich. Dennoch sind Charakteranimationen und Inszenierung trotz verzeihendem Anime-Look nicht auf der Höhe der Zeit. Die extrem gut gelungene Vollvertonung auf Englisch und Japanisch und der stets präsente Humor verpassen aber auch den technisch mäßigen Modellen viel Charme.
Die Switch hat allerdings noch mit anderen Problemen zu kämpfen. Nicht nur sind die Charaktermodelle neben den Dialog-Boxen arg pixelig, beim Laden von neuen Inhalten starren wir auch gerne mal auf einzelne Standbilder. Auch das schnelle Vorspulen wird dadurch nicht ganz so schnell, wenn das Spiel beim Laden nicht hinterherkommt. Im Handheld-Modus fallen die Probleme der Charakter-Modelle im Dialogfenster nicht auf. Dafür hatten wir Probleme, kleinere Orte von Interesse auf dem Bildschirm mit den ungenauen Analog-Sticks des Joy-Cons anzusteuern.
Wer sich zwanzig bis dreißig Stunden investieren möchte und eine der gleichzeitig spannendste, lustigsten und emotionalsten Geschichten des Jahres erleben will, kommt um AI: The Somnium Files nicht herum. Die technischen Details sind dann auch schon egal. Die Affinität für groben Quatsch und eine grobe Anime-Inszenierung muss aber vorhanden sein.
Geschrieben von Jonas Maier
Fazit:
Anfangs hatte ich noch die Befürchtung, es bleibt bei der „bloßen“ Krimigeschichte und der Jagd nach der simplen Frage: „Wer ist der Mörder.“ Doch schnell erreichte die Story rund um Date, Aiba und den anderen schrulligen Figuren beinahe die alten Qualitäten von zum Beispiel Zero Time Dilemma, auch ohne dem eingeengte Escape-The-Room-Szenario. Das hat mir persönlich zwar noch besser gefallen, vor allem wegen dem klaustrophobischen Setting. Jetzt fährt Date ständig zwischen denselben Spielabschnitten hin und her. AI: The Somnium Files braucht zu Beginn aber vor allem eins: Eine Menge Zeit, um seine Figuren, das Setting und seine Stimmung aufzubauen.
Anschließend vergingen die Stunden wie im Flug, bis ich das Ende gesehen hatte. Sehr gelungen ist die engschliche Synchronisation und auch die Charaktermodelle sowie Umgebungen sind in Ordnung, wenn auch teils unsauber. Was dem Spiel an reiner Leistung fehlt – auch wegen den regelmäßigen Lade-Hängern der Switch-Version, gleicht es durch Kreativität in den Traumpassagen wieder aus. Selten konnte ich mich so wenig auf kommende Ereignisse einstellen, wie in AI: The Somnium Files, und das will was heißen.