
Street Fighter 6: Years 1–2 Fighters Edition – TEST
Wenn ihr bei Street Fighter an ein Kampfspiel aus der Seitenansicht denkt, liegt ihr grundsätzlich richtig. Street Fighter 6: Years 1–2 Fighters Edition auf der Switch 2 überrascht aber mit weit mehr Inhalt. Wir erleben einen Prügler, der Zugänglichkeit und spielerischen Tiefgang elegant verbindet, technisch glänzt und dabei so umfangreich ist wie nie zuvor, etwa mit neuen Kampftechniken wie der Drive-Anzeige und einer modernen Steuerung.
Street Fighter war immer auch ein Spiegel seiner Zeit – mal krude, mal verspielt, oft klischeebeladen, aber stets Ausdruck eines globalen Wettbewerbs. Street Fighter 6 geht neue Wege: Gleich zu Beginn tritt uns in einem Video Eternity entgegen, eine androgyne, extravagant inszenierte Figur, die die Moderation im Battle Hub macht. Mit glitzerndem Anzug, geschlechtsneutraler Sprache und gestenreicher Performance wird sie zur Identifikationsfigur für ein modernes, diverses Spiel. Sie begrüßt uns einladend mit einem Lächeln – unabhängig von uns. Diese Haltung zieht sich durch das gesamte Spiel. Vom Design der Kämpfer und Kämpferinnen über die flexible Steuerung bis zur Avatar-Erstellung erleben wir ein Street-Fighter-Spiel, das für alle und alles offen ist.
Unser Einstieg ins Spiel beginnt nicht mit einem Kampf, sondern mit einer Charaktererstellung. In der World Tour basteln wir ein individuelles Alter Ego: Frisur, Augenfarbe, Statur, Kleidung – alles lässt sich frei anpassen. Danach lernen wir Luke kennen, unseren ersten Meister, und erkunden Metro City, eine offene Welt voller Missionen, versteckter Items und spaßiger NPCs. Wir kämpfen auf Supermarktparkplätzen, U-Bahnsteigen oder Dachterrassen. Dabei lernen wir neue Techniken, steigern Level, verbessern unsere Werte mit Klamotten und vermöbeln Passanten und Passantinnen. Wir schließen auch Freundschaften mit legendären Figuren wie Ryu, Chun-Li oder Ken. Jede dieser Beziehungen erlaubt uns, deren Moves zu erlernen und ins eigene Repertoire zu übernehmen. Sogar Mix-and-Match zwischen mehreren Stilen ist erlaubt.
Als hervorragende Langzeitmotivation funktioniert dieser Story-Modus zwar, einzig die Geschichte, die uns hier erzählt wird, ist hanebüchen. Warum wir etwa für eine Taschenschnalle nach Rom reisen müssen, gibt wenig Sinn. Das Gesamtbild stimmt aber: Neue Areale, kleine Nebenquests, geheime Shops und zufällig auftauchende Kämpfer sorgen dafür, dass wir auch nach Stunden noch Neues entdecken. Die Spielwelt ist zwar nicht riesig, aber gut strukturiert und spielerisch sinnvoll aufgebaut. Minispiele wie Fahrstuhl-Duelle oder Lieferroboter-Rennen bringen zusätzliche Abwechslung. Besonders gefallen hat uns, dass neue Mechaniken stufenweise eingeführt werden – nie zu viel auf einmal. Selbst wer keinen Bezug zur Street-Fighter-Welt hat, versteht schnell, worauf das System hinausläuft. Sprachausgabe, Menüs und Zielverfolgung sind durchdacht und helfen, auch ohne Vorkenntnisse den Überblick zu behalten. Wer jedoch die Geschichte kennt, freut sich über alte bekannte Elemente wie Shadaloo.
Neuerung: Steuerung & Drive
Erstmals gibt es die sogenannte moderne Steuerung, die Spezialangriffe ohne komplexe Tastenkombinationen erlaubt. Diese unterscheidet sich vom klassischen Sechs-Tasten-Modus und eignet sich besonders für Neulinge oder Wiedereinsteiger. Viele klassische Special-Move-Befehle wurden umgestaltet, damit sie in beiden Schemata funktionieren. E. Hondas Hundred Hand Slap lösen wir jetzt beispielsweise mit einem Viertelkreis + Spezial aus, statt durch vierfachen Schlag. Auch andere Inputs weichen von ihren Legacy-Varianten ab, etwa Dee-Jays Machine Gun Upper, der nun mit einem Viertelkreis rückwärts + Spezial ausgeführt wird. Selbst im Classic-Schema fühlt sich das Timing anders an, weil Capcom die Befehle am modernen Modell ausgerichtet hat. Veteranen müssen also ein paar Automatismen umlernen – finden aber alle Befehle säuberlich in Menüs aufgelistet.
Mit der neuen Drive-Anzeige kommt die größte Gameplay-Neuerung ins Spiel. Sie speist Drive Parry, Drive Impact, Drive Rush, Overdrive Specials und Drive Reversal – jede dieser Aktionen zehrt an der Leiste und kann den Kampffluss entscheidend drehen. Verlieren wir unsere gesamte Drive-Energie, geraten wir in den Burnout. Dann bewegen wir uns langsamer, Blockschaden zählt plötzlich als echter Schaden und ein gegnerischer Drive Impact führt sofort zur Betäubung. Es bleibt also ein stetiges Abwägen: Ein früh genutztes Overdrive-Special bringt uns vielleicht einen Treffer, nimmt uns aber die Verteidigung. Glücklicherweise füllt sich die Leiste spürbar schnell, sobald wir Distanz halten, erfolgreiche Treffer landen oder eine kurze Verschnaufpause erzwingen. So entsteht ein klar abschätzbares Risiko, das aggressives Spiel belohnt, ohne defensives Taktieren zu bestrafen. Beherrscht ihr euer Ressourcen-Management, dominiert ihr die Runde, wenn ihr es vernachlässigt, habt ihr aber das Nachsehen.
Buntes Roster
Street Fighter 6: Years 1–2 Fighters Edition präsentiert eine vielfältige Auswahl aus 26 Kämpferinnen und Kämpfern, die sich spielmechanisch stark voneinander unterscheiden. Allrounder mit Feuerbällen, Rushdown-orientierte Kämpfer, kraftvolle Charaktere, kontrollierende Figuren und trickreiche Spezialisten: hier ist für jeden und jede was dabei. Durchzogen ist das Roster von einzigartigen Kämpfern und Kämpferinnen. Mit Terry Bogard und Mai Shiranui, beide Ikonen der SNK-Reihe Fatal Fury, haben wir sogar Capcom-gegen-SNK-Flair. Viele der neuen Charaktere brechen bewusst mit klassischen Rollenklischees und fördern individuelle Spielweisen. Wer sich durch das Roster testet, entdeckt nicht nur Mechaniken, sondern Ausdrucksformen – von Kontrolle über Chaos bis zu Improvisation.
Neben den spielmechanischen Unterschieden glänzt das Roster auch optisch. Jede Figur ist mit einem Outfit-1-Set ausgestattet, das wir durch Farbvarianten und Retro-Outfits erweitern können. Letztere schalten wir im Story-Modus frei, indem wir mit Meistern eine Bindung von 100 Punkten aufbauen. Auch kosmetische Emotes, Musikstücke, Profilrahmen und Avatar-Kleidung können freigespielt werden oder optional mit Fighter Coins erworben. Super ist, dass Capcom hier klar zwischen spielerischen Inhalten und kosmetischen Items trennt. Niemand wird zum Kauf gezwungen, und alle essenziellen Systeme bleiben davon unberührt.
Vom Training bis zum Turnier
Street Fighter 6 bietet uns drei zentrale Spielbereiche: Fighting Ground, World Tour und Battle Hub. Im Fighting Ground sind alle klassischen Modi versammelt. Der Arcade-Modus erzählt Mini-Stories für jeden Kämpfer, komplett mit individuellen Endsequenzen, die wir natürlich in einer Galerie sammeln können. Im Versus-Modus treten wir lokal oder gegen KI-Gegner an – optional auch im Team-Eliminierungsformat. Besonders für Anfänger und Leute, die es ganz genau wissen wollen, bietet der Trainingsmodus eine Vielzahl an Werkzeugen: Wir können Hitboxen einblenden, Frame-Daten analysieren, Eingaben aufzeichnen und KI-Verhalten simulieren. Die Combo-Trials helfen uns, von einfachen Abfolgen zu komplexen Angriffsmustern vorzustoßen.
Ein weiterer Höhepunkt sind die Tutorials. Hier wird uns nicht nur erklärt, wie ein Angriff funktioniert, sondern wann und warum wir ihn einsetzen sollten. Auch Unterschiede zwischen der klassischen und der modernen Steuerung werden nachvollziehbar vermittelt. Wir können uns so Stück für Stück in das System einarbeiten. Selbst Street-Fighter-Neulinge bauen so schnell ein solides Fundament auf. Wenn ihr wollt, könnt ihr eure Fähigkeiten dann im Online-Modus auf die Probe stellen, mit Crossplay auch gegen andere auf PC, Playstation oder Xbox. Matchmaking funktioniert reibungslos, Wartezeiten sind kurz, der Rollback-Netcode zeigt sich durchweg stabil. Hier ist Capcom einen weiten Weg gekommen seit Street Fighter 30th Anniversary Edition.
Der Battle Hub als soziales Zentrum
Klassische Lobbys werden durch den Battle Hub ersetzt, eine virtuelle Spielhalle. Wir laufen mit unserem Avatar durch ein stylishes Areal, setzen uns an Arcade-Automaten, an denen Matches sofort starten, sobald jemand gegenüber Platz nimmt. An speziellen Terminals melden wir uns für Online-Turniere oder Event-Kämpfe an. Es gibt sogar alte Capcom-Klassiker, die wir zwischendurch daddeln dürfen, wenn uns nicht nach Prügeln ist. Jemand Lust auf Final Fight? Auch das ist in den happigen knapp 50 GB Daten des Spiels enthalten. Besonders spaßig: Avatar-Kämpfe, bei denen wir mit unserem selbst gebauten World-Tour-Kämpfer gegen andere Avatare antreten – inklusive wilder Mix-ups aus verschiedenen Movesets. Unser Avatar ist ansonsten für das normale Online-Matchmaking verständlicherweise gesperrt.
Abseits der ernsten Duelle wartet ein Extreme-Battle-Modus mit überdrehten Regelsets auf. Wir kämpfen gegen herabfallende Bälle, durchquerende Stiere oder auf Plattformen mit Bewegung. Siegbedingungen können festgelegt werden – etwa fünf Knockdowns oder wer als Erster eine bestimmte Aktion mehrmals ausführt. Besonders für Partyrunden oder zum Auflockern nach intensiven Online-Matches ist das eine spaßige Sache. Dank der neuen Switch-2-Funktionalitäten lassen sich viele Matches auch lokal zwischen zwei Konsolen austragen, sehr nützlich für unterwegs oder spontane Freundesduelle.
Capcom lockert diesen Modus regelmäßig durch zeitlich begrenzte Events auf. Einige finden exklusiv im Battle Hub statt, andere auch offline. Auf Switch 2 wurden sogar zwei Gyro-Modi integriert, die Joy-Con-2-Bewegungssteuerung nutzen: ein Kalorien-Wettkampf und ein vereinfachter Bewegungsmodus für Gelegenheitskämpfer. Auch wenn diese Modi eher als Gimmicks durchgehen, funktionieren sie nach kurzer Eingewöhnung technisch gut. Für Familien oder Runden mit wenig Street-Fighter-erfahrenen Mitspielern könnten sie ein zusätzlicher Einstiegspunkt sein, für erfahrene Spielerinnen und Spieler sind sie ein unerwarteter Bonus.
Grafik, Technik und Vertriebsform
Auch die grafische Umsetzung auf Switch 2 weiß zu überzeugen. Im Dock-Modus erleben wir stabile 60 Bilder pro Sekunde bei scharfer Darstellung, kräftigen Farben und allen Partikeleffekten, die Street Fighter 6 auszeichnen. Im Handheld-Modus bleibt die Performance ebenso stabil, wenngleich Auflösung und Kantenglättung leicht zurückgefahren werden. Das HDR scheint hier und da über die Stränge zu schlagen, gerade im Handheld-Modus sind manche Flächen überbelichtet, aber das fällt nicht groß ins Gewicht. Alle Ladezeiten sind angenehm kurz, selbst im World-Tour-Modus. Die Arenen wirken lebendig, Zuschauer feuern an, und in den Hintergründen verbergen sich amüsante Details.
Satte Schläge wummern aus dem Bass, treibende Musik heizt die Stimmung auf. Wer mag, schaltet das optionale Kommentarsystem zu, das in den Einstellungen aktiviert wird – zwei Sprecher begleiten das Geschehen in Sportmoderatoren-Manier. Für Einsteiger eine wertvolle Orientierung, für Fortgeschrittene ein unterhaltsamer Bonus. Auch die Steuerung überzeugt: Mit Pro Controller oder Arcade-Stick gelingen uns präzise Eingaben, die das Spiel prompt umsetzt. Die Standard-Joy-Con tun ihren Dienst ebenso, eignen sich aber im Profi-Bereich nur bedingt für ernsthafte Matches. Gut, dass dank Bluetooth und offener Hardwareunterstützung zahlreiche Eingabegeräte problemlos erkannt werden. Wer möchte, kann natürlich auch die GL- und GR-Buttons gewinnbringend in die Steuerung einbinden.
Ein kleiner Wermutstropfen bleibt der Vertriebsweg: Street Fighter 6 erscheint auf der Switch 2 nicht als klassische Cartridge, sondern als Software-Schlüsselkarte. Mit seinen stolzen rund 50 GB scheint der Einsatz einer microSD-Karte hilfreich. Immerhin: Nach dem Download läuft das Spiel vollständig lokal, ohne Cloud-Technik oder permanente Onlineverbindung. Alle Inhalte der Years 1–2 Fighters Edition – sämtliche Kämpfer, Arenen, Modi und kosmetischen Freischaltungen – sind direkt enthalten. Wer ausreichend Speicherplatz einplant, erhält eine rundum vollständige Prügler-Erfahrung.
Ausblick
Capcom gönnt uns keine Verschnaufpause: Der kostenpflichtige Year-3-Pass streckt sich von Sommer 2025 bis Spätfrühling 2026 und bringt vier markante Rückkehrer. Den Auftakt macht Sagat im August 2025, im Herbst stürmt C. Viper heran, im Februar 2026 betritt Alex den Ring. Den Schlusspunkt setzt Ingrid, ein Neuzugang, den zwar viele lieben, aber ebenso viele hassen. Damit deckt Capcom von Zoning über Rushdown bis High-Mobility das Spektrum ab und sorgt dafür, dass wir auch 2026 jeden Abend neue Matchups im Battle Hub austesten können. Allem Anschein nach ist die Geschichte von Street Fighter 6 noch lange nicht auserzählt.
Geschrieben von Arne Ruddat
Fazit:
Street Fighter 6 auf der Switch 2 hat mich nicht nur überrascht, sondern gar beeindruckt. Ich hätte nicht erwartet, wie reibungslos ein derart umfangreiches Kampfspiel auf Nintendos neuer Hybridkonsole funktioniert: technisch stabil, inhaltlich gewaltig und voller Komfortfunktionen. Besonders gefallen hat mir die Offenheit des Spiels: das diverse Figurendesign, die Steuerungsmöglichkeiten und die individuelle Avatar-Erstellung wirken ernst gemeint und zeigen Erfahrung und Substanz. Der Wechsel zwischen fordernden Ranked-Matches, entspannter World Tour und spaßigem Quatsch im Extreme-Modus oder dem Bewegungs-System sorgt für langfristige Motivation. Klar, ein physisches Modul hätte ich mir gewünscht, aber da das Spiel stets weiterentwickelt wird, wäre eine Version auf Cartridge in einem Jahr vermutlich ohnehin nicht mehr aktuell. Für mich hat Street Fighter 6 nicht nur ein geniales Logo-Design, nämlich ein Sechseck, das sowohl die 6 als auch die römische VI zeigt. Es ist auch der bisher rundeste Street-Fighter-Titel und vielleicht eines der besten Kampfspiele auf einer Nintendo-Konsole überhaupt. Wer auch nur entferntes Interesse am Genre hat, sollte sich diese Version ganz genau ansehen.