The Edge of Allegoria – TEST

Stellt euch einmal vor, die Videospielreihen Pokémon und Final Fantasy hätten ein Kind namens The Legend of the River King gezeugt, würden dieses nach der Geburt aber vernachlässigen und lieber ihr eigenes Ding machen. Herauskommen würde The Edge of Allegoria.


Obwohl Spiele im Retro-Look wirklich keine Seltenheit mehr sind, ist die Ästhetik, wie sie von Spielen auf Nintendos 1989 veröffentlichten Game Boy bekannt ist, dennoch eher die Ausnahme als die Regel. The Edge of Allegoria erinnert mit seinem Pixel-Look allen voran an die erste Generation der Pokémon-Spiele. Tatsächlich spielt sich das Rollenspiel bis zu einem gewissen Grad auch wie die Monsterfangjagd aus dem Hause Game Freak – nur eben ohne Jagen, Fangen und Sammeln von Taschenmonstern. Wir schlüpfen in die Rolle des Taugenichts Joe, der mit seinem Hund Jude in einem kleinen Dörfchen mitten in der Pampa lebt.

Von unseren Nachbarn angegiftet, dass wir es im Leben ohnehin zu nichts bringen würden, beschließen wir nach einem kurzen Auswurf der Angel in unseren fischleeren Gartenteich, dass wir in die Welt hinausziehen sollten. Mit dieser Ausgangslage der Story gewinnt das Spiel von Entwicklerstudio Button Factory Games sicherlich keinen Preis, womöglich aber für die vielen kleinen Geschichten, die wir in den darauffolgenden Stunden erleben. Unter anderem müssen wir für einen Burschen namens Pascal die Überreste seines Pferdes einsammeln, das er zuvor in die Luft gesprengt hat. Auch einen König, der Schutzgeld im Namen eines Drachen erhebt, das Geld jedoch für sich einbehält, sollen wir notgedrungen decken.

Pubertärer Humor

Erzählt wird die Geschichte mittels humorvoll gedachter Monologe seitens der zahlreichen Nicht-Spieler-Charaktere. Ob euch der Witz von The Edge of Allegoria gefällt, steht jedoch auf einem anderen Blatt. Trotz der putzigen Retro-Grafik richtet sich das Rollenspiel an volljährige Spieler und ist auch von der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle ab achtzehn Jahren freigegeben. Das liegt an verschiedenen Faktoren wie im Spiel möglichen Drogenkonsum, doch auch die vulgäre Wortwahl in den Monologen wird ihren Teil beigetragen haben. Unter anderem äußern sich die Nebencharaktere häufig beleidigend und herablassend.

Ob es aber nun wirklich lustig ist, wie sich eine Prostituierte über die von ihr durchgeführte orale Stimulierung ihrer männlichen Kunden auslässt und hinter der nächsten Straßenecke kleine Kinder trotz ihrer kaum möglichen korrekten Einordnung des Gehörten davon berichten, was die Gäste ihrer Eltern im verschlossenen Schlafzimmer verbal mitteilen, ist fraglich. Für uns wirkt der schlicht pubertäre Humor eher aufgesetzt. Wir haben das Gefühl, dass das Mitteilungsbedürfnis der Nicht-Spieler-Charaktere von The Edge of Allegoria immer wieder in diese Richtung läuft. Das hätte das Spiel aber gar nicht nötig, zumal Werke wie Gothic bereits vor Jahrzehnten gezeigt haben, wie eine raue Welt mittels Dialogen an Atmosphäre gewinnt.

Klassische Genrekost

Nur weil einem der Humor aber noch lange nicht zusagt, heißt das aber zugleich nicht, dass einem das Rollenspiel sonst nicht gefallen könnte. Beim Gameplay konzentriert sich der Titel auf klassische Genrekost der 1980er- und 1990er-Jahre. Wie im großen Vorbild der Pokémon-Spiele der ersten Generation, kommen wir zwischen den Ortschaften über Routen voran. Gerade in den ersten Spielstunden ist The Edge of Allegoria allerdings noch sehr linear, denn bestimmte Abzweigungen sind beispielsweise mit Felsbrocken zugestellt. Um die Steine aus dem Weg zu räumen, benötigen wir jedoch einen bestimmten Gegenstand, den wir erst an späterer Stelle erhalten. Ähnlich funktioniert es auch mit Büschen. Manchmal blockieren auch ganz einfach Nicht-Spieler-Charaktere oder notfalls auch unser ständig schlafender Hund den Pfad.

Erreichen wir eine neue Stadt, hören wir uns bei den Bewohnern nach dem hiesigen Problem um. Anschließend führt uns der Weg in einen Dungeon, in dem wir einfache Rätsel lösen, Truhen plündern und schlussendlich einen Bossgegner beseitigen, der in der Regel für Unruhe in der Umgebung sorgt. Diese Mechanismen wiederholen sich im Verlauf des Abenteuers zunehmend, was zusammen mit den wenig abwechslungsreich gestalteten Landschaften ermüdend ist. Trotzdem kann das Erkunden der Spielwelt immer mal wieder unterhalten.

Kreatives Gegnerdesign

Beim Kampfsystem von The Edge of Allegoria gehen die Entwickler von Button Factory Games ebenfalls kein großes Risiko ein. Auch hier ist der Einfluss der Pokémon-Reihe zu spüren, denn so ist die Lebensanzeige und das Auftauchen der Gegner klar von ihr inspiriert. Rundenweise legen wir uns zunächst mit Tieren wie Krähen oder Hasen an. Im späteren Spielverlauf kommen blutsaugende Vampire, mit Steinen um sich werfende Golems, die baumriesenartigen Treants und noch mehr Kreaturen aus mehr oder weniger bekannten fantastischen Werken hinzu. Darunter fallen auch ein paar freizügig gestaltete Kreaturen in obszönen Posen.

Ob diese nun nötig wären, sei einmal dahingestellt. Auf jeden Fall haben die Entwickler unter Beweis gestellt, wie kreativ sie bei der Darstellung von Monstern und Dämonen im Pixel-Look umgehen können. Während der Abwechslungsreichtum bei der Spielwelt kaum gegeben ist, gelingt es den Entwicklern für einen gewissen Ausgleich zu sorgen. In den Kämpfen stehen uns maximal fünf Angriffsmöglichkeiten zur Verfügung. Im Gegensatz zu anderen Spielen erlernen wir die Fähigkeiten aber nicht einfach so. Zunächst einmal müssen wir die ausgerüstete Waffe meistern, indem wir die ihr zugeordnete Fähigkeit wiederholt einsetzen. Ist uns dies gelungen, steht uns die so erlernte Fähigkeit permanent zur Verfügung.

Nostalgische Reise in die 1990er-Jahre

Ebenso wichtig ist, dass wir Joe mit neuen Rüstungsteilen ausstatten. Richten in The Edge of Allegoria Gegner oft genug Schaden an, gehen die Attributsverbesserungen auf Joe über. Es lohnt sich also, auch in späteren Spielstunden schwächere Rüstungsteile auszuwählen, um kleine, aber feine Boni auf unsere Attribute zu erhalten. So senkt sich auch ein klein wenig der Schwierigkeitsgrad, denn trotz des leichten Einstiegs kann das Rollenspiel phasenweise fordernd sein. Daher ist es auch hilfreich, von Gegnern erbeutete Gegenstände bei Händlern zu verkaufen und sich mit Heilmitteln einzudecken. In puncto Spielbarkeit gibt es nichts zu meckern, denn Joe lässt sich über das Steuerkreuz des Pro Controllers kinderleicht bewegen. Darüber hinaus sind nur die Knöpfe und Tasten notwendig, die dem Game-Boy-Tastenlayout entsprechen.

Audiovisuell ist der Titel mit seiner angenehmen Chiptune-Musik und seinem Grünstich, der sich je nach Statusveränderung wie einer Vergiftung auch anderweitig verfärbt, nach heutigen Maßstäben veraltet. Das ist aber nicht schlimm, denn er will eher eine nostalgische Reise in die 1990er-Jahre darstellen. Neben Pokémon kommen darüber hinaus wohlige Erinnerungen an Mystic Quest oder The Legend of Zelda: Link’s Awakening hoch. Nur bei den deutschen Bildschirmtexten von The Edge of Allegoria fallen etliche Makel wie fehlende Leerzeichen oder Artikelfehler auf, die leider gut zum durchschnittlichen Endprodukt passen.

Geschrieben von Eric Ebelt

Fazit:

The Edge of Allegoria ist ein Spiel geworden, in dem es für jede gute Idee zugleich eine schlechte gibt. Um Spaß zu haben, muss ich Kompromisse eingehen. Allen voran gefallen mir die interessanten wie makaberen Geschichten, die am Rande erzählt werden. Da stecken Ideen drinnen, die ich in vergleichbaren Titeln bislang nicht erlebt habe. Schade ist aber, dass die Haupthandlung noch langweiliger ausfällt als bei den Pokémon-Spielen. Dafür gefällt mir wiederum die Möglichkeit, Fähigkeiten über den Einsatz ausgerüsteter Waffen zu erlernen und Attribute permanent zu übernehmen, wenn ich mich mit ausgerüsteten Kleidungsstücken lang genug von Gegnern schlagen lasse. Irgendwie ist das zwar sinnbefreit, doch es motiviert mich zumindest, möglichst alle Waffen und Rüstungen zu finden. Auch bei der Grafik haben die Entwickler ein glückliches Händchen bewiesen, denn das Gegnerdesign sieht fantastisch und abwechslungsreich aus. Auf der Kehrseite sind es aber die eintönigen Umgebungsgrafiken, die mich ermüden. Am wenigsten komme ich allerdings mit dem seltsamen wie derben Humor des Spiels klar. Derart pubertäre Gags, die meine Mundwinkel nicht einmal um einen halben Millimeter anheben können, habe ich schon lange nicht mehr erlebt. Dem Spiel hätte gerade in diesem Punkt eine längere Entwicklungszeit gut getan, aber so passt auch dieser Aspekt zum Gesamtbild von The Edge of Allegoria, das bestenfalls als durchschnittliche Genrekost zu bezeichnen ist.