Aus der Traum: 25 Jahre Sega Dreamcast – SPECIAL

Vor 25 Jahren veröffentlichte der Videospielhersteller Sega in Japan seine letzte traditionelle Heimkonsole. Dass damit der Traum als Mitbewerber im Konsolengeschäft endgültig platzte, ahnte 1998 niemand. Es folgt ein Rückblick auf Erfolg und Scheitern des Sega Dreamcasts.


Mit dem Dreamcast erschien am 27. November 1998 die letzte traditionelle Heimkonsole des japanischen auf Videospiele konzentrierten Unternehmens Sega in Japan. Nordamerikanische und europäische Fans mussten, was Jahrzehnte später nicht mehr denkbar wäre, fast ein ganzes Jahr auf den Launch der Konsole in ihrem Land warten. Bereits im Januar 2001, etwas mehr als drei Jahre nach der Erstveröffentlichung, kündigte Sega an, die Produktion der Konsole bis zum März desselben Jahres einzustellen. Für Sega-Fans musste die Welt zu Beginn des 21. Jahrhunderts Kopf gestanden haben!

Wer verstehen will, warum es mit dem Dreamcast überhaupt soweit kommen konnte, muss eine ganze Dekade in der Zeit zurückgehen. In den späten 1980er-Jahren und zu Beginn der 1990er-Jahre existierten nur noch zwei wichtige Konsolenhersteller, die um die Gunst der Spieler buhlten. So schickten die beiden Hersteller zunächst ihre 8-Bit-Konsolen, das Nintendo Entertainment System, kurz NES, und das Sega Master System ins Rennen. Während das NES mit 61 Millionen Einheiten das Master System mit nur 13 Millionen verkauften Exemplaren weit überholte, näherten sich die Verkaufszahlen bei den Nachfolgern an. Bei den 16-Bit-Konsolen ging das Super Nintendo 49 Millionen und das Sega Mega Drive 30 Millionen mal über die Ladentheke. Sega musste sich langsam auf der Überholspur gefühlt haben, denn die Aussichten für die nächste Konsole waren rosig.

Verunsicherung durch Konsolenerweiterungen

Dennoch hat Sega bereits zu Zeiten des Mega Drives Entscheidungen getroffen, die Jahrzehnte später für Kopfschütteln sorgen. Um die Konsole über Jahre hinweg frisch zu halten, hat sich das japanische Unternehmen dazu entschlossen, diverse Konsolenerweiterungen auf den Markt zu werfen. Damit sind nicht etwa Peripherien wie alternative Controller gemeint, sondern tatsächliche Hardware-Komponenten, die an das Mega Drive angeschlossen werden.

1991 veröffentlichte der Konzern das Mega-CD, das je nach Version unterhalb der Konsole oder neben ihr angebracht wird. Bei den meisten Mega-CD-Titeln handelt es sich um einfache Portierungen, die jedoch mit Musik in CD-Qualität, Sprachausgabe oder Videosequenzen auf sich aufmerksam machen. 1994 folgte mit dem Sega 32X eine weitere Konsolenerweiterung, die ähnlich wie der Super Game Boy im Super Nintendo im Modulschacht der Konsole angebracht wird. Für das 32X gab es im Gegensatz zum Mega-CD mit über zweihundert verfügbaren Spielen nur eine arg begrenzte Bibliothek mit circa vierzig Titeln. Noch dazu hat Sega etwa zeitgleich die Nachfolgekonsole des Mega Drives veröffentlicht, wodurch das 32X sofort in der Bedeutungslosigkeit verschwand. Sega-Fans fühlten sich sicherlich auf den Schlips getreten und dürften womöglich daher beim Ende 1994 veröffentlichten Sega Saturn verunsichert gewesen sein und sich die Frage gestellt haben, wie Sega mit dem Saturn umgehen wird.

Konsolendreikampf

Parallel dazu hat sich Ankündigung und auch der Launch des Nintendo 64 weiter nach hinten verschoben. Während Nintendo seine Pläne im November 1995 endlich der Öffentlichkeit enthüllte, hatte der bis dahin ärgste Konkurrent zwischenzeitlich die 32-Bit-Konsole Saturn am Markt etabliert. Sega setzte von Beginn an auf das Medium der CD-ROM, während Nintendo es ein letztes Mal im Heimkonsolensegment mit Modulen versuchte. Dennoch musste es Sega finanziell ordentlich geschadet haben, dass sich der Saturn nur 13 Millionen mal verkaufen ließ, während das später veröffentlichte N64 immerhin auf 33 Millionen Einheiten kam.

Beide Hersteller mussten aber kurz- als auch langfristig ihre Prognosen nach unten korrigieren. Ein Problem für Sega war, dass die Hardware-Architektur des Saturns mit seinen beiden parallel arbeitenden Prozessoren für Entwickler eine immense Herausforderung war. Gravierender dürfte aber der Bruch zwischen Nintendo und Sony gewesen sein, die zusammen an der CD-ROM-Erweiterung für das Super Nintendo gearbeitet haben. Die Kooperation endete und führte dazu, dass Sony mit der PlayStation ein wahrhaftes „Monster“ gezüchtet hat – und dieses war nur zu gierig auf die oft exklusiven Nintendo- oder Sega-Fanboys und -girls. 102 Millionen verkaufte Konsolen der Sony PlayStation zeigen den Gewinner der Geschichte.

Kurzlebiger Erfolg

Die Chefetage von Sega hat dies schon früh im Lebenszyklus des Saturns nur noch mehr dazu angestachelt, um mit der nächsten eigenen Konsole im Kampf um die Spielerherzen die Nase vorn zu haben. So beauftragte Sega zwei konkurrierende Teams mit der Entwicklung eines neuen Videospielsystems. Tatsuo Yamamoto von IBM leitete das externe Team, während Hideki Satō mit weiteren Entwicklern intern an der neuen Konsole werkelte. Schlussendlich wurde das eigene Konzept aufgegriffen.

Da Unternehmen auch sonst gerne ihr eigenes Bier brauen, entschied sich Sega, beim genutzten Format für die Spiele auf ein exklusives Medium zu setzen und ließ extern von Yamaha die Giga Disc Read Only Memory, kurz GD-ROM, kreieren. Die CD-ROM-ähnliche Variante hat den Vorteil, dass bis zu 1,2 Gigabytes statt der für CD-ROMs üblichen 700 Megabytes auf dem Datenträger Platz finden können. Zudem lässt sich das Medium nicht ohne Weiteres kopieren. Sega suchte also nach einem Mittelpunkt zwischen Sony und Nintendo. Zu Beginn war Sega mit dem Konzept auch unglaublich erfolgreich, denn als die Konsole am 27. November 1998 in Japan, am 9. September 1999 in Nordamerika und am 14. Oktober 1999 in Europa erschien, stellte Sega mit dem Dreamcast Vorbesteller- und Verkaufsrekorde auf. Dieser Erfolg war tragischerweise nur von kurzer Dauer.

Zu geringer Vorsprung

Segas Dreamcast war das erste Videospielsystem, das zur sechsten Konsolengeneration zählte. Auf das Gerät folgte im März 2000 die PlayStation 2, sprich das nächste große Ding von Sony, für das schon im Vorfeld eine äußerst positive Berichterstattung in der Presse erfolgte. Sega hatte in Japan also gerade einmal 15 Monate Zeit, einen Vorsprung zu etablieren. In Europa und Nordamerika war die Zeitspanne deutlich kürzer, da die PlayStation 2 innerhalb von etwas mehr als einem halben Jahr weltweit verfügbar war.

Erschwerend kommt hinzu, dass sich beide Konsolen in einer Zeit am Markt etablieren wollten, in dem die Technik selbst bei zum Spielen genutzten Computern derart große Sprünge machte, dass sich ein Jahr fast schon wie eine Kluft zwischen zwei Konsolengenerationen anfühlte. Dies merkten deutsche Käufer bereits am Preis, denn während Sega den Dreamcast zum Launch mit gerade einmal nur 399 deutsche Mark ansetzte, verlangte Sony stolze 869 deutsche Mark. Grund dafür war nicht nur der Jahrzehnte später lächerlich klingende technische Vorsprung von 16 Megabytes dickerem Arbeitsspeicher und einem etwa 90 Megahertz schnelleren Prozessor, sondern auch ein besonderes Feature. Die PlayStation 2 konnte Digital Versatile Discs, also DVDs, abspielen. Da im Jahr 2000 DVD-Abspielgeräte häufig vierstellige Preise hatten, war das ein klarer Vorteil.

Innovative Konzepte

Da half es wenig, dass Sega mit dem Dreamcast für die späten 1990er- und frühen 2000er-Jahre vergleichsweise fortschrittlich und innovativ mit dem Videospielmedium umgegangen ist. Spiele wie Phantasy Star Online ermöglichten das bequeme Online-Spielen nach modernen Standards der frühen 2000er-Jahre. Andere Titel wie Segas Millionengrab Shenmue zeigten, was Immersion für Videospiele bedeutet. Selbst Maskottchen Sonic, der blaue Igel, dessen 3D-Auftritte Jahrzehnte später noch hitzig unter Fans debattiert werden, konnte auf dem Dreamcast ein famoses Debüt hinlegen.

Für Fighting-Game-Fans ist SoulCalibur geradezu die Offenbarung, die es als ähnlichen Meilenstein allerhöchstens viele Jahre zuvor mit Street Fighter II auf dem Super Nintendo gab. Über diesen visuell wie spielerisch beeindruckenden Sprung wird auch zwei Jahrzehnte später noch gesprochen. Noch dazu gab es Peripherien wie den angelrutenartigen Fishing Controller, den Arcade-Stick für Fighting Games oder Maus und Tastatur, um online mit Freunden zu kommunizieren. Für nahezu alle Genres war zu Lebzeiten der Konsole gesorgt. Spielereien wie die Visual Memory Units, die Memory-Cards des Dreamcasts, die mit einem Bildschirm, Steuerkreuz, Aktionsknöpfen und Link-Funktion auskommen, sind da noch nicht einmal miteingerechnet. Ach, was für ein Traum das war!

Fetzen eines Traums

Durch Faktoren wie dem Umgang mit vorherigen Konsolen, die Käufer verunsichert haben dürften, der leistungsstarken PlayStation 2 und nicht zuletzt der damals teuersten Videospielproduktion der Welt, Shenmue, war der Konsole kein langes Leben beschert. Mit circa neun Millionen Einheiten erreicht die Konsole nicht einmal die Verkaufszahlen vom Master System. Im März 2001 war die Idee von der „Traumübertragung“ für Sega gestorben. Der japanische Konzern entschied sich, fortan nur noch Spiele für die ehemalige Konkurrenz zu entwickeln. Dadurch entstand ein Machtvakuum im Konzert der Konsolenhersteller, das niemand geringeres als das US-amerikanische Unternehmen Microsoft füllte, das seit Ende der 1990er-Jahre mit der Xbox an einer eigenen Konsole arbeitete. Im Jahr 2002 erschien die Konsole.

Während Sega in den frühen 2020er-Jahren die meisten Spiele direkt für alle gängigen Plattformen veröffentlichte, mussten sich Dreamcast-Fans zwei Jahrzehnte vorher auf die Konsolen aufteilen. Skies of Arcadia wurde mit dem Zusatz Legends in einer erweiterten Fassung auf dem GameCube veröffentlicht. Ecco the Dolphin: Defender of the Future gab es nach dem Dreamcast nur auf der PlayStation 2. Nordamerikanische Spieler, die auf die Dreamcast-Fassung von Shenmue II verzichten mussten, wurden zum Kauf einer Xbox gezwungen.

Lebendiger Traum

Auch wenn der Traum in nicht-japanischen Gefilden schon in den frühen 2000er-Jahren geplatzt ist beziehungsweise nur in fragmentierter Form auf dem GameCube, der PlayStation 2 und der Xbox existierte, wurde die Konsole im Mutterland bis 2007 mit offiziell lizenzierten Spielen unterstützt. Beim letzten offiziell veröffentlichten Titel handelt es sich um das Shoot ’em up Karous. In Anbetracht dessen, dass sich gerade einmal vier Monate vor dem Release von Karous Sonys PlayStation 3 in den Markt drängte, dürfte die Veröffentlichung von Karous selbst für japanische Verhältnisse unscheinbar gewesen sein.

Obwohl dem Dreamcast mit 855 Tagen zwischen Launch und Produktionsstopp nur eine kurze Lebensdauer beschert war, haben gerade Hobbyprogrammierer einen Narren an der Konsole gefressen. Diese machten unter anderem Klassiker wie das Point-and-Click-Adventure The Secret of Monkey Island oder den First-Person-Shooter Doom auf der Plattform lauffähig. Unabhängige Entwicklerstudios versorgen den Dreamcast seit seinem vermeintlichen Ende darüber hinaus mit eigenen Spielen wie das 2013 veröffentlichte Shoot ’em up Sturmwind oder den Action-Titel Shadow Gangs aus dem Jahr 2022. Der Traum ist also gar nicht vorbei – er wird jedoch schon lange nicht mehr von Sega, sondern von den zahlreichen und langjährigen Fans weitergeträumt!

Geschrieben von Eric Ebelt