The Sinking City – TEST

Auf Lovecrafts-Spuren in einer versinkenden Stadt: The Sinking City lässt uns als Detektiv mit schaurigen Visionen im von einer Flut heimgesuchten Oakmont ermitteln. Das mag technisch veraltet sein, ist aber spannend und atmosphärisch.


Das ukrainische und irische Entwicklerstudio Frogwares hat sich mit The Sinking City erstmals an ein Open-World-Spiel gewagt. Nach zahlreichen Sherlock-Holmes-Adventures dient für das Szenario des Horror-Action-Adventures der Cthulhu-Mythos von H.P. Lovecraft als Vorlage. Angesiedelt in den 1920er-Jahren begeben wir uns zu Beginn des Spiels als Detektiv Charles Reed, Veteran des ersten Weltkriegs, per Schiff nach Oakmont, Massachusetts. Eine Stadt, die auf keiner Karte zu finden ist, und spätestens seit der Flut, die Oakmont vom Festland abgeschnitten hat, nach eigenen Regeln funktioniert. Rechtssprechung, Währung, Prohibition, alles wird selbstständig gelöst. Die Stadt wird von Verfall, Hungersnot, Gewalt und monströsen Kreaturen geplagt.

Detektivischer Horror

Kurz nach unserer Ankunft in Oakmont erfahren wir, dass der Hafen abgesperrt wurde. Robert Throgmorton, einflussreicher Bürger der Stadt, sucht nach seinem Sohn, der nach einer Expedition in einem Rettungsboot zurückgekommen sein soll, nun aber verschwunden ist. Da passt es natürlich, dass wir Detektiv sind, schließlich benötigen wir die Hilfe von Throgmorton und eine Hand wäscht die andere. Kurzerhand nehmen wir uns des Falls an und erlernen im Laufe dessen die wichtigsten Gameplay-Elemente. Mit einem aufdringlichen Tutorial sollte aber nicht gerechnet werden. The Sinking City weist lediglich an bestimmten Stellen auf die Möglichkeit hin, per linker Steuerkreuztaste die Erklärungen zu wichtigen Spielelementen zu öffnen. Auch auf Questmarker oder sonstige Kartensymbole wird weitgehend verzichtet. Stattdessen platzieren wir anhand von Hinweisen in unserer Fallakte und gefundenen Adressen selbst Markierungen auf unserer Stadtkarte. Eine willkommene Abwechslung zur Symbol-Überflut anderer Open-World-Spiele.

Grob lässt sich The Sinking City in zwei Kategorien einteilen: Ermittlungen und Kämpfe. Ersteres bringt uns dabei meist in der Geschichte voran, ist aber oft mit Auseinandersetzungen verknüpft. Unsere Aufgabe ist es, diverse Orte, Gebäude und Schauplätze in Oakmont auf Hinweise zu untersuchen. Als Hilfe setzen wir dabei unser inneres Auge ein, das uns Dinge sehen lässt, die sonst verborgen bleiben. Die Retrokognition hingegen ermöglicht es uns, bereits vergangene Ereignisse nachzuerleben. Auf diese Weise können wir den Ablauf der Geschehnisse nachvollziehen und weitere Spuren finden.

Gefundene Hinweise werden jederzeit einsehbar in unserer Fallmappe abgelegt und bringen uns zusätzlich neue Schlussfolgerungen für das Gedankenspiel. Hier ziehen wir die Verbindung zwischen zwei entdeckten Hinweisen und erhalten darauf neue Schlussfolgerungen für unseren Fall, bis wir schließlich die Lösung vor uns liegen haben. Oft ist das aber nicht eindeutig, und wir müssen bei Gedankenspielen zwischen zwei möglichen Schlussfolgerungen entscheiden. Glauben wir einem potenziellen Mörder, dass er von einem seltsamen Wahnsinn befallen war, oder sind wir überzeugt, dass er in Tötungsabsicht und aus Hass vorgegangen ist? Eine einmal getroffene Entscheidung ist hier aber noch nicht final. Jederzeit können wir die Schlussfolgerung wieder ändern. Erst wenn wir in einem Gespräch die entsprechende Dialogoption gewählt haben, folgt die Geschichte unserer Entscheidung. Damit beeinflussen wir zumindest etwas die Handlung und steuern eines von mehreren Enden an.

Schaurige Action-Einlagen

Im Laufe unserer Ermittlungen, die uns in Haupt- und Nebenquests quer durch Oakmont führen, treffen wir regelmäßig auf gruselige Monster. Um uns zur Wehr zu setzen, verfügen wir neben einer Schaufel für Nahangriffe auch über ein ordentliches Waffenarsenal, das neben Pistole und Revolver im Laufe des Spiels beispielsweise auch Schrotflinte und Maschinengewehr umfasst. Wie alles in The Sinking City sind die Waffen natürlich an die 1920er-Jahre angepasst. Aufgrund der dauerhaften Munitionsknappheit kommt zwischenzeitlich sogar Survival-Horror-Feeling auf. Leider spielen sich die recht präsenten Action-Einlagen nicht so gut. Das Kampfsystem ist hakelig, und manche Schüsse gehen unnötig an unserem Ziel vorbei. Ärgerlich, schließlich ist Munition selten, und das, obwohl Patronen in Oakmont als Zahlungsmittel dienen und wir für abgeschlossene Missionen damit bezahlt werden. Deshalb ist es wichtig, mit gefundenen Materialien selbst Munition herzustellen. Zusätzlich können wir auch Fallen oder Brandbomben sowie Erste-Hilfe-Sets und Antipsychotikum bauen.

Hier kommt ein weiteres Element von The Sinking City zum Tragen: Neben unserer Lebensleiste stellt eine blaue Anzeige den Verstand von Charles Reed dar. Erleben wir unnatürliche Ereignisse, finden verstümmelte Leichen oder machen sonstige erschreckende Entdeckungen, leidet der Detektiv darunter. Mit zunehmendem Wahnsinn verzerrt sich die Sicht, oder Erscheinungen und Reflexionen tauchen im Bild auf. Das hat uns an den GameCube-Klassiker Eternal Darkness: Sanity’s Requiem erinnert. Unsere Verstandsleiste füllt sich wieder, wenn wir dem negativen Einfluss entgehen. Alternativ können wir auf Antipsychotikum zurückgreifen. In manchen Situation ist das unabdingbar.

Kleine Rollenspiel-Elemente dürfen natürlich ebenfalls nicht fehlen. Durch Aufträge und Kämpfe verdienen wir Erfahrungs- und schließlich Wissenspunkte. Letztere dürfen wir in den Talentbäumen Kampf, Körper und Geist in neue Fähigkeiten investieren. So erhöhen wir etwa die mitgeführte Munition, verstärken unsere Waffe, erhöhen unsere Gesundheit oder verbessern unseren Verstand. Das mag rudimentär sein, fügt sich aber gut ins Spiel ein und stellt sich als durchaus nützlich heraus.

Atmosphärischer Lovecraft-Horror mit Mängeln

Trotz des motivierenden und interessanten Detektiv-Ermittlungs-Gameplays bleiben allerdings Geschichte und Atmosphäre die größten Stärken von The Sinking City. Zahlreiche Lovecraft-Verweise, ernste Themen, die düstere, faszinierende Welt und die umfangreiche, spannende Handlung tragen maßgeblich dazu bei, dass wir von The Sinking City gefesselt sind. Egal ob wir den Hauptmissionen folgen oder uns den spannenden Nebenquests widmen, das Horror-Action-Adventure zieht uns in seine Welt voller schauriger Gestalten, interessanter Charaktere und Wahnsinn. Die passende Sound- und Musikuntermalung sowie die gute deutsche Synchronisation tragen ihren Teil dazu bei und verstärken die gelungene, düstere Horror-Atmosphäre.

Da verzeihen wir The Sinking City die technischen Mängel gerne. Oakmont stellt sich als eher leblose, offene Welt heraus. Viele Bewohner sind lediglich Statisten, mit denen wir nicht interagieren können, und auch die Zahl der betretbaren Häuser bleibt überschaubar. Trotzdem kann die Stadt ihren eigenen Reiz ausüben, die selbst von der veralteten Grafik kaum getrübt wird. Sicher sind hölzerne Gestik und Mimik, Pop-ins, matschige Texturen, Kantenflimmern, gelegentliche Ruckler und nervige, lange Ladezeiten unschön, diese sind uns aber nach einiger Zeit nur noch bedingt aufgefallen. Zu spannend ist die Geschichte, zu dicht die Atmosphäre, um von diesen Mängeln aus der Welt von The Sinking City gerissen zu werden.

Geschrieben von Alexander Geisler

Fazit:

 

Obwohl ich kein großer Horror-Spieler bin, mag ich Titel wie The Sinking City. Auch aufgrund der großartigen Einflechtung von Lovecraft-Einflüssen, die in vielen Spielen maßgeblich zur dichten Atmosphäre beitragen. Frogwares ist es gelungen, mit The Sinking City gleichzeitig eine dichte, düstere Stimmung aufzubauen und eine spannende Detektiv-Geschichte mit zahlreichen Lovecraft-Elementen zu erzählen. Dass das Kampfsystem nicht so gut ausfällt und das Ermittlungs-Gameplay auf Dauer an Abwechslung vermissen lässt, stört die Motivation, die das Horror-Action-Adventure verströmt, ebenfalls kaum. Selbst die technischen Mängel haben für mich keinen Einfluss auf das fesselnde Spielerlebnis, das The Sinking City bietet. Eine klare Empfehlung für alle Horror- und Lovecraft-Fans, die sich an den Schwächen nicht stören und eine packende Detektiv-Horror-Geschichte erleben wollen.