Mary Skelter Finale – TEST

Fans klassischer Dungeon-Crawler können sich freuen. In Japan bereits im November 2020 erschienen, kam das Finale der Mary-Skelter-Trilogie von Compile Heart und Idea Factory nach Europa und schließt die Geschichte um Jack und die Blood Maidens ab.


3D-Dungeon-Crawler sind wohl die klassischste Form des digitalen Rollenspiels, lassen sie sich doch bis in die 1980er-Jahre und ihre Wurzeln sogar noch viel früher zurückverfolgen. Genre-Urgesteine wie Wizardry und Dungeon Master erfreuten sich auch in Japan großer Beliebtheit. Obwohl das Interesse an klassischen Kerker-Kloppereien in der westlichen Welt Ende der 1990er-Jahre stark nachließ, hielt die Begeisterung im fernen Osten ungebrochen bis heute an. Spiele wie Shin Megami Tensei: Strange Journey oder die Etrian-Odyssey-Serie von Atlus konnten auch außerhalb Japans eine kleine, aber eingeschworene Fangemeinde aufbauen. Die Mary-Skelter-Trilogie von Compile Heart und Idea Factory, deren Abschluss nun auch nach einem Jahr den Weg nach Europa geschafft hat, gehört ebenfalls zu dieser Kategorie von Spielen und richtet sich klar an Hardcore-Fans dieses Genres.

Der erste Teil der Reihe, Mary Skelter: Nightmares, erschien im Jahr 2016 ursprünglich für die PlayStation Vita und 2018 für den PC sowie zusammen mit dem zweiten Teil auch für die Nintendo Switch. Die Serie verknüpft niedliche Anime-Optik mit mitunter recht verstörender Horror-Thematik und erzählt die Geschichte von Jack, der zusammen mit einer Gruppe junger Frauen, den Blood Maidens, versucht aus einem lebenden Gefängnis, dem Jail, zu entkommen. Das Jail befindet sich 666 Meter unter der Erdoberfläche und ernährt sich von Menschen, die von Monstern, den so genannten Marchen in sein Inneres gebracht und dort unablässig gefoltert werden. Die Blood Maidens, welche allesamt Neuinterpretationen bekannter Märchen- und Literaturfiguren wie Alice, Rotkäppchen oder der kleinen Meerjungfrau darstellen, haben übernatürliche Fähigkeiten, mit denen sie zurückschlagen und aus der Hölle des Jails entkommen können.

Aus dem Regen in die Traufe

Mary Skelter Finale beginnt genau dort, wo der zweite Teil aufhörte. An dieser Stelle liegt aber auch schon das erste Problem, denn Einsteiger werden ziemlich überfordert sein. Das Spiel bombardiert einen ab der ersten Minute mit sehr langen Dialog- und Textpassagen und führt über ein Dutzend größtenteils aus den ersten beiden Teilen bekannte Charaktere ein. Kenner der Mary-Skelter-Serie werden sich sofort heimisch fühlen, neue Spieler werden jedoch erst einmal verwirrt zurückgelassen. Zwar sind netterweise sämtliche Zwischensequenzen und wichtige Story-Passagen der beiden Vorgänger im Spiel enthalten und können über das Hauptmenü angesehen werden, doch ist der Einstieg für neue Spieler dadurch mit viel Lesen und Einarbeitung verbunden, um überhaupt einen Anschluss an die Story zu finden. Interessierten, welche die Vorgänger nicht gespielt haben, raten wir aus diesem Grund dringend dazu, mit dem ersten Teil der Reihe zu beginnen.

Nun aber zurück zur Geschichte. Am Ende des zweiten Teils gelang es Jack, den Blood Maidens und einer Gruppe überlebender Menschen, aus dem Jail zu entkommen und an die Oberfläche zu klettern. Dort angekommen erwartet sie allerdings nicht die erhoffte Freiheit, sondern ein Bild des Grauens: postapokalyptische Ruinen, Berge von Leichen, ein Meer aus Blut und weitere Jails empfangen die Überlebenden. Kaum haben sie sich von dem Schock erholt, werden sie von einer Gruppe junger Mädchen mit den unheilsschwangeren Namen Guillotine, Gallows, Iron Maiden und Pyre angegriffen. Die jungen Damen mit aschgrauer Haut nennen sich Massacre Pink und machen ihrem Namen alle Ehre, indem sie beginnen, die Neuankömmlinge gnadenlos niederzumetzeln. In diesem Chaos werden die Protagonisten getrennt und müssen erst einmal in verschiedene Gruppen aufgeteilt ihre Wunden lecken und sich in dieser neuen Welt orientieren.

Ein Labyrinth mit Stimmungsschwankungen

Spielerisch ist Mary Skelter Finale ein klassischer 3D-Dungeon-Crawler. Wir steuern unsere Party in der Egoperspektive Schritt für Schritt durch verschachtelte Labyrinthe und können uns jeweils um neunzig Grad drehen. In der linken unteren Ecke befindet sich eine Minimap, die unsere Schritte aufzeichnet und bei der Orientierung hilft. Da unsere Protagonistinnen (und ihre männlichen Helfer) wie bereits erwähnt getrennt wurden, können wir mit dem neuen Zapping-System jederzeit zwischen den verschiedenen Parties hin- und herschalten. So können wir die jeweils anderen Gruppen in den Dungeons unterstützen. Zum Beispiel, indem wir mit einer Gruppe einen Schalter umlegen, um eine Tür zu öffnen, die einer anderen Gruppe das Weiterkommen versperrt. Dieses System soll ein wenig Abwechslung in den sonst klassischen Dungeon-Alltag bringen. Jedoch stellen sich schon bald erste Ermüdungserscheinungen ein, da wir bereits am Anfang insgesamt sechs Gruppen durch drei verschiedene Dungeons lotsen müssen.

Da das Jail ein lebender Organismus ist, hat es seine ganz eigenen Bedürfnisse und Emotionen und seine Stimmung lässt sich im Spiel tatsächlich beeinflussen. Verspritzen wir beispielsweise in den Kämpfen besonders viel Blut der Gegner, steigt sein Hunger. Sammeln wir Schätze und herumliegende Herz-Symbole, erhöht sich die Libido des Jails. Absolvieren wir Kämpfe ohne selbst Schaden zu nehmen, steigt der Schlafwert des lebenden Labyrinths. Hat einer der drei Werte eine bestimmte Grenze überschritten oder halten wir das Jail bei Laune, indem wir einen bestimmten Wert steigern, werden wir mit einem Bonus belohnt. Das Spiel bietet sehr viele interessante Systeme wie dieses, die auch schon in den Vorgängern präsent waren. Einsteiger dürften aber auch hier überfordert sein.

Von Märchen und Albträumen

Bevölkert werden die Dungeons von einer abwechslungsreichen Schar an Monstern, den bereits erwähnten Marchen, die sich in Zufallskämpfen auf unsere Gruppe stürzen und genretypisch rundenbasiert bekämpft werden. Auch hier kommen wieder wie in den Vorgängern eine ganze Reihe komplizierter Systeme zum Einsatz. So fungiert Hauptcharakter Jack beispielsweise lediglich als Unterstützung der Blood Maidens, selbst mitkämpfen kann er nicht. Stattdessen versorgt er zum Beispiel die Mädchen mit Blut oder schützt sie vor Schaden. Zusätzlich gibt es noch ein komplexes System, das sich um das verspritzte Blut im Kampf dreht. Bekommen die Blood Maidens zuviel davon ab, drehen sie durch und wechseln in den Massacre-Modus, in denen sie mehr Schaden verursachen. Bekommen sie zuviel korrumpiertes Blut ab, gehen sie in den Blood-Skelter-Modus über, in dem sie unkontrolliert Freund und Feind angreifen. Um dies zu verhindern, kann Jack mit seiner Mary Gun sein eigenes Blut nutzen, um die Blood Maidens zu besänftigen. Alternativ können sich die Damen das Blut auch gegenseitig vom Körper lecken, was für Boni im Kampf sorgt. Wie hier zu sehen ist, sind diese Systeme alle recht komplex und erfordern einiges an Einarbeitung.

Zusätzlich lauern in den Dungeons auch noch die aus den Vorgängern bekannten Nightmares, besonders mächtige Gegner, die im Gegensatz zu den regulären Marchen in Echtzeit durch die Gänge schlurfen. Die Nightmares sind am ehesten vergleichbar mit den Foedus Obrepit Errabundus, kurz FOEs, aus der Etrian-Odyssey-Reihe, und stellen genau wie diese zunächst unbesiegbare Widersacher dar. Geraten wir in den direkten Einflussbereich eines Nightmares, verdunkelt sich der Bildschirm und die Minimap schaltet sich ab. Dann hilft nur die panische Flucht aus dem Einflussbereich des Monsters, denn besiegt werden können die Nightmares nur dann, wenn der Kern des jeweiligen Labyrinths zerstört wurde. Auch im dritten Teil der Serie sind die Nightmares eine nette Abwechslung im Dungeon-Crawler-Alltag, die den Adrenalinspiegel schon einmal hochschrauben können und eine dem Survival-Horror-Genre ähnliche Note mit einbringen.

Solide Technik und eine Visual Novel als Bonusbeigabe

Optisch weiß das Spiel zu gefallen. Die Charaktere sind allesamt interessant und ansprechend designt, die Marchen und Nightmares begeistern durch ihr wunderbar makaber-groteskes Aussehen. Während die Charakterporträts allesamt sehr scharf und hoch aufgelöst dargestellt werden, fällt die Grafik in den Dungeons und Kämpfen leider etwas ab. Zwar sind die Labyrinthe abwechslungsreich gestaltet, die Grafik selbst ist allerdings leider etwas verschwommen. Dies fällt besonders im direkten Vergleich mit der gleichzeitig erschienenen PlayStation-4-Version auf, die ein wesentlich schärferes Bild bietet. Besitzer beider Konsolen sollten also vielleicht eher zu dieser Version greifen.

Das Spiel bietet neben englischen Texten auch sehr viele vertonte Dialoge mit einer gelungenen englischen Sprachausgabe. Puristen können aber auch auf die originale japanische Tonspur umschalten, wenn sie das möchten. Der Soundtrack von Mary Skelter Finale ist insgesamt sehr gelungen und beinhaltet einige echte Ohrwürmer. Jeder Dungeon hat sein eigenes Musikstück und auch die Kampfmusik, die von Violinen, Piano und E-Gitarren dominiert ist, wechselt zwischen den Labyrinthen. Somit werden wir auch nach stundenlangem Dungeon-Crawling der Musik nicht überdrüssig. Zusätzlich beinhaltet das Spiel auch eine separate Visual Novel mit dem Namen Locked Up in Love, die über das Hauptmenü angewählt werden kann. Ursprünglich in Japan nur als Vorbestellerbonus verfügbar, sind die Charaktere hier in einem typisch japanischen High-School-Setting zu sehen.

Geschrieben von Markus Schoenenborn

Fazit:

Fazit: Ich war schon immer ein großer Freund von 3D-Dungeon-Crawlern. Eines meiner ersten Rollenspiele war immerhin Shining in the Darkness auf dem Sega Mega Drive. Umso mehr freue ich mich, dass dieses relativ kleine Rollenspiel-Subgenre auch heute noch immer wieder mit neuen Spielen aus Fernost bedient wird. Mary Skelter Finale ist wie die ersten beiden Teile der Serie ein klassicher 3D-Dungeon-Crawler der alten Schule, der sich ganz klar an alteingessene Fans des Genres richtet. Die Dungeons haben mitunter gigantische Ausmaße und die vielen unterschiedlichen komplizierten Systeme erschließen sich auch mir als Dungeon-Crawling-Veteran erst nach und nach. Genre-Neulinge dürften etwas überfordert sein. Dies liegt allerdings nicht nur an der Komplexität des Spiels selbst, sondern auch daran, dass es der letzte Teil einer Trilogie ist und sehr viel Vorwissen erfordert, um der umfangreichen Story zu folgen. Neulinge, welche die ersten beiden Teile nicht gespielt haben, werden erst einmal nur Bahnhof verstehen und mit ellenlangen Textpassagen und Dialogen überschüttet. Zwar kann die Vorgeschichte komplett nachgelesen werden, aber auch dies erfordert sehr viel Zeit. Aus diesem Grund sei Interessierten dringend ans Herz gelegt, mit dem ersten Teil der Serie zu beginnen, der zusammen mit dem zweiten Teil auf der Switch erschienen ist. Die Mary-Skelter-Serie bietet mit seinem ungewöhnlich makaberen Setting und den interessanten Charakteren viele Stunden klassiches Dungeon-Crawling für Fans des Genres und ist definitiv einen Blick wert. Serienveteranen, welche die Abenteuer von Jack und den Blood Maidens bereits kennen, dürfen sowieso bedenkenlos zugreifen, denn sie werden definitiv wissen wollen, wie die Geschichte ausgeht.