Another Code: Recollection – TEST

In den späten 2000er-Jahren gehörte das 2010 aufgelöste Entwicklerstudio Cing, das sich vor allem auf Abenteuerspiele konzentriert hat, zu den beliebtesten Videospielschmieden unter Nintendo-Fans. Zwei dieser Werke wurden als Another Code: Recollection neu aufgelegt.


Nach den beiden konservativ gestalteten Konsolen GameCube und Game Boy Advance setzte Nintendo im Laufe der 2000er-Jahre plötzlich immer mehr auf Innovation. So veröffentlichte das Traditionsunternehmen aus Kyōto 2004 mit dem Nintendo DS ein auf zwei Touchscreens setzenden Handheld und mit der Wii zwei Jahre später auf eine Heimkonsole mit Bewegungssteuerung. Durch diese frischen Steuerungsmethoden ergaben sich in dieser Zeit für Entwickler ganz neue Möglichkeiten, wie mit Videospielen interagiert werden konnte. Zu diesen Spielen gesellten sich mehrere Adventures aus dem Hause Cing dazu.

Hierzu zählen das nur wenige Monate nach Launch erschienene Nintendo-DS-Abenteuerspiel Another Code: Doppelte Erinnerung und dessen im Jahr 2009 auf der Wii veröffentlichte Fortsetzung Another Code R: Die Suche nach der verborgenen Erinnerung. Nach fast sieben Jahren, welche die Switch zum Veröffentlichungszeitpunkt der Another Code: Recollection auf den Buckel hat, sollte jedem bewusst sein, dass sich diese beiden Spiele nicht so einfach auf die Hybridkonsole portieren lassen. Dennoch hat das für die Umsetzung beauftragte Entwicklerstudio Arc System Works diesen Versuch unternommen. Unter Leitung des schon für die Originale verantwortlichen Regisseurs Taisuke Kanasaki ist den Entwickler dieses Unterfangen weitestgehend geglückt.

Verlorene Erinnerungen

Wie schon in den beiden ursprünglichen Spielen schlüpfen wir auf der Switch abermals in die Rolle der zu Beginn der Handlung noch dreizehnjährigen Ashley Mizuki Robins. Zusammen mit dem Dual Another System, kurz DAS genannten Gerät, erhält sie einen Brief von ihrem totgeglaubten Vater Richard, der sie auf eine mysteriöse Insel vor der Westküste Nordamerikas einlädt. Mit ihrer Tante Jessica im Schlepptau macht sich die Teenagerin auf, um ihren Vater zu treffen. Bei Ankunft auf der mysteriösen Blood-Edward-Insel trennen sich ihre Wege allerdings und Ashley ist zunächst vollkommen auf sich alleine gestellt.

Schon in den ersten Spielstunden trifft sie aber auf den Geist D, der fast all seine Erinnerungen verloren hat. Sie schließen einen Pakt: Während Ashley D hilft, dessen Erinnerungen wachzurufen, unterstützt D Ashley, ihren Vater zu finden. Gemeinsam untersuchen sie die Insel und die dort errichtete Villa der Familie Edward, die mit ihren beiden Schicksalen in gewisser Weise zusammenhängt. Mehr wollen wir zur Story zum ersten Teil an dieser Stelle nicht verraten. Im Gegensatz zu anderen Videospielsammlungen lässt sich in der Another Code: Recollection der zweite Serienteil, der die Geschichte zwei Jahre nach den Geschehnissen des Seriendebüts fortführt, allerdings nicht separat auswählen. Die Abenteuer gehen fließend ineinander über.

Schwächlende zweite Spielhälfte

Ohne zu spoilern müssen wir dennoch ein paar Punkte zum zweiten Teil erwähnen, denn für unseren Geschmack fällt die Geschichte in der zweiten, aber gut fünfzig bis siebzig Prozent längeren Spielhälfte deutlich ab. Diesmal geht Ashley auf einen Campingausflug zum Lake Juliet und lernt hierbei deutlich mehr Charaktere wie den pflichtbewussten Ranger Dan und die sture alte Dame Charlotte kennen, mit welchen wir textlastige Dialoge führen müssen.

Problematisch ist hierbei nicht die eigentliche Textlänge, die manchmal einiges an Sitzfleisch erfordert. Vielmehr ist uns der Umgang mit den Charakteren ein Dorn im Auge, denn obwohl diese Figuren interessant geschrieben sind, enden ihre persönlichen Geschichten häufig viel zu abrupt. Wie in Kurzgeschichten bleiben ganze Handlungsbögen offen. So wissen wir nach dem Durchspielen nicht, wie es mit einem guten Teil der Charaktere weitergeht. Wichtig für die Haupthandlung, die von Anfang bis Ende wunderbar funktioniert, ist das zwar nicht, doch in Anbetracht der Spielzeit, die wir investieren müssen, ist es schade, dass mit den Nebengeschichten in der Another Code: Recollection so stiefmütterlich umgegangen wurde. Nach den richtig positiven Erfahrungen im achtstündigen Auftakt können die Erwartungen, zumindest in puncto Story, im zwölf- bis vierzehnstündigen zweiten Teil nicht ganz gehalten werden.

Einzigartiger Rätselspaß

Das heißt aber noch lange nicht, dass die Another Code: Recollection gleich eine sehr viel schlechtere Zusammenstellung ist. Liebevoll werden zum Beispiel alle wichtigen Informationen über sämtliche Akteure archiviert und im Verlauf des Spiels ständig aktualisiert. Dadurch, dass die eigentliche Geschichte trotz so manch vorhersehbarer Handlungswendung stringent und zudem recht spannend erzählt ist, sind wir stets bemüht, alle Geheimnisse zu lüften. Unter anderem können wir circa zwanzig Origami-Kraniche fotografieren, um mehr über Richards Hintergrundsgeschichte zu erfahren.

Hinzu kommt, dass die allermeisten Rätsel außerordentlich gut in die lineare Story integriert sind. Um die Haustür der Villa der Edwards zu öffnen, ist es etwa notwendig, die beiden Türklopfer in der richtigen Reihenfolge abwechselnd zu betätigen. Einen ersten Hinweis auf die Lösung erhalten wir in einem Flashback von D. Die tatsächliche Reihenfolge müssen wir aber durch genaues Untersuchen der Umgebung selbst herausfinden. Wer nicht gerade mit geschlossenen Augen durch die Welt geht, kommt genau im passenden Tempo schnell auf die Lösung. Die meisten Rätsel sind zudem einzigartig und wiederholen sich nicht. Erst im zweiten Teil kommt es zu einem etwas nervigen Rätsel, das die Entwickler anscheinend auf Gedeih und Verderb gleich mehrfach unterbringen wollten.

Vorsprung durch Technik

Unter technischen Gesichtspunkten sind die beiden Remakes durchaus gelungen. Im direkten Vergleich fällt gerade beim Sprung vom DS auf die Switch die grafische Entwicklung der letzten zwei Jahrzehnte auf. Statt verpixelter visueller Elemente erleben wir das Geschehen auf der Switch in einem hübschen Anime-Look. Zudem ändert sich die Bedienung maßgeblich, denn anstatt auf dem unteren Bildschirm des DS Ashley aus der Vogelperspektive zu manövrieren und auf dem oberen Bildschirm die Umgebung in Standbildern zu betrachten, können wir uns auf der Switch völlig frei in der Gegend auf einem einzelnen Bildschirm bewegen und umschauen oder mit dem DAS auch bis zu zehn Fotos knipsen. Letzteres ist für die Lösung von mindestens einem Rätsel sogar notwendig.

Die Rätseleinlagen, die auf dem DS noch stark auf den Touchscreen und das Mikrofon ausgelegt sind, wurden für die Another Code: Recollection allgemein angepasst, da diese Version ja nicht nur im Handheld-Betrieb, sondern auch auf dem großen Fernsehbildschirm genutzt werden soll. Demnach fallen Touchscreen-Eingaben komplett weg. Ähnlich verhält es sich mit der Bewegungssteuerung und der Pointer-Funktion des zweiten Teils von der Wii, wodurch die überwiegend gelungenen Rätsel – wie bereits erwähnt –, noch besser auf die Story und das Geschehen zugeschnitten sind.

Kleinere Schwächen

Dennoch steht es um die Technik der Another Code: Recollection nicht zum Besten. So sticht der Anime-Look gerade bei den Charakteren und während der Dialoge hervor, die häufig in comicartigen Panels inszeniert sind. Geht es jedoch um Mimik und Gestik, so sind die Charaktermodelle nur spärlich animiert. Während dies noch zu verkraften ist, können wir nicht verstehen, warum das Spiel im stationären Betrieb und vor allem dann, wenn wir mit Ashley laufen oder uns umsehen, nicht hundertprozentig mit dreißig Bildern pro Sekunde ausgegeben wird. Grafisch ist das Spiel weder besonders anspruchsvoll noch fallen die Areale derart groß aus, dass das leichte Stottern zu erklären ist. Das Gameplay des Adventures – und das müssen wir an dieser Stelle unbedingt betonen –, wird dadurch aber an keiner Stelle beeinträchtigt!

Dafür machen die wunderbaren Melodien, die meistens sehr ruhig, fröhlich und verspielt im Hintergrund zu hören sind, viel von der Atmosphäre aus. Hierzu trägt auch die tolle japanische Sprachausgabe bei, die so gut wie bei allen Dialogen zu hören ist. Wer lieber englische Stimmen hören mag, kann jederzeit zur ganz guten englischen Sprachfassung wechseln. Genre-Fans, auch jene, die die Originale schon kennen und sich den wenigen, wenn auch nicht bedenkenlosen Defiziten bewusst sind, dürfen aller Unkenrufe zum Trotz bei der Another Code: Recollection zugreifen und sich 20 bis 22 Spielstunden Ashleys Geschichte widmen.

Geschrieben von Eric Ebelt

Fazit:

Aufgrund dessen, dass ich 2005 noch keinen Nintendo DS besaß und mein Interesse am Adventure-Genre erst einige Jahre später so langsam in Fahrt kam, kannte ich bis heute nur die zweite, sprich für die Wii veröffentlichte Episode der Another-Code-Reihe. Damals empfand ich den Titel als ein Spiel, das sich im oberen Genremittelfeld bewegt. Tatsächlich hat sich meine Meinung dazu nur wenig verändert: So fühlt sich die zweite Spielhälfte der Another Code: Recollection für meinen Geschmack zu langatmig und noch ein gutes Stück linearer als der Auftakt an. Auch beim Umgang mit diversen Nebencharakteren haben sich die Entwickler nicht gerade mit Ruhm bekleckert, denn diese sind plötzlich nicht mehr von Relevanz oder verschwinden viel zu plötzlich. Da gefällt mir der Auftakt deutlich besser, denn dieser erzählt die Story zwar ebenso linear, aber auf engerem Raum und mit ein paar mehr Freiheiten. Dafür sind die Rätsel bis auf die sich wiederholende Ausnahme in der zweiten Spielhälfte einzigartig konstruiert. Auch gefallen mir der Anime-Stil und der wunderschöne Soundtrack. Lediglich die leichten technischen Defizite wie das Stottern der Bildwiederholrate beim Umsehen oder Laufen im stationären Betrieb sind für mich nicht nachvollziehbar. Dank der zahlreichen Änderungen, die für das Remake-Doppelpack sprechen, dürfen selbst Kenner der Originale bei der Another Code: Recollection einen Blick riskieren, sofern sie die wenigen, aber spürbaren Defiziten akzeptieren.