Banner of the Maid – TEST
Mit einem einzigartigen Setting und einigen cleveren Ideen versucht Banner of the Maid zu beweisen, dass sich dieses Spiel auch in einer Zeit nach Fire Emblem: Three Houses nicht im Schatten von großen Taktik-Rollenspielen verstecken muss.
Spätestens seit Fire Emblem: Three Houses sind Taktik-Rollenspiele wieder im Mittelpunkt der Nintendo-Spielerschaft angekommen. Offensichtlich sind die chinesischen Entwickler von Azure Flame Studio von diesem Genre sehr angetan, denn Banner of the Maid ist ein sehr traditioneller und ausgesprochen guter Vertreter seines Genres.
Französische Revolution im Anime-Gewand
Ungewöhnlich ist das Setting: Wir spielen Pauline Bonaparte, die kleine Schwester von Napoleon, und versuchen während der kriegszerrütteten Jahre Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts Frankreich vor Bedrohungen von Innen wie Außen zu beschützen. Wer in Geschichte aufgepasst hat, kennt vielleicht noch die wichtigen Eckpunkte der französischen Revolution und die historischen Ereignisse drum herum, auch Pauline gab es wirklich. Die Geschichte selbst nimmt sich aber sehr viele Freiheiten und bindet nicht nur den Mythos von Jeanne d’Arc mit ein, sondern entwickelt sich zu einer faszinierenden Begegnung mit historischen Figuren. Schon zu Beginn des Spiels trifft Pauline auf König Louis XVI und Marie Antoinette. Hier müssen wir erwähnen, dass die Inszenierung klar an Visual Novels erinnert und alle Menschen als Anime-Figuren interpretiert wurden. Das heißt, dass zwischen den Kämpfen auch gerne einmal zehn bis zwanzig Minuten vergehen, in denen per Textboxen die neuen politischen Entwicklungen in Paris oder Unterhaltungen zwischen Pauline und ihren Getreuen abgehandelt werden.
Als junge Kommandantin verdient sich Pauline ihre ersten Sprossen in Schlachten in Italien. Dafür bewegen wir rundenbasiert unsere handvoll Figuren über die schachbrettartige Karte und erfüllen die Siegesbedingung – meistens alle Gegner ausschalten. Während Fire Emblem die längste Zeit auf das Waffendreieck setzte, gibt es in Banner of the Maid eine Vierecksbeziehung zwischen zwei Arten von Fußsoldaten und leichter sowie schwerer Kavallerie, die gegenseitig im Angriffsvor- und nachteil stehen. Ähnlich wie in Fire Emblem waren für uns diese Beziehungen kaum intuitiv merkbar, dafür werden Hinweise zur Angriffseffektivität zu jeder Zeit angezeigt.
Ausgefeiltes Gameplay
Banner of the Maid bietet daneben noch weitere Einheiten. Die Artillerie erlaubt uns Angriffe aus großer Distanz, ist aber kaum mobil und wird im Nahkampf schnell auseinander genommen. Dank der Armee-Musiker werden angeschlagenen Einheiten auch wieder mit Energie aufgefrischt. Die grundlegenden Spielmechaniken funktionieren sehr gut und belohnen das taktische Positionieren der Einheiten. Denn schnell wurde uns auch auf dem mittleren Schwierigkeitsgrad klar, dass die einzelnen Kampfmissionen oft knapper ausgehen, als uns lieb ist. Ein weiterer Grund, nicht sinnlos in den Kampf zu stürmen. Die Kampfanimationen selbst sind simpel, aber ansehnlich und können für das Genre typisch abgeschaltet werden.
Der Reiz von Fire-Emblem und Co liegt auch in der Verbindung zu den Spielfiguren, die über Schlachten hinweg aufgebaut werden. Auch in Banner of the Maid ist jede Einheit einzigartig und besitzt charakterbezogene Eigenschaften. Die Artillerie-Spezialistin Paulette zum Beispiel hat eindeutig ein Alkoholproblem und erhält einen Angriffsbonus beim Einsatz eines alkoholhaltigen Verbrauchsgegenstandes (Wein mag sie am liebsten!). Der leichte Humor ist hier und da nicht zu verkennen. Daneben erhält die schwere Kavallerie einen Angriffsbonus, wenn sie vor dem Angriff eine Anzahl von Feldern zurücklegt. Am meisten Erfolg werden diejenigen Spieler haben, die sich auch mit den ganzen Systemen auseinandersetzen. Selbstverständlich erhalten die Figuren pro Aktion Erfahrungspunkte und können später in fortgeschrittene Klassen aufsteigen. Einen Permadeath gibt es nicht, um diese Mechanik wurde das Spiel auch nicht designt.
Politik in Paris
Das unverbrauchte Setting der französischen Revolution wird durch klassische Musik, die besonderen Uniformen der Soldaten und vielen französischen Begriffen geprägt und gut eingebunden. Nur die Kampfschreie der Figuren sind auf Chinesisch und weisen auf die Herkunft der Entwickler hin. Für die altertümliche, europäische Spielumgebung wirkt das etwas komisch.
Zwischen den Kämpfen macht sich Pauline in Paris mit den unterschiedlichen Fraktionen bekannt. Das Königshaus, die Bürger von Paris oder die Jacobins, sie alle sind einflussreiche Parteien, die auch leichte spielerische Auswirkungen haben. Durch Antwortmöglichkeiten in Dialogen sammeln wir entsprechende Reputations-Punkte in den Häusern. Vertiefen wir zum Beispiel unsere Beziehungen mit dem Hause Feuillant, schalten wir Ratschläge frei, die uns während der Einsatzbesprechung vor einer Mission sehr gelegen kommen. Andere Häuser erlauben uns mehr Gegenstände oder Waffen in Läden zu kaufen. Das sind sinnvolle Boni, auch wenn die Entscheidungen selbst künstlich wirken und nach unserem Geschmack zu selten auftreten.
Diese Abschnitte spielen sich allesamt in Menüs ab, nur im Kampf bewegen wir die Figuren tatsächlich. Die Karten sind nett designet, einige Elemente wie Häuser im Hintergrund wiederholen sich allerdings. Schön sind interagierbare Objekte wie Lagerfeuer, die Truppen heilen und Boni durch Höhen- und Terrainunterschiede. Manchmal wird es unübersichtlich, besonders wenn viele Figuren eng beieinanderstehen. Eine Zoomoption hätte Wunder bewirkt. Besonders im Handheld-Modus, denn die Schriftgröße ist gerade noch so erträglich.
In den optionale Nebenmissionen steht nicht immer Pauline im Mittelpunkt. In diesen erfahren wir mehr über andere Kämpfer und leveln diese direkt ein wenig auf. Schnell wird klar, dass das Spiel ein großes Augenmerk auf die Kleider der Figuren legt. So sind die französischen Militäruniformen vieler Charaktere wirklich schön anzusehen, leider gilt es nur für die wenigsten weiblichen Figuren. Die meisten Frauen haben nicht nur eine überdimensionale Oberweite, die selbst für Anime-Verhältnisse alle Grenzen sprengt, diese wird auch noch besonders abwegig inszeniert. Erst recht auf Schlachtfeldern während einer ernsten Story machen solche Outfits keinen Sinn und sind unpassend.
Geschrieben von Jonas Maier
Fazit:
Banner of the Maid hat es geschafft, dass ich mich freiwillig mit den Figuren und Ereignissen der französischen Geschichte der damaligen Zeit auseinandergesetzt habe. Immer wieder habe ich mich gefragt, wie viele Freiheiten sich die Entwickler tatsächlich genommen haben, auch wenn mir stets klar war, dass Pauline nicht die Figur war, die hier dargestellt wird. Das alles wird in Textform gut deutlich, denn Banner of the Maid zeigt wie auch mit einer verhältnismäßig simplen Inszenierung erinnerungswürdige Figuren und ein gutes Gefühl für die damalige Zeit geschaffen werden kann. Auch an viele Kämpfe werde ich mich erinnern, denn nach einigen Stunden baue ich ganz normal Verbindungen zu den Spielfiguren auf und merke mir ihre besonderen Fähigkeiten, um sie bestmöglichst einzusetzen. Überrascht war ich anfangs vom angezogenen Schwierigkeitsgrad, sodass ich manche Missionen wiederholen musste. Frust verspürte ich dabei kaum, eher den Drang es beim nächsten Mal besser zu machen. So muss es sein!