Etrian Odyssey HD – TEST

2007 erschien mit Etrian Odyssey für den Nintendo DS ein japanisches Rollenspiel, das mit seiner Mechanik an angestaubte Dungeon Crawler erinnerte. Im Juni 2023 folgte mit Etrian Odyssey HD für die Switch bereits die zweite Neuauflage des mitreißenden Rollenspiels.


Etrian-Odyssey fühlt sich vom Setting her zunächst wie ein gewöhnliches Fantasy-Rollenspiel an. So wird in der Nähe der Stadt Etria ein unterirdischer wie labyrinthartiger Wald entdeckt. Etria lädt Abenteurer in der ganzen Welt ein, das sogenannte Yggdrasil-Labyrinth zu erkunden. So und nicht anders werden auch wir nach Etria gelockt. Die Handlung wirkt austauschbar, hat aber zum Ende eine große Überraschung auf Lager. Unsere erste Aufgabe besteht darin, in der hiesigen Gildenhalle eine Gilde zu gründen und zu benennen. Ist dies geschehen, geht es ans Eingemachte. Wir beginnen damit, die Charaktere für unsere Gruppe zu erstellen.

Zur Auswahl stehen verschiedene Klassen wie die kampferprobten Landsknechte, die hilfreichen Sanitäter oder die unterstützenden Barden. Großartig personalisieren können wir die verschiedenen Recken aber nicht. Wir dürfen lediglich Charakterporträts wählen und unabhängig davon entscheiden, ob die Klasse maskulin oder feminin dekliniert wird. Kurz bevor wir das erste Mal ins Labyrinth hinabsteigen, erfahren wir, dass wir bereits ein paar Fähigkeitspunkte erhalten haben, die wir auf die Fähigkeiten unserer Charaktere verteilen dürfen. Zur Auswahl stehen in Etrian Odyssey neben Attributsverbesserungen auch etliche aktive Fähigkeiten für den Kampf oder Fähigkeiten zum Abbau von dutzenden Ressourcen.

Orientierung im Labyrinth

Unter nahezu allen Gesichtspunkten bleibt das Spiel sehr klassisch. Wir steigen immer weiter in das verschachtelte Labyrinth hinab, erschließen neue Ebenen, bekämpfen in rundenbasierten Scharmützeln zahlreiche Monster, erbeuten Schätze und sammeln Ressourcen. Etrian Odyssey unterscheidet sich aber dahingehend von anderen Dungeon Crawlern, dass die Umgebungskarte in unterschiedlichem Ausmaß selbst von uns erstellt werden muss. So können wir uns einerseits schachbrettartig durch die Spielwelt bewegen und uns in alle vier Himmelsrichtungen drehen. Andererseits dreht sich auf der Minimap der Cursor mit, sodass wir immer wissen, in welchem Quadrat der gitternetzartigen Karte wir uns gerade befinden.

Während wir in der Originalfassung auf dem DS und in der ersten Neuauflage für den 3DS aus dem Jahr 2013 mit dem Stylus arbeiteten, um die Karte zu füllen, steht uns in der HD-Fassung für die Switch auch eine reine Knöpfchensteuerung zur Verfügung. Diese funktioniert in der Praxis nach ein wenig Einarbeitungszeit richtig gut. Puristen können im Handheld-Modus spielen und mit einem Touchpen parallel arbeiten. Wer dem Konzept der frühen Dungeon Crawler, sprich dem Nachzeichnen des Labyrinths mit Stift und Papier, nichts abgewinnt, kann eine automatische Kartenerstellung wählen. Dann müssen nur Markierungen gesetzt werden.

Schicksalhafte Ereignisse

In einer schnelllebigen Welt ist Zeit ein rares Gut und wir können sehr gut verstehen, dass das automatische Erstellen der Karte durchaus verlockend ist. Wir können euch aber nur empfehlen, das Konzept unbedingt einmal selbst auszuprobieren. Andernfalls könntet ihr Geheimgänge oder besondere Ereignisse verpassen, die ebenfalls einen nicht minder wichtigen Teil der Spielerfahrung ausmachen. Ähnlich wie in einem Pen-and-Paper-Rollenspiel erhalten wir in Etrian Odyssey von einem Erzähler in Textform eine Beschreibung des Ereignisses. Wir müssen dann entscheiden, ob wir aus einer Quelle trinken, einen Gegenstand aufheben, eine Kiste durchsuchen oder ein Nickerchen machen wollen.

Anschließend müssen wir mit den positiven oder negativen Konsequenzen rechnen. Ein Schluck aus einer Quelle kann die Lebensenergie auffüllen, während eine Verschnaufpause ein Überfall von Monstern nach sich ziehen kann. Letzteres kann sehr wohl nach hinten losgehen. Das Rollenspiel ist schon auf dem mittleren Schwierigkeitsgrad, der als „einfach“ beschrieben wird, sehr herausfordernd. So können Gegner in ein und derselben Runde mit starken Angriffen einen Helden besiegen oder zumindest die ganze Gruppe in eine ausweglose Situation manövrieren. Wem das zu anstrengend ist, kann in der HD-Fassung auch zur unterfordernden Picknick-Stufe wechseln.

Ineinandergreifende Spielmechanik

Übrigens lässt sich der Schwierigkeitsgrad innerhalb der Stadt Etria jederzeit über das Optionsmenü wechseln. Ihr müsst also keinen neuen Spieldurchlauf starten, wenn es euch zu schwierig werden sollte. Dennoch fällt der Picknick-Schwierigkeitsgrad viel zu leicht aus. Immerhin haben so unerfahrene Spieler die Möglichkeit, Etrian Odyssey von Anfang bis Ende zu erleben. Wer auf dem mittleren oder höchstens Schwierigkeitsgrad spielt, muss an manchen Stellen wohl oder übel grinden, um überleben zu können. Es ist jedoch ein unglaublich befriedigendes Gefühl, früher oder später zu merken, stärker geworden zu sein und die Gegnerhorden nur so aus dem Weg zu räumen.

Nicht nur Level-Aufstiege hängen hiermit zusammen. Auch die Fähigkeiten, von denen wir jeweils eine nach jedem Stufenaufstieg verbessern können, haben Auswirkungen auf den Schwierigkeitsgrad. Noch dazu können wir im Laden in Etria neue Ausrüstungsgegenstände kaufen, um mehr austeilen und einstecken zu können. Welche Waffen und Rüstungen angeboten werden, hängt damit zusammen, welche gesammelten Ressourcen wir vorab im Laden verkauft haben. Damit lässt sich festhalten, dass die Gameplay-Mechaniken von Etrian Odyssey eng miteinander verzahnt sind. Ein Element hat Einfluss auf das andere, was hervorragend ins süchtigmachende Spielprinzip passt.

Umsetzung nahe am Original

Egal ob wir uns im Handheld-Modus oder im stationären Betrieb ins Abenteuer stürzen: Etrian Odyssey lässt sich stets wunderbar spielen. Die Menüstrukturen sind leicht verständlich und beschränken sich auf das Nötigste. Auch die Steuerung geht schnell in Fleisch und Blut über. So findet sich wohl jeder Spielertyp schnell zurecht. Die HD-Neuauflage sieht darüber hinaus an vielen, wenn auch nicht an allen Stellen, sehr schön aus. Auch wenn die Switch zu Größerem imstande ist und hier und da bessere Texturen bieten müsste, ist die Welt zumindest atmosphärisch gestaltet.

Punktabzug gibt es jedoch bei den Charaktermodellen. Hochauflösend fallen die Figuren im Anime-Stil zwar aus, doch hätten sie für die erneute Veröffentlichung ruhig ganz überarbeitet und mit Bewegungsanimationen ausgestattet werden können. So wirken die Figuren ähnlich starr wie in den Anfängen von Dragon Quest. Herausragend ist in jedem Falle der Soundtrack von Komponistenlegende Yūzō Koshiro, der schon an unzähligen Videospielen mitgewirkt hat. Die Melodien lassen uns schnell mitsummen, auch wenn sie uns nach mehreren Stunden in ein und demselben Gebiet auch schon mal ein wenig auf die Nerven gehen. Wirklich überarbeitet wurden die Musikstücke aber offenbar nicht, denn die meisten Tracks wirken noch wie im Original. Eine originalgetreue Umsetzung ist aber vermutlich genau das, was Atlus mit Etrian Odyssey HD vor hatte. Schlimm ist das sicher nicht!

Geschrieben von Eric Ebelt

Fazit:

Etrian Odyssey ist eine tolle Spielerfahrung, die sich kein Rollenspieler entgehen lassen sollte. Natürlich gibt es Dungeon Crawler wie Sand am Meer, doch jene Vertreter, die einen auch die Karte des Labyrinths nachzeichnen lassen und das auch noch im laufenden Spiel, sind wesentlich seltener. Genau das macht Etrian Odyssey in gewisser Weise einzigartig. Es macht mir Spaß, immer tiefer ins Labyrinth hinabzusteigen, sein Geheimnis zu lüften, gegen Monster zu kämpfen und dabei meine Gruppe immer stärker werden zu lassen. Obwohl das Gameplay mit der Zeit recht repetitiv wird, kann der Titel zwischendurch immer mal wieder angegangen werden, um eine weitere Ebene des Labyrinths zu erschließen. Vor allem jene Spieler, die in japanischen Rollenspielen gerne ihre Charaktere aufleveln, werden ihre wahre Freude an Etrian Odyssey haben. Anspruchsvolle Kämpfe, eine atmosphärische Spielwelt und schöne Musik machen das Abenteuer zu einem wahren Erlebnis. Nur Story-Enthusiasten werden enttäuscht, denn die Handlungszusätze der 3DS-Neuauflage wurden in Etrian Odyssey HD ersatzlos gestrichen.