Gynoug – TEST

Ursprünglich 1991 für das Mega Drive erschienen, stach Gynoug aufgrund seiner ungewöhnlichen Horror-Thematik schon damals aus der Masse der Shoot-’em-ups für Segas 16-Bit-System heraus. Im Oktober 2021 kehrte es dank Publisher Ratalaika Games mit einigen Zusatzfunktionen auf der Switch zurück.


Anfang der 1990er-Jahre avancierte das Sega Mega Drive neben der PC-Engine zum Paradies für Shoot-’em-up-Fans. Exzellente Titel wie Musha Aleste, Gaiares oder die Thunder-Force-Reihe ließen die Herzen von Ballerfans höher schlagen. Gynoug, das im Jahr 1991 erschien, ist neben dem Fantasy-Shoot-’em-up Elemental Master einer der ungewöhnlicheren Genre-Titel für Segas Konsole. Steuern wir doch statt eines hypermodernen Raumschiffs einen geflügelten Heroen und nehmen es anstatt mit Aliens mit allerlei dämonischem Gesindel auf. Gynoug (oder Wings of Wor, wie es in der US-amerikanischen Verison heißt) wurde von Masaya, einem kleinen japanischen Entwicklerstudio entwickelt, das mit dem tollen und ebenfalls durch Ratalaika Games für die Switch erschienenen Gleylancer bereits Shoot-’em-up-Erfahrung gesammelt hatte. Westlichen Spielern dürfte Masaya zudem durch die Strategie-Rollenspielserie Langrisser bekannt sein. Daneben ist das Entwicklerstudio Kennern besonders obskurer japanischer Titel durch die bizarre homoerotische Bodybuilder-Shoot-’em-up-Serie Chō Aniki ein Begriff, zu der Gynoug den inoffiziellen Vorgänger darstellt.

Die Story von Gynoug ist wie bei den meisten Genre-Vertretern recht schnell erzählt: In einem undefinierten Zeitalter zwischen Mittelalter und Moderne wuchs mit den finsteren Sehnsüchten der Menschen die Macht der Dämonen. Mit einem Wesen an der Spitze, das nur als der Destroyer bekannt ist, planen sie einen Angriff auf das Reich des Himmels. Wor, ein mächtiger Engel, wird ausgesandt, die schleimige Dämonenbrut zu stoppen. Interessanterweise verzichtet die US-amerikanische Version bei der Story auf sämtliche Referenzen auf Engel und Dämonen und macht den Helden Wor zum Retter von Iccus, einem Planeten geflügelter Menschen, der gegen Mutanten kämpft. Wie dem auch sei, die Story spielt letztendlich nur die zweite Geige. Das Wichtigste ist bei einem Shoot ’em up ist der Feuerknopf und gute Reflexe. Und beides wird hier voll ausgereizt.

Durch Höhlen, Fabriken und die Gedärme der Bestie


Wir steuern unseren geflügelten Helden durch insgesamt sechs lange, thematisch abwechslungsreiche und meist von links nach rechts scrollende Level. Im ersten Level fliegen wir durch eine weitläufige Höhlenlandschaft, danach steht ein Ausflug auf den Meeresgrund auf dem Programm. Level Drei schickt uns in antike Prunkbauten inklusive passender Musik, die auch aus einem Castlevania-Spiel stammen könnte. Im vierten Level geht es mitunter in rasender Geschwindigkeit durch eine Fabrik. Das fünfte und längste Level ist gleichzeitig das ungewöhnlichste: hier geht es durch die Eingeweide eines gigantischen Monstrums. Die wabernden Darmzysten und Blutbahnen bieten dabei einige sehenswerte Grafikeffekte, die allerdings mit der Zeit auch etwas auf die Augen gehen und nach langer Spieldauer ein sicherer Kopfschmerzgarant sind.

 

Hier fällt auch schon die ungewöhnliche Ästhetik des Spiels auf, die sich irgendwo zwischen Fantasy, Steampunk und Body Horror bewegt. Dies spiegelt sich auch in den zahlreichen und sehr abwechslungsreichen Feinden wieder, die unablässig versuchen, uns die Flügel zu stutzen. So wartet jedes Level mit einer eigenen thematisch passenden Dämonenhorde auf, die von mutierten Schnecken, Totenschädeln und Monsterfischen über lebende Statuen bis hin zu widerlichen Organklumpen reichen.

Ein absolutes Highlight stellen dabei definitiv die größtenteils gigantischen Zwischen- beziehungsweise Bossgegner dar, die wahrscheinlich das herausstechendste Merkmal des Spiels darstellen. Bizarre Mensch-Maschinen wie die groteske Lokomotive aus dem ersten Level sorgen für ein verstörendes Horror-Feeling. Monster-Designer Satoshi Nakai, der auch an Chō Aniki beteiligt war und zudem einige Monster für Resident Evil: Code Veronica entwarf, ließ sich für Gynoug eigenen Aussagen zufolge vor allem von David Lynchs Dune-Verfilmung aus dem Jahr 1984 inspirieren. Für Abwechslung ist auf jeden Fall gesorgt, und die Ästhetik alleine reicht unserer Meinung nach schon für einen Kauf. Gerade die Bossgegner solltet ihr einmal gesehen haben! Lediglich das kurze letzte Level, das außer einer Parade der meisten bereits besiegten Zwischen- und Bossgegner lediglich mit dem Endgegner aufwartet, enttäuscht uns etwas. Hier scheint den Entwicklern leider etwas die kreative Puste ausgegangen zu sein. Auch der Abspann ist genretypisch leider etwas kurz und unspektakulär.

Herr über die Naturgewalten


Um uns der widerlichen Ausgeburten der Hölle zu erwehren, können wir auf drei Standardwaffen zurückgreifen, die durch rote, blaue und goldene Kristalle symbolisiert werden: Ein trichterförmiges Fächerfeuer, ein geradliniges Streufeuer und ein sowohl nach vorne als auch nach hinten zielender Schuss. Diese sind wiederum in fünf Stärkestufen ausbaufähig. Daneben können wir auch auf einige Zaubersprüche zurückgreifen, die eine Alternative zu den genreüblichen alles vernichtenden Smartbomben darstellen. Unser Held Wor ist Herr über die Elemente, und mit Schriftrollen, die wir während der Level einsammeln, können wir die Naturgewalten entfesseln. Dabei gilt, je mehr wir von einer Art Zauberspruch einsammeln, desto stärker wird er. Neben Donnerschlägen und Stürmen können wir auch Hilfsengel herbeirufen, die kräftig mitballern können.

 

In puncto Schwierigkeitsgrad bewegt sich Gynoug im Mittelfeld. Sind die ersten drei Level noch relativ harmlos, gehen die schleimigen Widersacher ab Level Vier immer aggressiver gegen uns vor. Manchmal ist dabei der Bildschirm voll von gegnerischen Schüssen, sodass wir hier nur mit voller Konzentration weiterkommen. Gerade in Level Fünf mit seinen wabernden organischen Texturen wird es schon einmal recht unübersichtlich. Grafisch ist das Spiel Mega-Drive-typisch recht dunkel gehalten, was aber sehr gut zum Setting passt. Das Highlight sind für uns wie bereits erwähnt die kreativen und zahlreichen Bossgegner. Zum Sound gehen die Meinungen etwas auseinander. Manche finden ihn schrecklich, unserer Meinung ist er aber sehr abwechslungsreich und passt trotz des schnellen Tempos zur düsteren Horror-Stimmung des Spiels. Verantwortlich für den Soundtrack zeichnet sich Noriyuki Iwadare verantwortlich, der auch die Musik zu Gleylancer und Langrisser komponierte.

Pixelgenaue Umsetzung und praktische Zusatzfunktionen


Zum Glück wird beim Switch Re-Release für gestresste Ballerfans Abhilfe geschaffen. Neben der für solche Neuveröffentlichungen üblichen Rückspulfunktion, wie sie auch beispielsweise bei Panorama Cotton oder Cotton 100% enthalten war, können wir über das Hauptmenü einige Cheats einstellen. Mit diesen können wir zum Beispiel das Rückstufen der Extrawaffen nach dem Verlust eines Lebens ausstellen oder unseren Engel gleich völlig unverwundbar machen. Darüber hinaus können wir das Spiel jederzeit in sechs Spielständen speichern, was unseren Sieg über die fleischgewordenen Alpträume Gynougs zusätzlich erleichtert. Hartgesottene Ballerfans können diese Optionen einfach ignorieren und das Spiel so genießen wie es ursprünglich vorgesehen war.

 

Zudem können wir im Hauptmenü auch noch Änderungen an der Darstellung vornehmen. Neben der pixelgenauen Wiedergabe stehen auch noch ein vielseitig konfigurierbarer CRT-Modus und ein gestrecktes Breitbildformat zur Verfügung. Weitere Extras gibt es leider nicht, sodass nach dem Abspann, der bereits nach einer guten Stunde Spielzeit über den Bildschirm flimmert, lediglich die Jagd auf einen höheren Highscore bleibt.

Geschrieben von Markus Schoenenborn

Fazit:

Ich habe Gynoug bereits Anfang der 1990er-Jahre auf meinem Mega Drive gespielt. Schon damals begeisterte mich die düstere Ästhetik und die verstörenden Bossgegner. Auch heute weiß das Spiel noch zu gefallen. Es spielt sich flüssig und lädt immer wieder zu einer Runde ein. Spielerisch bleibt Gynoug eigentlich immer fair, auch wenn es ab Level Vier mitunter recht hektisch wird. Gerade im schleimigen und wabernden fünften Level muss ich meine Augen mitunter schon recht stark anstrengen, um von den Wänden aus gegnerischen Schüssen nicht ins Nirwana befördert zu werden. Auch das etwas enttäuschende letzte Level fällt leider etwas ab. Trotzdem sollten interessierte Shoot-’em-up-Fans Gynoug zumindest aus historischen Gründen einmal gespielt haben, denn von der Ästhetik her gibt es außer der bizarren Chō-Aniki-Serie eigentlich nichts Vergleichbares. Es sollte aber auch beachten werden, dass die Spielzeit mit rund einer Stunde recht kurz bemessen ist und es außer der Jagd nach einem neuen Highscore keinerlei Extras gibt.