Road to Guangdong – TEST

Road to Guangdong erzählt eine herzerwärmende Geschichte um eine junge Studentin und ihre quer durch den Süden Chinas verteilte Familie. Während Story und Charaktere punkten, ist uns nach wenigen Minuten Spielzeit vor allem das Kern-Gameplay ein Dorn im Auge.


In Road to Guangdong schlüpfen wir in die Haut der jungen Studentin Sunny. Obwohl sie sich eigentlich ihrem Studium an einer Universität in Hongkong widmen sollte, verschlägt sie ein Todesfall in der Familie zurück in ihre Heimat im Süden Chinas. Nach der Trauerfeier erfährt sie von ihrer Tante, dass ihr verstorbener Vater ihr das Familienrestaurant vermacht hat. Um die Rolle als neue Besitzerin und Köchin des Restaurants anzunehmen, muss sie aber zuerst den Segen der Familie einholen. Diese lebt kreuz und quer im Süden Chinas verteilt, weshalb wir uns mit Sunny und ihrer Tante auf eine Reise durch die titelgebende Provinz Guǎngdōng begeben.

Um von einem Ort zum anderen zu gelangen, fahren wir mit dem Auto. Dieses hört auf den Namen Sandy und ist vermutlich das anspruchsvollste Automobil der Welt. Zu Beginn von Road to Guangdong wissen wir das allerdings noch nicht, sodass erst einmal alles nach einer einfachen Spritztour aussieht. Immer dann, wenn wir unser neues Ziel erreicht und die Story über nicht synchronisierte Bildschirmtexte vorangetrieben haben, wählen wir über eine Karte den nächsten Bestimmungsort aus. Anschließend wechselt das knallbunte Geschehen in Comic-Grafik aus einer Gesamtdarstellung aus der Seitenansicht in die Ego-Perspektive. Wir nehmen hinter dem Steuer von Sandy Platz, drehen den Schlüssel im Zündschloss um und düsen los. Peu à peu wird das aber zu einer haarigen Angelegenheit.

Stolpersteine auf den Straßen von Guǎngdōng

Zunächst scheint die Fahrsimulation noch vielversprechend. Bei schöner chinesischer Musik kommt richtig Laune auf, der fast durchweg linearen Straße zu folgen. Nach ein paar Minuten wendet sich dieses Blatt jedoch, denn ehe wir uns versehen, wiederholen sich nicht nur die wenigen Musikstücke in einer Dauerschleife, sondern auch die Tankanzeige leuchtet plötzlich rot auf. Ein paar Minuten später ist der Tank leer. Dann müssen wir aus dem Auto aussteigen und mit einem Kanister Benzin den Tank auffüllen. Irgendwann fehlt es der guten Sandy auch an Öl: Also wieder aussteigen, die Motorhaube aufklappen, den Deckel auf dem Motor aufdrehen und Öl nachkippen.

Alarmiert uns dann auch noch die Anzeige fürs Kühlmittel, ist der Keilriemen wohl ausgeleiert und muss ersetzt werden. Ihr könnt euch denken, was zu tun ist. Wichtig ist nur, dass wir die Ersatzteile auch tatsächlich im Inventar haben. An Tankstellen und auf Schrottplätzen, die großzügig am Wegesrand vorzufinden sind, können wir die notwendigen Einkäufe tätigen. Diese gehen in Road to Guangdong aber ordentlich ins Geld. Da wir nur eine Studentin und die Ersparnisse unserer Tante nicht gerade üppig sind, müssen wir mit den begrenzten Mitteln haushalten. Wenigstens stockt der Besuch bei der lieben Verwandtschaft unsere Finanzen etwas auf. Eine Kunst ist das dennoch, denn wenn uns einmal der Motor abschmiert, ist das vorzeitige Spielende regelrecht vorprogrammiert.

Mit Aufrichtigkeit zum Frühlingsfest

Ebenso sollte an dieser Stelle erwähnt werden, dass das Fahrgefühl in Road to Guangdong durchaus verbesserungswürdig ist. Alle Aktionen und Fahrmanöver nehmen einfach zu viel Zeit in Anspruch. Zudem ruckelt das Geschehen auf der Switch durchgehend leicht, was unschön ins Gewicht fällt. Da unsere Tante im Auto weitgehend der stumme Sidekick bleibt und die Umgebung eintönig oder repetitiv modelliert ist, fühlen sich die Autofahrten eher wie ein vermeidbarer Ballast als ein sinnvolles Gameplay-Element an. Automatismen oder sogar die Auslagerung des Geschehens auf eine Übersichtskarte hätten hier unserer Meinung nach wahre Wunder bewirkt.

Anders sieht es schon bei den Story-Sequenzen aus. Hier bewegen wir uns auf Knopfdruck zwischen verschiedenen Räumlichkeiten des Zielortes hin und her und lernen die abwechslungsreichen Charaktere kennen. Unter anderem treffen wir auf den Verlobten unserer Tante oder einen Onkel, der in einer Kampfkunstschule arbeitet. Jeder Teil der Familie hat seine ganz persönlichen Probleme, die wir in gut geschriebenen Dialogen lösen müssen. Wer sich hier redlich verhält, bekommt Sympathiepunkte gutgeschrieben, die sich aufs Spielende auswirken. Helfen wir unserer kleinen Cousine beispielsweise dabei, zu lügen, kommen sie und ihre Eltern nicht zum Frühlingsfest vorbei, das das Ende von Road to Guangdong markiert – und dieses soll uns schließlich noch lange in Erinnerung bleiben!

Geschrieben von Eric Ebelt

Fazit:

Road to Guangdong ist ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite überzeugen vor allem die gut geschriebenen Dialoge zwischen Sunny und ihren Verwandten. Jedes Familienmitglied ist einzigartig, hat seine ganz persönlichen Eigenschaften und Probleme. Stelle ich mich in den Dialogen gut an, darf ich mich am Spielende über einen Besuch der jeweiligen Person in meinem Restaurant freuen. Bin ich zu ungeschickt, kann die Sache auch nach hinten losgehen. Das schlägt mir durchaus ein wenig auf den Magen, während ich zum nächsten Verwandten unterwegs bin. Auf der anderen Seite sind gerade die Autofahrten überaus nervig. Dass das Auto mal ein Rad verliert oder ich mit einem Benzinkanister den Tank auffüllen muss, ist einmal ganz nett – aber bitte nicht alle zwei Minuten. So fühlen sich die sonst langweiligen Fahrten unglaublich in die Länge gezogen an. Wenn wenigstens Sunnys Tante öfters den Mund aufkriegen könnte, wäre das vielleicht alles gar nicht so schlimm. Unterm Strich bleibt so ein Spiel, das mit Story und Charakteren überzeugt, in puncto Gameplay aber nicht wirklich ausgereift ist.