Chained Echoes – TEST

Am 08. Dezember erschien mit Chained Echoes ein Rollenspiel aus Deutschland unter anderem für die Nintendo Switch, das sich auf die klassischen japanischen Genrevertreter der 1990er Jahre beruft. Quasi im Alleingang über einen Zeitraum von sieben Jahren von Matthias Linda entwickelt, ist das Spiel eine liebevolle Hommage an das Genre, das nicht nur mit seiner toll gezeichneten, detaillierten 16-Bit-Optik und einer epischen Geschichte zu gefallen weiß, sondern auch mit innovativen Ideen und interessanten Spielmechaniken aufwartet.


Die 1990er Jahre waren für viele Fans des Genres die goldene Zeit der japanischen Rollenspiele. Legendäre 16-Bit-Klassiker auf dem Super Nintendo wie Final Fantasy VI oder Chrono Trigger und Rollenspiel-Epen in Polygon-Optik wie Final Fantasy VII, Breath of Fire III oder Xenogears gelten heute noch als wegweisend und teilweise unübertroffen. Kein Wunder also, dass sich viele Fan-Projekte oder auch Indie-Rollenspiele an diesen Klassikern orientieren. Chained Echoes lässt sich ohne Zweifel in diese Reihe einordnen. Entwickelt wurde das Spiel von Matthias Linda aus Nordrhein-Westfalen, der das Spiel fast im Alleingang entwickelte und sich für die Handlung, das Design und die Programmierung verantwortlich zeichnet. Lediglich beim Soundtrack holte er sich Unterstützung durch den US-amerikanischen Komponisten Eddie Marianukroh. Matthias Linda hatte schon Erfahrung in der Entwicklung von Fan-Spielen mit dem RPG-Maker und begann mit der Entwicklung seines Herzensprojekts im Jahr 2016, nachdem er bereits ein Jahr lang an dem Story-Konzept geschrieben hatte. 2019 folgte eine erfolgreiche Kickstarter-Kampagne, welche der Entwicklung einen weiteren Schub brachte. Zusätzlich gefördert wurde Chained Echoes durch die Film und Medien Stiftung NRW und konnte schließlich Ende 2022 durch den Publisher Deck13 veröffentlicht werden.

Hier drängt sich natürlich der Vergleich mit Stardew Valley auf, welches ebenfalls größtenteils von nur einer Person entwickelt wurde. Denn genau wie sich Eric Barone für sein unglaublich erfolgreiches Farming-Rollenspiel von seinen Vorbildern wie Harvest Moon hat inspirieren lassen, um seine eigene modernisierte Version dieses Genres zu kreieren, griff auch Matthias Linda für Chained Echoes auf seine Lieblingsspiele zurück. In Interviews nennt er beispielsweise die Genre-Größen Chrono Trigger, Final Fantasy VI, Xenogears, Terranigma, Secret of Mana, Suikoden 2, Breath of Fire und Legend of Dragoon als seine großen Vorbilder, aber auch der Einfluss bestimmter Manga- beziehungsweise Anime-Serien wie Fullmetal Alchemist und Berserk sind deutlich zu erkennen. Trotzdem gelingt es Matthias Linda mit vielen eigenen Ideen, frischen Wind in das Genre der japanischen Rollenspiele zu bringen und Chained Echoes zu einem eigenständigen Spiel werden zu lassen, das den Vergleich mit den großen Vorbildern nicht zu scheuen braucht.

Ein episches Abenteuer mit Luftschiffen und Mechs

Chained Echoes entführt uns auf den kriegsgebeutelten Fantasy-Kontinent Valandis, der seit mehreren Generationen von einem großen Konflikt zwischen drei verfeindeten Reichen geschunden wird. Wir übernehmen die Rolle des jungen Söldners Glenn, der am Anfang des Spiels mit seinen Mitstreitern des Bundes des Eisernen Bullen mit dem Luftschiff Sternenritt unterwegs ist, um einen Angriff auf eine Festung anzuführen. Im Laufe der Schlacht aktiviert Glenn mehr oder weniger aus Versehen eine zerstörerische Waffe, welche unzählige Menschenleben fordert, aber gleichzeitig auch die drei verfeindeten Reiche an den Verhandlungstisch bringt und für ein wackliges Friedensabkommen sorgt. Von Schuld geplagt macht sich Glenn nun auf eine Reise durch den Kontinent, um seine Tat zu verarbeiten und den Grund für die Explosion zu finden. Dabei gerät er in den wieder aufflammenden Konflikt und muss sich mit einer ganzen Reihe von politischen Intrigen und Ränkespielen herumschlagen. Im Laufe des Abenteuers schließen sich ihm eine bunt zusammengewürfelte Schar an sympathischen Mitstreitern an, die allesamt ihre Motivationen und Ziele mitbringen. Neben Lenne, der Prinzessin des Reiches Taryn und dem weit gereisten Abenteurer und Barden Victor trifft Glenn auch auf illustre Charaktere wie die Diebin Sienna oder den Echsenmenschen Ba’Thraz.

Unsere Reise durch Valandis führt dabei durch die verschiedensten Landschaften wie Wälder, Steppen, Wüsten und natürlich zahlreiche Dungeons, die aber allesamt ihren ganz eigenen Look haben und der Fantasy-Welt ihre ganz eigene Note geben. Dargestellt werden die abwechslungsreichen Ländereien in bester 16-Bit-Optik in der für die 1990er-Jahre typischen Vogelperspektive. Die einzelnen Gebiete sind dabei zudem recht groß und laden zur Erkundung ein. Zahlreiche Schnellreisepunkte sorgen dafür, dass die Laufwege nicht zu lang werden und wir schnell zu bereits erforschten Gegenden zurückkehren können. Später bekommen wir zudem Genre-typisch unser eigenes Luftschiff, welches die Erkundung zusätzlich erleichtert. Im Verlauf unseres Abenteuers dürfen wir zudem in das Cockpit von haushohen Mechs steigen, die Himmelsrüstungen genannt werden und mit denen wir genau wie im Klassiker Xenogears auch Kämpfe bestreiten können.

Innovatives Kampfsystem und viele frische Ideen

Glücklicherweise beweist Matthias Linda nicht nur bei der Story und den Charakteren sein Talent, sondern bringt auch bei dem Spiel selbst einige frische Ideen mit statt seine großen Vorbilder lediglich zu kopieren. Auseinandersetzungen mit den zahlreichen fantasievollen Monstern, menschlichen und nicht-menschlichen Gegnern finden in Chained Echoes im Gegensatz zu vielen anderen Genre-Vertretern nicht zufällig statt. Hier hat sich Matthias Linda Chrono Trigger als Vorbild genommen. Genau wie in Square Enix‘ Klassiker sind die Gegner immer zu sehen und die Kämpfe finden immer an Ort und Stelle statt. Einen separaten Kampfbildschirm gibt es nicht. Im Kampf steuern wir vier Charaktere, können aber jedem der aktiven Charaktere einen weiteren passiven zuordnen, den wir ohne den Verlust einer Runde einwechseln können.

Das rundenbasierte Kampfsystem wird dabei von dem sogenannten „Overdrive-Meter“ bestimmt, welches am oberen linken Bildschirmrand angezeigt wird. Dieses besteht aus einem gelben, grünen und roten Bereich. Führen wir eine Attacke, eine Spezialfertigkeit oder einen Zauberspruch aus, verschieben wir den Zeiger auf dem Overdrive-Meter nach rechts. Ist der Zeiger im grünen Bereich angelangt, verursachen unsere Attacken den doppelten Schaden bei den Gegnern, kosten weniger Punkte und unsere Verteidigung wird gestärkt. Geraten wir jedoch in den roten Bereich, „überhitzen“ wir und nehmen den doppelten Schaden. Unser Ziel ist es also, während des Kampfes möglichst im grünen Bereich der Anzeige zu bleiben. Um nicht zu überhitzen, behalten wir die Anzeige links neben dem Overdrive-Meter im Auge, in der ein zufälliges Symbol zu sehen ist. Führen wir eine Fähigkeit oder einen Zauber mit dem angezeigten Symbol aus, verschiebt sich der Zeiger wieder ein Stück nach links. So müssen wir während der Kämpfe durchaus taktisch agieren, um den Zeiger möglichst im grünen Bereich des Overdrive-Meters zu halten. Dies ist manchmal gar nicht so einfach und bringt uns besonders während der zahlreichen Kämpfe gegen riesige Bossgegner öfters ins Schwitzen. Das Overdrive-Meter sorgt für einen ganz besonderen taktischen Kniff, und da selbst die Standard-Gegner mitunter wirklich herausfordernd und über einen recht großen Pool an Lebenspunkten verfügen, müssen wir auch in ganz gewöhnlichen Kämpfen unser gesamtes Repertoire an Fähigkeiten aufbringen, um zu gewinnen. Dadurch ziehen sich selbst gewöhnliche Kämpfe in die Länge, aber da diese in Chained Echoes nur an bestimmten Stellen stattfinden und immer gut platziert sind, werden sie nie langweilig. Zudem regenerieren wir nach jedem Kampf automatisch alle unsere Lebens- und Skillpunkte, weshalb wir außerhalb der Auseinandersetzungen auf Heilzauber und –tränke verzichten können. Wer dennoch überfordert ist, kann bei Bedarf den Schwierigkeitsgrad im Optionsmenü justieren.

Eine weitere Besonderheit ist, dass das Rollenspiel im Gegensatz zu den meisten anderen Genre-Vertretern vollkommen ohne Erfahrungspunkte auskommt. Statt Levelaufstiege gibt es Fähigkeitspunkte, die wir auf verschiedene aktive und passive Boni oder neue Fertigkeiten verteilen können. Diese Fertigkeitspunkte erhalten wir aber ausschließlich nach dem Sieg über bestimmte Bossgegner. Das in vielen anderen Rollenspielen vorkommende Grinding ist somit in Chained Echoes nicht möglich.

Ein Traum in 16-Bit-Optik

Wie bereits erwähnt präsentiert sich Chained Echoes in einer detaillierten 16-Bit-Pixel-Optik und lehnt sich dadurch auch an seine großen Vorbilder auf dem Super Nintendo an. Die einzelnen Szenarien, durch die unsere Reise führt, sind sehr abwechslungsreich und bieten einige wunderschöne Panoramen. Zudem sorgen sie mit kleinen animierten Details wie beispielsweise sich im Wind wiegendem Gras, plätschernden Flüssen oder Fischen im Wasser dafür, dass sich die Welt lebendig anfühlt. Dadurch entsteht eine stimmungsvolle Atmosphäre, die uns tief in die Welt von Chained Echoes eintauchen lässt. Auch in den Städten entdecken wir immer wieder skurrile Details wie beispielsweise riesige Katzen, welche dem Fantasy-Kontinent Valandis eine zusätzliche, ganz eigene Note geben.

Für Atmosphäre sorgt auch der stimmungsvolle Soundtrack von Eddie Marianukroh, der mit einigen eingängigen passenden Melodien zu gefallen weiß. Die Musikstücke passen dabei auch immer zu dem entsprechenden Szenario und bleiben uns auch noch nach dem Spielen längere Zeit im Kopf. Technisch läuft Chained Echoes auch auf der Nintendo Switch tadellos, lediglich wenn das Spiel beim Wechsel in eine neue Gegend automatisch speichert, friert der Bildschirm kurz ein. An ein paar wenigen Stellen sind wir jedoch auch über ein paar kleinere Bugs gestolpert. So hing unsere Heldentruppe an ein paar wenigen Stellen beim Wechsel in einen neuen Bildschirm in der Landschaft fest und konnte erst durch einen Neustart des Spiels aus ihrer misslichen Lage befreit werden. Zukünftige Patches dürften diese Probleme jedoch sicherlich lösen können.

Geschrieben von Markus Schoenenborn

Fazit:

 

Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich die Entwicklung von Chained Echoes nur am Rande mitbekommen habe. Zwar sprachen mich die schönen Charakterdesigns und die tolle 16-Bit-Optik sofort an, aber trotzdem hatte ich das Spiel lange nicht richtig auf dem Schirm. Erst kurz vor dem Release habe ich mir Trailer und Screenshots angeschaut und war gehyped. Entsprechend begeistert war ich dann auch, als ich Chained Echoes spielen durfte. Die Geschichte hat mich sofort in ihren Bann gezogen, und obwohl sie am Anfang eher langsam in Gang kommt und in ihrem Verlauf ein paar plötzliche Sprünge macht, konnte sie mich bis zum Ende begeistern. Die großen Vorbilder von Chained Echoes sind zwar überall zu erkennen, trotzdem steht das Spiel durch seine vielen eigenen Ideen für sich alleine und braucht sich tatsächlich vor den großen Genre-Vertretern nicht zu verstecken. Man merkt wirklich an jeder Ecke des Spiels, wie viel Herzblut Matthias Linda in sein Projekt gesteckt hat. Sei es die detaillierte Fantasy-Welt, die hübsch designten Monster oder die vielen Innovativen Ideen, hier wurde wirklich viel Arbeit investiert. Das Kampfsystem ist mit seinem Overdrive-Meter gut durchdacht und bringt frischen Wind in das Genre der japanischen Rollenspiele. Trotzdem muss ich sagen, dass mir manche Kämpfe dann doch manchmal etwas zu lang waren und die Gegner vielleicht einen Tick zu viele Lebenspunkte besitzen. Alles in allem ist Chained Echoes wirklich ein herausragendes Rollenspiel geworden, das jeder Fan des Genres einmal gespielt haben sollte. Das Spiel bietet cira 40 Stunden beste klassische Rollenspiel-Unterhaltung. Was will man mehr?