Bauernhöfe in Videospielen – SPECIAL

Auf einem Bauernhof gibt es keine Sonntage! Dies ist ein vielfach zitierter Satz, der einem in Videospielen wie Harvest Moon nur so um die Ohren gehauen wird. Es sind Spiele, in denen wir eigentlich fast nur arbeiten. Da stellt sich die Frage, was dran ist an der Faszination des digitalen Bauernhofs.


Würden Menschen nach ihrer ganz persönlichen Meinung zu Bauernhöfen befragt werden, so dürften bei der schieren Auswahl an unterschiedlichen Blickwinkeln zwei Extreme in all den Antworten auftauchen. Die einen würden einen romantisieren Ort der Idylle auf dem Land in einem Bauernhof erkennen; die anderen wiederum einen Moloch des absoluten Gestanks. Dorfkinder werden Letzteres sicherlich verneinen, so wie auch der Autor dieses Texts. Trotzdem dürften Menschen aus der Stadt Bauernhöfe in gewisser Weise faszinieren. Nicht unbedingt wegen der Idylle, aber wegen der Arbeit mit Tieren oder dem ständigen Kampf ums Überleben in der sich ewig drehenden Mühle des Kapitalismus.

Da es aber in der Realität abseits vom Urlaub auf dem Bauernhof kaum möglich ist, einen Bauernhof in Ruhe zu erkunden, zu verstehen oder gar auf einem solchen zu arbeiten, existieren Videospiele, die sich dieser Thematik annehmen. Hierbei fällt schnell auf, dass es in Videospielen eben nicht den einen Bauernhof gibt, sondern eine überaus große Varianz. Dies fängt schon bei der Begrifflichkeit an sich an, die sich vor allem auf Englisch bemerkbar macht. So können Höfe alleine schon in Farmen und Ranches unterteilt werden. Während auf einer Farm der Feldanbau im Fokus steht, wird auf einer Ranch vornehmlich Viehzucht betrieben, wie zum Beispiel der Website der Harrigan Land Company zu entnehmen ist. In Videospielen ist das Bild noch vielfältiger!

Erste Gehversuche

Damit ist nicht der grundsätzliche Aufbau gemeint, wie ein Bauernhof, eine Farm oder eine Ranch in der Realität funktioniert. Tatsächlich würde es viel zu lange dauern, die zahlreichen Bauernhoftypen mit ihren nuancierten Abweichungen aufzulisten, denn selbst solche Orte wie Plantagen können als Höfe gewertet werden, funktionieren aber noch einmal ein wenig anders. Bauernhöfe in Videospielen bilden zudem nicht die Realität ab beziehungsweise versuchen selten diesen Anspruch zu erheben. Entwickler nutzen die realen Vorbilder als Schablone und dichten ihre Gameplay-Mechaniken drumherum.

Schon in den frühen 1980er-Jahren wurden Farmen in den Fokus von Videospielen gerückt. Das Atari-2600-Spiel Wabbit aus dem Jahr 1982 ist ein solcher Titel. In diesem Werk von Entwicklerstudio Apollo schlüpft der Spieler in die Haut der ersten weiblichen Videospielheldin, die auch auf dem Bildschirm dargestellt wird. Mit Bäuerin Billie Sue müssen wir ein Karottenfeld verteidigen, indem wir faule Eier auf die hungrigen Hasen pfeffern, welche die Möhrchen stehlen wollen. Ziel des Spiels ist es, das Feld so lange wie möglich vor den Mümmelmännern zu beschützen. Ein simples Konzept, das in einer Zeit, in der Videospiele noch halbwegs in den Kinderschuhen steckten, funktionierte. Auch wenn es sich bei Wabbit um einen Shooter handelt, gibt es eine wichtige Parallele zu Simulationen: Am Ende geht es darum, dass die Feldarbeit möglichst ertragreich ausfällt.

Moralisch gelockerte Botschaften

Worm Whomper, das im Jahr 1983 auf dem Intellivision erschien, vermittelt bereits auf dem Cover eine ganz andere Botschaft wie Wabbit. Es parodiert ähnlich wie das Opening der Fernsehserie Desperate Housewives das berühmte Gemälde American Gothic des US-amerikanischen Malers Grant DeVolson Wood. Das Gemälde zeigt im Original einen Mann mit einer Heugabel, der mitunter als ein Farmer identifiziert werden kann. Neben ihm steht eine Frau, bei der es sich entweder um seine Ehefrau oder womöglich seine Tochter handelt. Die puritanische beziehungsweise moralisch überlegen wirkende Darstellung der Bauern wies der Künstler zu Lebzeiten stets zurück.

Bei Worm Whomper wird die strenge Lebensweise gelockert, denn bereits auf dem Cover sorgt die Fotomontage für einen veränderten Blick des Farmers, der überraschend den Denkzettel seines Lebens erhalten hat. Laut der Story des Spiels wollte Felton Pinkerton, so der Name des Farmers, viel lieber Zeit mit seiner Ehefrau auf dem Jahrmarkt verbringen. Die Arbeit auf dem Hof hat er vernachlässigt respektive seine Feldfrüchte nicht mit Pestiziden eingesprüht – jetzt muss er sich, sturzbetrunken von Apfelwein, bewaffnet mit einer Spritzpistole gegen riesige Insekten behaupten. Die Botschaft, die das Spiel vermittelt, ist nicht etwa, dass der Einsatz von Pestiziden gut für die Landwirtschaft sei, sondern dass das Tagwerk eines jeden Bauern definitiv nicht vernachlässigt werden darf.

Einbindung in den Kapitalismus

Mit der Wirtschaftssimulation Sim Farm von Entwicklerstudio Maxis wurden Bauernhöfe in Videospielen im Jahr 1993 auch in die kapitalistische Sphäre erhoben. Der Spieler erhält zu Beginn des Spiels ein großzügiges Startkapital und muss sich anschließend beweisen, indem er richtig wirtschaftet. Wer geschickt seine Felder bepflanzt und im richtigen Moment in die Viehzucht einsteigt, die zumindest zu Beginn nicht sehr viel Gewinn abwirft, verwandelt das Bauernhaus früher oder später in eine prächtige Villa mit Pool. Ebenfalls Einfluss auf den Ertrag hat das Anlegen von Be- und Entwässerungssystemen, wobei dies von den Boden- und Witterungsverhältnissen abhängig ist.

Sim Farm gibt dem Bauern, also dem Spieler, auch noch eine größere Aufgabe: Neben der Farm wächst von Zeit zu Zeit auch die naheliegende Stadt. Der Spieler kann entscheiden, wie sich der Umschlagplatz für seine Verkäufe schlussendlich entwickelt. Zwar hat nur der Flughafen tatsächlich eine Bedeutung, da von diesem aus Flugzeuge gestartet werden können, welche die Felder mit Pestiziden bestreuen, doch ist dies ein erstes Indiz darauf, dass ein Bauernhof für ein Spiel alleine womöglich nicht ausreicht. Mit Sim Farm gab es also schon in den frühen 1990er-Jahren ein Videospiel, das den Bauernhof in ein größeres Gesamtkonzept einbindet. Auf dieser Basis bauen auch andere Spiele auf. Das wohl prominenteste Beispiel dürfte das anfangs erwähnte Harvest Moon aus dem Jahr 1996 sein.

Frisches Konzept

In der Bauernhofsimulation für das Super Nintendo übernimmt der Spieler die Rolle eines Farmers und darf mit diesem in bester Rollenspielmanier einen heruntergewirtschafteten Hof wieder auf Vordermann bringen. Für dieses Unterfangen hat er zweieinhalb Spieljahre Zeit. So erlebt er seinen Hof im Wandel der Jahreszeiten, baut zu unterschiedlichen Saisons Tomaten, Steckrüben, Mais und Kartoffeln an. Noch dazu muss er selbst Gras anpflanzen und mähen, damit seine Kühe und Hühner auch im Winter genügend zu futtern haben.

Harvest Moon ist ein Spiel, das sehr kleinteilig ausfällt. Die gesamte Farm muss Tag für Tag in mühsamer Einzelarbeit bewirtschaftet werden, was vor allem mit zunehmender Spielzeit immer anstrengender wird. So wird die Farm zwar als Haupteinnahmequelle genutzt, doch kann der Spieler abseits vom digitalen Arbeitsalltag auch Freundschaften knüpfen und die große Liebe in der Stadt finden. Auch Nachwuchs ist nicht ausgeschlossen, sofern die Beziehung fruchtet. Noch dazu bietet die Spielwelt verschiedene Mysterien, versteckte Aufgaben und jährliche Feste. Ein Treffen mit Felton Pinkerton und seiner Frau gibt es hier zwar nicht, doch war dieses frische Konzept derart erfolgreich, das binnen kurzer Zeit Nachfolger und Ableger für den Game Boy, das Nintendo 64, die PlayStation und so gut wie alle anderen Konsolen folgten. Durch einen Bruch mit dem Publisher ist die Reihe heutzutage als Story of Seasons bekannt.

Renaissance der Klassiker

Mit der Zeit verlor die Harvest-Moon-Reihe immer mehr an Glanz, weshalb der Entwickler Eric Barone sich dazu auserkoren sah, nahezu im Alleingang über vier Jahre die Bauernhofsimulation Stardew Valley zu programmieren. Diese orientiert sich optisch stark am ersten Harvest-Moon-Spiel, doch hat Barone viele Qualitäten späterer Teile in überarbeiteter, gerade zu perfektionierter Form in seinem Werk eingebaut. Eigentlich bedürfe es gar keiner anderen Simulation mehr, um ins Landleben hineinzuschnuppern.

Trotzdem gibt es für alle Pixel-Verweigerer immer noch Alternativen der Story-of-Seasons-Marke. So existieren es auf der Switch neben der Neuentwicklung Pioneers of Olive Town mit Friends of Mineral Town und A Wonderful Life gleich drei Serienteile. Ulkigerweise handelt es sich bei A Wonderful Life um ein Remake der gleichnamigen Episode der Harvest-Moon-Reihe, die auf dem GameCube erschien – und Friends of Mineral Town ist wiederum ein Remake vom Game-Boy-Advance-Klassiker Harvest Moon: Friends of Mineral Town, der wiederum auf Harvest Moon: Back to Nature auf der PlayStation basiert. Es scheint also ganz so, dass die Hochzeit des Bauernhofs Mitte der 1990er-Jahre begann, aber schon nach zehn Jahren in den frühen 2000er-Jahren abebbte. Da ist es kein Wunder, dass sich Stardew Valley wie ein Retro-Spiel anfühlt und offenbar eine Zielgruppe anspricht, die mit den ersten Harvest-Moon-Spielen aufwuchs.

Simulation mit großer Zielgruppe

Auch wenn trotz der anhaltenden Renaissance des Franchises heutzutage gar nicht so häufig mehr über die Reihe gesprochen wird, wie es sie vielleicht verdient hätte, brachte sie im Lauf der Jahre auch ein Spin-off hervor. Gemeint ist damit die Rune-Factory-Serie, in welcher der Spieler nicht nur Landwirtschaft betreibt, sondern zudem gegen Monster kämpfen muss. In den Spielen für die Wii, den DS, die PlayStation 3, den 3DS und die Switch ist zu erkennen, dass der Bauernhof alleine wohl nicht mehr ausreicht und soziale Dramen und Action drumherum zum Aufpeppen des Erlebnis gar nicht mal so verkehrt sind.

Ebenso nicht totzuschweigen ist der Landwirtschafts-Simulator, der seit 2008 zunächst für den PC und später auch für diverse Konsolen fast schon im Jahrestakt veröffentlicht wurde – und immer noch wird. Anfangs von Hardcore-Spielern belächelt, dürften diese heute wohl staunen, dass sich ein Serienteil millionenfach verkauft. Im Gegensatz zu Harvest Moon, Story of Seasons und Stardew Valley stehen dem Spieler im Landwirtschafts-Simulator auch Maschinen wie Mähdrescher zur Verfügung. Wer also seit Sim Farm davon geträumt hat, auch mal Platz in einem Mähdrescher zu nehmen, kann diesen Traum in der Reihe von Entwicklerstudio Giants Software wahr werden lassen. Großartigen „Firlefanz“ wie bei der Konkurrenz gibt es beim Landwirtschafts-Simulator nicht, hier steht der Bauernhof wirklich im Mittelpunkt. Etwas für Puristen.

Vielfältigkeit zahlt sich aus

Dass Giants Software die eigene Reihe am Herzen liegt, ist mit einem Blick auf die Updates für jeden schnell ersichtlich. Mit jedem neuen Teil kamen auch neue Features wie verschiedene Tiere hinzu, die sich im Wirtschaftsteil der Simulation bemerkbar machen. Dieser Umstand zeigt, dass das Konzept der Bauernhöfe noch lange nicht ausgelutscht ist und sich immer noch in zahlreichen Varianten entwickelt. Tatsächlich ist wie in kaum einem anderen Genre die Diversität ein großer Pluspunkt für die Bauernhöfe in Videospielen.

Sie dienen als Schlachtfeld wie in Wabbit oder Worm Whomper und tauchen sogar als Schauplätze in den Kriegen von Battlefield, Call of Duty und Konsorten auf. Auch können Bauernhöfe als Unternehmen wie in Sim Farm gesehen werden, das möglichst viel Profit abwerfen muss, damit der Laden nicht dichtgemacht wird. Kapitalismus und positive Finanzen bedeuten für einen Bauernhof viel, aber nicht alles. Vor allem die Bauernhöfe in Stardew Valley, Harvest Moon und Story of Seasons lassen Raum für soziale Interaktion und zeigen romantisierte Abbilder der Landidylle, die mehr vom Alltag ablenken wollen, als ihn zu simulieren. Bauernhöfe, Farmen, Ranches und Plantagen sind vielfältig und vor allem in Videospielen niemals gleich. Aber eines, das kann geruchsanfälligen Stadtbewohnern, die zu wenig Landluft abbekommen, aber mit Gewissheit gesagt werden: In Videospielen sind sie auf jeden Fall geruchsneutral.

Geschrieben von Eric Ebelt