Nintendos gescheiterte Online-Pläne – SPECIAL

Vor allem jüngere Nintendo-Fans gehen davon aus, dass Nintendo erst mit dem Gamecube im Online-Segment Fuß fassen wollte. Wir klären, warum Nintendo das Internet schon sehr viel früher entdeckte und wieso der Konzern nie ernsthafte Online-Pläne für den Gamecube hatte.


Noch bevor in den 1950er Jahren Wissenschaftler konkrete Ideen und Überlegungen hatten, wie Computer national und weltweit miteinander verbunden sein könnten, hatten bereits ein Jahrzehnt zuvor Science-Fiction-Autoren wie Murray Leinster erste Visionen, wie dieses Netzwerk funktionieren könnte. Als 1969 mit dem so genannten Arpanet der Startschuss fiel, war das heute als Internet bekannte Netzwerk aber noch Zukunftsmusik. Zunächst richtete sich der Dienst nämlich ausschließlich an US-amerikanische Ministerien und Universitäten, bevor es weltweite Verbreitung fand. Erst ab den frühen 1990er Jahren durfte das Internet tatsächlich kommerziell und privat genutzt werden. Während Unternehmen wie Microsoft beziehungsweise dessen Mitgründer Bill Gates noch 1993 der Auffassung waren, dass das Internet nur ein einfacher Hype sei, interessierten sich japanische Unternehmen wie Nintendo schon in den späten 1980er Jahren für Experimente im Online-Netzwerkbereich.

Bereits 1988 veröffentlichte der Kyōtoer Konzern ausschließlich in Japan das so genannte Family Computer Network System, ein Modem, dass an den japanischen Nintendo Family Computer, außerhalb Japans als Nintendo Entertainment System bekannt, angeschlossen werden konnte. Über die Telefonleitung war es in dieser Zeit unter anderem möglich, sich um Aktiengeschäfte zu kümmern, den Wetterbericht abzurufen und Pferdewetten abzuschließen. Anhand dieser Beispiele ist klar, dass Nintendos Zielgruppe in erster Linie erwachsene Benutzer waren. 1990 war man auch daran interessiert, das Modem in den Vereinigten Staaten von Amerika anzubieten. Es fand sogar ein Testlauf statt, bei dem man über die Minnesota State Lottery digitale Lotterielose ausfüllen konnte. Da es auf diesem Weg aber hätte möglich sein können, dass Minderjährige anonym und nach dem Gesetz illegal am Glücksspiel teilnehmen konnten, verwarf man kurzerhand die Pläne, das Modem außerhalb Japans zu veröffentlichen.

Online ohne Spiele

Drei Jahre lang war das Family Computer Network System im japanischen Handel erhältlich. 1991 erschien mit dem Super Mario Club noch ein letztes Angebot. Über diese Applikation war es möglich, eine Videospieldatenbank zu durchforsten, Testberichte zu einzelnen Titeln zu lesen und darüber in Kontakt mit Nintendo zu treten. Sicherlich werden sich japanische Kunden bereits vor dem Start der Applikation mit dem Konzern über den Postweg oder per Telefon in Verbindung gesetzt haben, doch kann man den Super Mario Club als eine der ersten modernen Kommunikationsschnittstellen zwischen Kunden und Publisher betrachten. Trotz des erwachsenen Zielpublikums versuchte man auch, Online-Partien mit Spielen wie Igo zu ermöglichen. Dazu sollte es jedoch nie kommen und spätestens mit Super Mario Club hat das Unternehmen gemerkt, dass der Server für diesen Ansturm nicht gewappnet wäre.

Die Idee des Online-Spielens schnappten jedoch Keith Rupp und Nolan Bushnell auf und stellten auf der Consumer Electronic Show 1992 in Las Vegas das Teleplay Modem vor, das zum einen Online-Spiele in NES-Titeln ermöglichen, als auch kompatibel mit dem Super Nintendo und Sega Mega Drive sein sollte. Diese Peripherie erhielt bereits auf der Messe positive Rückmeldungen, doch lehnten sowohl Nintendo, als auch Sega das Konzept ab. Dazu sollte unbedingt erwähnt werden, dass beide Konzerne in den frühen 1990er Jahren noch erbitterte Konkurrenten waren und das Teleplay Modem mit gleich drei sich in der Produktion befundenen Spielen auch Cross-Platform-Play ermöglichen sollte. So ist es kein Wunder, dass beide Unternehmen kein Interesse daran hatten, Rupp und Bushnell mit ihrem Projekt zu unterstützen, die Lizenz für Modem und Spiele verweigerten und somit eine einflussreiche Vorreiterrolle in der Geschichte der Videospiele ablehnten.

Signale aus dem Orbit

Interessanterweise steckt die spannende Idee des Cross-Platform-Plays auch 2017 noch in den Kinderschuhen. Bis auf wenige Titel, wie beispielsweise Shadowrun (2007) für die Xbox 360 oder Street Fighter V für die PlayStation 4, gibt es abseits von diversen Online-Rollenspielen erschreckend wenige Multiplayer-Titel, die plattformübergreifend über das Internet spielbar sind. Aufgrund verschiedener Hardware-Techniken und zu unterschiedlicher Vorstellungen von Online-Systemen wird der Durchbruch lange auf sich warten lassen. Etwas länger auf sich warten ließ auch Nintendos nächste Online-Peripherie. Erst 1995 erschien mit dem Satellaview eine Vorrichtung, die auch den Super Family Computer, hierzulande als Super Nintendo Entertainment System bekannt, mit Online-Funktionen ausstattete. Mit dem uns bekannten Internet hatte das Konzept allerdings nichts gemein. Beim Satellaview hat man nämlich, wie es der Name des Geräts unschwer zu erkennen lässt, Daten über einen besonderen Satelliten abgerufen – und das auch nur zu bestimmten Uhrzeiten!

Außerhalb der Satellaview-Sendezeiten wurde auf dem japanischen Radiosender St. Giga ein normales Programm gesendet. Die Kooperation zwischen Nintendo und dem Sender florierte, sodass die Sendezeiten über die Lebenszeit des Satellaviews Jahr für Jahr ausgebaut worden sind. Hat man sich in den Sendezeiten mit dem Satelliten verbunden, konnte man neue und technisch aufgebohrte Versionen von bekannten Titeln herunterladen. Im Übrigen betreffen die technischen Anpassungen bei einigen Titeln nicht nur grafische Verbesserungen, denn auch die Musik wurde bei Portierungen vom NES an Sonys SPC700-Soundchip vom Super Nintendo angepasst. Hinzu kommt, dass einige Titel wie eine angepasste Version von The Legend of Zelda: A Link to the Past mit einer Sprachausgabe in Form eines japanischen Background-Erzählers unterstützt wurden. Was heute als herunterladbarer Zusatzinhalt im eShop landen würde, waren in den 1990er Jahren noch komplette Download-Titel.

Herber Rückschlag

Interessant am Veröffentlichungsjahr dürfte sein, dass das Nintendo 64 bereits ein Jahr später in Japan erschien. Obwohl man nun vermuten könnte, dass Nintendo das Satellaview-Angebot kurzerhand einstellen würde, ließ der Konzern das Programm tatsächlich noch bis ins Jahr 2000 laufen. Zudem wurde das System mit nicht gerade wenigen Spielen von Nintendo und sogar von Drittherstellern einige Jahre lang unterstützt. Erst 1999 und damit Jahre nach der Veröffentlichung des Nintendo 64s veröffentlichte Nintendo das Nintendo 64 Disk Drive, um zum einen die Satellaview-Idee fortzuführen beziehungsweise sich auf Zusatzinhalte zu konzentrieren und zum anderen, um mit einem neuen Online-Programm auf sich aufmerksam zu machen. Während sich das Satellaview zwei Millionen Mal verkaufen konnte, blieben es beim Disk Drive gerade einmal 15.000 Exemplare, die über den Ladentisch wanderten.

So ist es kaum verwunderlich, dass Nintendo die Konsolenerweiterung nicht außerhalb Japans betreiben wollte und auch die, zugegebenermaßen utopischen, Online-Pläne verwarf. So hätte es mit dem Nintendo 64 Disk Drive möglich sein sollen, online gegen Freunde zu spielen oder ihnen beim Spielen zu zusehen. Angeblich waren auch Betatests, eine Community in Form eines Forums und weitere Funktionen geplant. Am Ende blieb es dann bei rudimentären Features wie Chats oder E-Mail-Funktionen. Obwohl das Internet immer populärer wurde, so kann man Nintendo durchaus verstehen, sich nach diesem Rückschlag bei Online-Funktionen erst einmal zurückzuhalten. Die Visionen wurden zwar stark heruntergeschraubt, doch ein ganz kleines Hintertürchen hat man sich beim Nintendo GameCube dann doch offen gelassen.

Verschlafener Online-Trend

Nach der Jahrtausendwende und somit in den frühen 2000er Jahren war das Internet aus den Köpfen der Menschen nämlich nicht mehr wegzudenken. Studenten erleichterte es über Datenbanken die Suche nach wissenschaftlicher Literatur, Shopping-Süchtige konnten problemlos Kleidung über Online-Versandhäuser bestellen und das Online-Rollenspiel World of Warcraft machte ein ganzes Genre von einen Tag auf den anderen massentauglich. Während auf dem PC viele Spiele bereits seit Jahren mit funktionierenden Internetfunktionen ausgestattet waren, waren Konsolen in diesem Bereich rückständig – mit Ausnahme von Segas Dreamcast, die im Jahr 1998 ihrer Zeit hingegen weit voraus war. Erst die Xbox aus dem Hause Microsoft gab 2001 den Anstoß für eine Entwicklung im Konsolenbereich, denn Microsofts Online-Dienst Xbox Live vernetzt seither und selbst heute noch auf der Xbox One Millionen von Haushalten.

Obwohl oder gerade weil Nintendo mit den vorherigen Konzepten keinen Erfolg vermelden konnte, gab man sich nicht kampflos geschlagen. An der Unterseite des Gamecubes stattete man die würfelförmige Konsole mit einem Anschluss für ein Modem beziehungsweise einen Breitband-Adapter aus. Allerdings hatte Nintendo selbst nie wirklich ein Interesse daran, die Online-Funktionen der eigenen Konsole zu nutzen. Nur die beiden Unternehmen Sega und Chunsoft hatten Vertrauen ins Konzept. So erschienen mit Phantasy Star Online: Episode I & II eine Portierung des Online-Rollenspiels für den Dreamcast und mit Phantasy Star Online: Episode III – C.A.R.D. Revolution gerade einmal zwei Online-Titel, die außerhalb Japans veröffentlicht worden sind. In Japan veröffentlichte Chunsoft immerhin noch das kunterbunte Online-Rollenspiel Homeland. Harte Fakten, die belegen, das Nintendo mit dem Gamecube sicherlich keine großen Online-Pläne verfolgte und den Trend schlicht und einfach verschlief.

Fortschritt und Stillstand

Der Erfolg von Xbox Live zeigte Nintendo jedoch, dass definitiv ein Interesse besteht, Spiele online zu spielen. So startete man mit dem 2004 veröffentlichten Nintendo DS zugleich auch den ersten wirklichen Online-Dienst: Die Nintendo Wi-Fi Connection. Kabellos war es fortan möglich, diverse Nintendo-Titel wie Mario Kart DS über das Internet zu spielen. Selbst Sega feierte mit Phantasy Star Zero ein kurzes Online-Rollenspiel-Comeback auf einer Nintendo-Plattform. Dennoch war die Architektur des Nintendo DS nicht gerade vorbildlich, denn der japanische Konzern setzte zunächst ausschließlich auf das sehr unsichere WEP-Protokoll, sodass der Nintendo Wi-Fi USB Connector in vielen Fällen hinzugekauft werden musste. Hinzu kommt, dass der Treiber zunächst nur auf Windows XP ausgelegt und später auch für das (in der Community unliebsame) Windows Vista bereitgestellt wurde – und dann auch nur für die 32-Bit-Versionen, die dem ganzen einen weiteren Dämpfer versetzten.

Trotzdem lernte Nintendo in dieser Zeit schnell, denn mit der 2006 veröffentlichten Wii bot man den Kunden plötzlich mehrere Verbindungsmöglichkeiten wie die WPA-Verschlüsselungsmethode an. Aufgrund dieser Tatsache wurde die Wii zwar nicht zum Marktführer der Konsolengeneration (dafür waren andere Faktoren entscheidend), doch konnten sich Nintendo-Fans jetzt ohne Umstände mit dem Internet verbinden, um eine gemütliche Runde in Mario Kart Wii zu drehen oder Duelle in Super Smash Bros. Brawl auszutragen. Lags und Verbindungsabbrüche gab es allerdings weiterhin und im Falle von Super Smash Bros. Brawl waren die oft so prägnant, dass man von Unspielbarkeit sprechen kann. Mit Wii Speak veröffentlichte Nintendo zudem ein gutes Raummikrofon, um sich mit Freunden in Animal Crossing: Let’s go to the City und rund ein dutzend anderen Titeln zu unterhalten. Updates für ältere Titel blieb man den Kunden allerdings schuldig.

Nötige Überarbeitung des Konzepts

In den darauffolgenden Jahren erhielten die Online-Dienste von Microsoft und Sony Features, die Nintendo ablehnte. So war es dem familienorientierten Unternehmen wichtig, dass man mit anderen beziehungsweise unbekannten Spielern bloß nicht kommunizieren soll. Auf Wii und DS war es jeweils ein Freundescode pro Spiel, der das verhinderten sollte. Auf dem 3DS war es immerhin nur noch ein einziger Freundescode pro System und auf der Wii U hat man sich schließlich dazu entschieden, praktischere Spitznamen zu verwenden. Personalisierte Chats bietet Nintendo in seinen Titeln aber immer noch nicht an. Stattdessen dürfen wir nur aus einer vorgefertigten Auswahl an Kommentaren wählen, die aber nur selten zum Spaß oder gar dem Verständnis beitragen. In The Legend of Zelda: Tri Force Heroes hat es Nintendo endgültig geschafft, die Grenzen dieses unsinnigen Konzepts zu überschreiten. Mit fremden Mitspielern konnte der Spaß im rätsellastigen Spiel nur unter immensen Frust erkauft werden.

Kennt man die Mitspieler persönlich, hat man sich ohnehin einen Instant Messenger wie Skype hinzugeschaltet. Eine Idee, die Nintendo mit der Switch auf eine hauseigene Applikation für mobile Endgeräte auslagern und so Voice-Chats ermöglichen möchte. So geht Nintendo zwar einen Schritt in Richtung Zukunft, macht es sich aber unnötig schwer. Einen Mikrofoneingang neben der Konsole auch an den Pro-Controller beziehungsweise die Joy-Con-Halterung zu schrauben oder zumindest Bluetooth-Headsets zu unterstützten, ist im Jahr 2017 kein Kunststück mehr. Immerhin will der Konzern auch an anderen Baustellen arbeiten. Das mit der Wii U eingeführte Miiverse hat zum Beispiel auf der Switch ausgedient, sodass etablierte Social-Media-Plattformen in den Vordergrund rücken können. Ob diese Pläne wie viele der vorherigen zum Scheitern verurteilt sein könnten, lässt sich vor dem Launch der Konsole natürlich noch nicht sagen. Nintendo sollte sich jedoch jetzt und für Zukunft bewusst sein, dass man das Internet nicht mit Isolationshaft gleichsetzen darf. Es ist ein öffentlicher Raum, der viel Platz für neue Möglichkeiten bietet und genau das macht funktionierende Online-Dienste aus.

Geschrieben von Eric Ebelt