Neverwinter Nights: Enhanced Edition – TEST
Ursprünglich 2002 auf dem PC veröffentlicht, erreichte Neverwinter Nights eine ungeheure Fanbasis. Ende 2019 schaffte es das Rollenspiel mit Dungeons-&-Dragons-Lizenz auch auf die Switch. Trotz solidem Grundgerüst kann die Enhanced Edition nicht so ganz glänzen.
Anfang des Jahrtausends schlugen sich PC-Rollenspieler im wahrsten Sinne des Wortes die Nächte um die Ohren, um die titelgebende Stadt Niewinter vor dem Heulenden Tod zu retten. Hierbei handelt es sich um eine pestartige Krankheit, die die Bevölkerung der zwischen den Orten Baldurs Tor und Eiswindtal liegenden Schwertküstenstadt im Fantasy-Reich Faerûn nur so dahinrafft. Als Nachwuchsheld ist es in Neverwinter Nights unsere Aufgabe, vier entlaufene Kreaturen aufzuspüren, die für die Herstellung eines Medikaments nötig sind. Dies klingt im ersten Moment zwar alles andere als spannend, doch im Verlauf der auf mehrere Kapitel und dutzende Spielstunden ausgelegten Handlung geraten wir in eine Verschwörung, die sich um unsere Auftraggeberin Aribeth de Tylmarande, ihren Geliebten Fenthick Moss und dessen Weggefährten Desther Indelayne dreht.
Erzählt wird die Geschichte von Neverwinter Nights einerseits über längere, aber nur selten wirklich ausufernde Dialoge mit zahlreichen Antwort- und Fragemöglichkeiten. Andererseits werden zwischen den Kapiteln auch kürzere Zwischensequenzen eingespielt, die unüberarbeitet aus der ursprünglichen Version übernommen wurden. Diese Szenen fangen mit Standbildern und dramatischer Musik die aktuelle Situation gut ein und motivieren dazu, mehr über Niewinter, den nördlich davon gelegenen Ort Luskan und die illustren Figuren zu erfahren. Neverwinter Nights ist spannend und detailreich inszeniert.
Einfluss der Pen-and-Paper-Vorlage
Ausgangspunkt des Abenteuers ist die Kreation unseres eigenen Helden, wobei sich die Charaktererstellung nah an den Vorgaben des Regelwerks des Pen-and-Paper-Rollenspiels Dungeons & Dragons orientiert. So entscheiden wir uns zu Beginn des Spiels für eine männliche oder weibliche Spielfigur, wählen anschließend ihr Volk wie Menschen, Elfen, Zwerge oder Halblinge und weisen ihr anschließend noch eine Klasse wie Paladin, Magier oder Schurke zu. Darauf aufbauend verteilen wir Attributspunkte, die wiederum Einfluss auf die Verteilung von Fertigkeitspunkten und die Wahl von Talenten haben. Wer noch nie Dungeons & Dragons oder ein Rollenspiel basierend auf der Lizenz gespielt hat, wird hier vermutlich arg überfordert sein, da die Einstellmöglichkeiten enorm sind.
Ganz so umfangreich wie im 2018 veröffentlichten PC-Rollenspiel Pathfinder: Kingmaker ist die Enhanced Edition von Neverwinter Nights zwar nicht, doch ist nicht von der Hand zu weisen, auf welchen Grundlagen das von Owlcat Games entwickelte Spiel beruht. Zusammen mit Baldur’s Gate und Icewind Dale hat Neverwinter Nights Pionierarbeit geleistet. Haben wir uns endlich einen Charakter erstellt, können wir in der Akademie die Grundlagen des Spiels erlernen. Je nach Klassenwahl dürfen wir also Nah- und Fernangriffe, das Wirken von Zaubern oder Schlösserknacken austesten.
Versteckte Würfel und Erfahrungspunkte
Noch innerhalb unseres Aufenthalts in der Akademie überschlagen sich die Ereignisse. Kaum erhalten wir unsere erste Aufgabe von Fürstin Aribeth, überfallen üble Kreaturen das Gemäuer. So und nicht anders machen wir uns mit dem Kampfsystem vertraut, das wie der Rest des Spiels auf dem dritten Regelwerk von Dungeons & Dragons basiert. Das heißt, dass sämtliche Angriffschancen, Ausweichmanöver und Schadensausmaße im Hintergrund per Würfelwurf bestimmt werden. Kenner von actionlastigen Rollenspielen wie Gothic und Konsorten dürften sich nur schwerlich an das komplexe und je nach gewähltem Schwierigkeitsgrad vielleicht gar unfaire System gewöhnen, doch wer genug Einarbeitungszeit mitbringt und die Mechanismen von Dungeons & Dragons zu verstehen lernt, wird auch mit Neverwinter Nights seinen Spaß haben.
Für besiegte Gegner und abgeschlossene Aufträge erhalten wir Erfahrungspunkte, die zum Stufenaufstieg unseres Helden führen. So verbessern wir nach und nach unsere Fertigkeiten, erlernen regelmäßig neue Talente und steigern unsere Trefferpunkte, die Lebensenergie unseres Helden. So fühlen wir uns immer mächtiger, da wir gewitzter im Kampf agieren dürfen, ebenso mehr Treffer einstecken können und uns daher seltener ausruhen müssen. Auch hier bleibt Neverwinter Nights der Pen-and-Paper-Vorlage treu. Wer sich fragt, wie es mit einer Gruppe aussieht, wird enttäuscht, denn das Abenteuer bestreiten wir maximal im Duo.
Umständliche Bedienung per Controller
Obwohl Neverwinter Nights mit vielen positiven Aspekten glänzt, gibt es auch reichlich Kritik am Abenteuer beziehungsweise dessen Umsetzung für die Konsolen. Zunächst einmal fällt die in viele kleine Abschnitte unterteilte Spielwelt leicht negativ auf. Das war zwar auch im Original schon so, verbessert die Orientierung auf Switch und Co aber ebenso wenig. Es gibt zwar eine Minimap, die zumindest ein wenig Abhilfe schafft, doch macht sich hier das nächste Problem bemerkbar. Die Menüstruktur von Neverwinter Nights ist auf die PC-Fassung ausgerichtet und nicht für Konsolen optimiert.
Einzelne Bildschirme mit der Karte, unserem Inventar oder dem Charakterbogen aufzusuchen, erfolgt über verschachtelte Menüs und träge Cursor-Befehle. Während wir auf dem PC verschiedene Elemente mit Mausbewegungen und Maustasten ein- oder ausblenden und kinderleicht Gegenstände verschieben, ist das auf den Konsolen ein einziger Kraftakt. Einen optionalen Mauszeiger oder gar eine Mausunterstützung gibt es nicht, auch wenn beispielsweise ein Nicht-Spieler-Charakter anfänglich in der Akademie darauf hinweist. Hier wird uns bewusst, dass inhaltlich keinerlei Änderungen vorgenommen wurden, denn hin und wieder taucht ein Text auch mal auf Englisch auf, obwohl wir mit deutschen Bildschirmtexten und Vertonung spielen. Wenn ein Klassiker schon aufgewärmt wird, dann sollte das unserer Meinung nach wesentlich sorgfältiger geschehen.
Nicht optimierte Konsolenportierung
Auf der technischen Seite darf von Neverwinter Nights aufgrund des Alters nicht viel erwartet werden. Dreidimensionale Spiele mit Polygonfiguren altern eben nicht so gut wie Spiele im 16-Bit-Pixel-Gewand. Wäre dieser Umstand noch zu verschmerzen, fällt auf der Switch aber unschön auf, dass bei Kamerabewegungen das Bild gerne mal leicht ruckelt. Das ist ebenso ärgerlich wie die sich zu oft wiederholenden Kommentare von in der Nähe stehenden Personen. Ebenso seltsam ist, dass während der Unterhaltungen mit Nicht-Spieler-Charakteren die Musik ständig abbricht. Da dieser Fehler in der PC-Fassung nicht auftritt, ist dies ein weiterer Grund, von der Switch-Version Abstand zu nehmen.
Unspielbar wird Neverwinter Nights dadurch zwar nicht, doch wenn die grandiosen Stücke von Komponist Jeremy Soule, der zuvor mit den Soundtracks zu Secret of Evermore und The Elder Scrolls III: Morrowind Meisterwerke erschaffen hat, mit Füßen getreten werden, kratzt das zusammen mit der nicht gut abgemischten und kaum justierbaren Lautstärke für Dialoge, Geräusche und Musik arg an der dichten Atmosphäre. Immerhin hat Entwicklerstudio Beamdog den onlinefähigen Mehrspielermodus reaktiviert. Neben dem Hauptspiel befinden sich in der Enhanced Edition im Übrigen noch die beiden Add-ons Der Schatten von Undernzit und Die Horden des Unterreichs sowie noch weitere kleine Erweiterungen, die die lange Spielzeit weiter in die Höhe treiben. Wer die Möglichkeit hat, sollte lieber zur PC-Fassung greifen, denn dort fallen viele der von uns kritisierten Hürden weg – und das Spiel steht dort auch für dünnere Brieftaschen bereit.
Geschrieben von Eric Ebelt
Fazit:
Neverwinter Nights konnte ich Mitte der 2000er-Jahre auf dem PC in der Ursprungsversion leider nicht sehr lange spielen, da ein Problem mit dem Soundkartentreiber dafür sorgte, dass der Titel ständig abstürzte. Auf der Switch habe ich dafür endlich die Qualität des ursprünglich von BioWare entwickelten Rollenspiels wirklich kennen und zu schätzen gelernt. Die Dialoge sind tiefgründig, die Atmosphäre dicht und der Kampf gegen allerhand Kreaturen aus dem Dungeons-&-Dragons-Universum stets motivierend. Allerdings ist die Switch-Fassung nur hartgesottenen Rollenspielern zu empfehlen, denn die Navigation durch die Menüstrukturen per Controller ist in meinen Augen ein Graus, der ständige Abbruch der wunderbaren Musik während der Dialoge absolut schädlich für die Atmosphäre und die leichten Ruckler in der Bildwiederholungsrate nur ein weiterer Beweis dafür, dass das Spiel nicht sauber auf die Switch portiert wurde. Wer das Abenteuer erleben will, sollte lieber zur wesentlich besser spielbaren PC-Fassung greifen. Wem diese Möglichkeit nicht offensteht, kann zwar auch auf der Switch zuschlagen und durchaus Freude am Gameplay haben, sollte aber vielleicht noch auf einen Patch warten, der zumindest noch die Sound- und Technikprobleme in den Griff bekommt.