River City Girls – TEST

Kunio-kun ist in Japan eine allseits bekannte Marke, die hierzulande ein Nischendasein fristet und in unregelmäßigen Abständen unter dem Alias River City veröffentlicht wird. Im Spin-off River City Girls wird Held Kunio aber entführt, sodass seine Freundinnen ihn retten müssen.

 


Noch nie versuchte ein Ableger der kampflastigen River-City-Reihe eine sonderlich tiefgründige Geschichte zu erzählen – und River City Girls macht dabei keine Ausnahme. Zu Beginn der Story werden Kunio und sein Kumpel Riki in einen schwarzen Lieferwagen gezerrt und schließlich entführt. Kyōko, Rikis feste Freundin, kann diesen Verlust nicht ertragen und schreitet zur Tat, um die beiden Draufgänger zu retten. Misako, die sich in den letzten Ablegern der Serie schon einen Namen gemacht hat, weiß natürlich, dass der Rettungsversuch nicht ganz ungefährlich ist und beschließt, ihrer Freundin unter die Arme zu greifen – und genau hier kommen wir ins Spiel.

Bevor es überhaupt losgeht, müssen wir uns für eine der beiden Oberschülerinnen entscheiden. Welche der beiden Damen wir auswählen, hat spieltechnisch keinerlei Auswirkungen. Kyōko und Misako verfügen lediglich über kosmetische Unterschiede, sodass wir nach persönlichen Präferenzen vorgehen sollten. Ähnlich wie im Super-Nintendo-Klassiker The Legend of the Mystical Ninja darf aber jederzeit lokal einer unserer Freunde auf Knopfdruck ins Geschehen einsteigen, der entsprechend die andere junge Frau steuert. Vorkenntnisse werden bei River City Girls zudem nicht erwartet, denn sowohl die Handlung als auch die Bedienung ist kinderleicht zu verstehen und verinnerlicht, sodass der Spieleinstieg wirklich mühelos funktioniert.

Chaos in River City

Unsere Aufgabe besteht nicht nur darin, Kunio und Riki zu retten, sondern auch noch stärker zu werden. Schon in den ersten Minuten wird uns bewusst, dass es die beiden Mädels faustdick hinter den Ohren haben und ebenso gut austeilen können wie ihre Kumpels. Schon im Klassenzimmer fängt die erste Prügelei gegen ihre Mitschüler an. Es folgen weitere auf dem Flur, im Hallenbad der Schule, auf dem Flur, in der Kantine und schließlich auch auf den Straßen von River City selbst. Die Umgebungen sind abwechslungsreich gestaltet, was ebenfalls für die zahlreichen Gegner gilt. Cheerleader springen zum Beispiel durch die Luft, während die Schläge muskelbepackter Haudegen eine ordentliche Wucht haben.

Selbiges betrifft das Spielgefühl, das sich mit der Zeit verfeinert. So lernen wir peu á peu neue Angriffsmuster, die wir jedoch selbst herausfinden müssen, da das Spiel uns kontextunabhängig nur die Tastenreihenfolge erklärt. Relativ früh im Spiel ist es zum Beispiel möglich, umgehauene Gegner aufzuheben und gegen andere Feinde zu schmettern. Hierzu ist nur der normale Angriffsknopf nötig, was das Spiel auch so formuliert, aber vergisst zu erwähnen, dass der Gegner entsprechend am Boden liegen muss. Zum Glück setzt River City Girls relativ viel auf Button Mashing, so dass dieser Umstand nicht ganz so negativ ins Gewicht fällt und zu verschmerzen ist.

Fragwürdige Designentscheidungen

Besiegte Gegner hinterlassen in River City Girls sowohl Erfahrungspunkte als auch Geld. Die Erfahrungspunkte erhöhen summiert unsere Stufe, sodass sich unsere Attribute wie Ausdauer oder Stärke verbessern. Im Grunde funktionierten auch schon vorherige Ableger des Franchises so, doch sind derlei Werte-Erhöhungen in River City Girls nicht sonderlich effektiv. Das hat auch einen einfachen Grund, denn die einzelnen Gegnertypen werden mit der Zeit immer gerissener und werden – für unseren Geschmack – auf dem normalen Schwierigkeitsgrad unverhältnismäßig stärker. Hinzu kommt, dass der Anstieg der Erfahrungspunkte zu gering ausfällt, als dass wir Verständnis für diese Designentscheidung haben könnten. Deshalb müssen wir schon in den ersten Spielstunden die eine oder andere Phase zum Aufleveln einlegen, was das flotte Spielgefühl maßgeblich torpediert.

Fragwürdig ist auch die regelrecht widersinnige Idee der Entwickler bei einem Game Over, das häufig bei Bosskämpfen einsetzt, unsere Geldreserven dermaßen stark anzugreifen und uns so für unsere Unfähigkeit zu bestrafen. Es empfiehlt sich daher, das ganze Geld möglichst schnell für neue Kampftechniken im Dōjō oder Heilgegenständen wie Kartoffelchips oder Sushi in den Läden und Restaurants der sehr großen Spielwelt auszugeben, womit das ganze Konzept ad absurdum geführt wird.

Transkulturelle Ärgernisse

Auch die Steuerung ist mit Überraschungen gespickt. Zum Beispiel dürfen wir uns gleichzeitig nach vorne verteidigen und nach hinten Angreifer abwehren, doch gibt es auch hier Grund zum Meckern. Wenn wir uns in der Nähe einer Tür befinden und angreifen wollen, werden wir stattdessen zum nächsten Gebiet teleportiert. Hier hätten die Entwickler den Charakteren eine Animation zum Hindurchgehen spendieren sollen, um eine unnötige Doppelbelegung der Knöpfe zu vermeiden. Wesentlich charmanter ist der Grafikstil von River City Girls. Dargestellt wird die Action durchgehend aus der leicht versetzten Vogelperspektive, was an Beat-’em-up-Klassiker wie Streets of Rage und Co erinnert, auch wenn das Szenario mit seinem flapsigen Artstyle eher wie eine amerikanische als eine japanische Stadt wirkt, die River City nun einmal ist.

Akustisch unterlegt wird das Spektakel mit einem pausenlos stimmungsvollen Soundtrack. Teilweise setzt die Musik auch auf Gesang von Niamh Houston, sodass wir unsere Gegner im Takt mit Schlägen, Tritten und dem Einsatz von Baseballschlägern bearbeiten können. Da Houston auf Englisch singt und auch alle Charaktere ausschließlich auf Englisch vertont sind, leidet die japanische Kulisse auch hier darunter. Wem die Atmosphäre besonders wichtig ist, wird daran also etwas zu knabbern haben. Nichtsdestotrotz ist River City Girls ein nettes Zwei-Spieler-Abenteuer, das aber nicht den erwarteten Kunio-kun-Charme versprühen kann.

Geschrieben von Eric Ebelt

Fazit:

In der Vergangenheit hatte ich mit der Kunio-kun-Reihe in Form von River City: Tōkyō Rumble auf dem Nintendo 3DS zuletzt 2016 eine wirklich magische Begegnung. Das Spielprinzip ist eingängig und unterhält mich kurzfristig immer mal wieder. Es macht mit seinem wirklich charmanten 8-Bit-Stil alles richtig, um die japanische Kulisse im Miniaturformat aufrechtzuerhalten. Ähnliches habe ich vom Spin-off River City Girls erwartet und wurde leider enttäuscht. Die Story reißt zwar wie in der Hauptreihe keine Bäume aus, ist aber nicht ansatzweise so charmant und auch bei Weitem nicht so humorvoll. Es wurde ein kläglicher Versuch unternommen, das Franchise zu amerikanisieren, wodurch die Identität der Reihe weitgehend flöten geht. River City Girls hat aber auch positive Seiten, denn das Kampfsystem hat – bis auf vernünftige Tutorial-Texte – durchaus einige Überraschungen parat und ist im Aktionsumfang wesentlich facettenreicher als vorherige Ableger der Marke. So machen die Kämpfe zumindest solange Spaß, bis der Gegnerlevel mal wieder vehement ansteigt und unnötige Phasen zum Aufleveln anstehen. Einfacher wird es natürlich, wenn ich mir einen Freund schnappe und mich gemeinsam durch River City prügle. Auf die Schnelle ist das aber nicht immer möglich, weshalb ich das Spiel nur bedingt empfehlen kann. Schlagt lieber bei River City: Tōkyō Rumble für den 3DS oder – sofern ihr experimentierfreudig seid – bei The Friends of Ringo Ishikawa für die Switch zu!